Ziel meiner Studien ist es, die gegenwärtigen
Formen kultureller Kommunikation und ihrer Medien als Stufe eines ökologischen
Evolutionsprozesses zu verstehen.
Theorie
Neben den drei Grundvorstellungen von Kommunikation als
Informationsverarbeitung
Vernetzung und
Spiegelung
bedarf es hierzu eines weiten Kulturkonzepts und evolutionstheoretischer
Annahmen:
Kommunikations- und Informationskonzepte
Kulturen aus kommunikationstheoretischer Sicht
Kulturveränderung erscheint aus dieser ökologischen und kommunikationstheoretischen
Sicht als Veränderung
der Tektonik, Dynamik und Selbstbeschreibung der Informationsverarbeitung
(Veränderung der Sensoren, Speichermedien,
Programme ...), wobei von der
Koevolution von Informationssystemen und Umwelt
ausgegangen wird;
der Vernetzungswege und -medien, wobei eine beständige Verschiebung
von Zentrum und Peripherie stattfindet;
und Emergenz neuartiger Medien und Kommunikatoren des menschlichen
Ökosystems
und damit der Spiegel und bevorzugten Spiegelungsformen.
Kulturgeschichte
Die kulturgeschichtliche Evolution, in deren Zentrum der Mensch steht,
bleibt eingebunden in die Naturgeschichte. Kulturelle Formen der Information,
Informationsverarbeitung und Kommunikation treten evolutionsgeschichtlich
erst spät auf und machen auch in der Gegenwart nur einen Teil der
Informationen und Kommunikationsformen aus.
Evolution der Informationstypen
Vorzüge
des informationstheoretischen Ansatzes
Allgemeingültigkeit
Dieser Ansatz erlaubt es, die Dynamik kultureller Prozesse als
Gegen- und Miteinander verschiedener Formen sozialer, psychischer, technischer
und anderer Informationsverarbeitung zu verstehen. Allgemein kann man
zwischen Wahrnehmungs-, Verarbeitungs-, Reflexions-/Steuerungs- und Darstellungsprozessen
und den entsprechenden verschiedenen Speichermedien unterscheiden. Es
ist jeweils empirisch zu entscheiden, welche technischen, psychischen,
biogenen, sozialen u. a. Prozesse von sozialen Gemeinschaften als Wahrnehmung,
Kommunikation, Informationsspeicherung usf. verstanden werden und wie
man sie normiert, technisiert usf. ...
Komplexität und Dynamik informationsverarbeitender
Systeme
Interdisziplinäre Integrationskraft
Das Modell informationsverarbeitender Systeme ist komplex genug,
um bislang getrennt voneinander operierende Forschungsansätze zueinander
in Beziehung zu setzen. Kulturanthropologische Ansätze beispielsweise
haben sich bislang vorzugsweise mit der Evolution der Wahrnehmungsprozesse
und Sinnesorgane beschäftigt. Mit den Programmen sozialer Informationsverarbeitung
beschäftigen sich Studien zum Mentalitätswandel. Unter dem Stichwort
'kulturelles Gedächtnis' werden die Speicher thematisiert. Die Technikgeschichte
liefert Beiträge zur Technisierung der verschiedenen Prozessoren
und mit den Ausdrucks- und Darstellungsformen haben sich Literatur- und
Sprachhistoriker befaßt. Die Techniksoziologie thematisiert häufig
Steuerungs- und Rückkopplungsphänomene. Ohne den Gesamtkreislauf
der Informationsverarbeitung im Blick zu haben, lassen sie jedoch die
einzelnen Phasen und Elemente nicht verstehen, weil sie interaktiv, rekursiv,
prospektiv usf. miteinander verknüpft sind.
Klärung der Katalysatoren von Veränderungsprozessen
Innovationen können mal über die Veränderung der
Wahrnehmung, mal über die Technisierung von Speichermedien, mal über
neue Vernetzungsformen, mal über alternative Verarbeitungsprogramme,
mal durch neue Kontrollmöglichkeiten usf. in Gang gesetzt werden.
Bei revolutionären Veränderungen, wie sie z. B. in der frühen
Neuzeit vorliegen, treffen verschiedene Katalysatoren relativ zeitgleich
zusammen. Es kommt, wie ich am Beispiel des typographischen Systems der
Buchkultur gezeigt habe, zu einer Umgestaltung aller Elemente des informationsverarbeitenden
Systems.
Differenzierung der Entwicklungslinien
Weiterhin zwingt das Modell zu einer Klärung des Bezugssystems.
Beispielsweise muß zwischen psychischer und sozialer Informationsverarbeitung
unterschieden werden. Soziale Informationsverarbeitung kann in Dyaden,
Gruppen, Institutionen, Gesellschaften und deren Sub- und Supersystemen
ablaufen. Es gibt nur ganz wenige elementare Strukturen und Programme,
die in allen diesen Typen gleichermaßen gelten. Ansonsten ist zu
differenzieren. Aus informationstheoretischer Sicht lautet beispielsweise
die grundlegende Frage, die sich die Industriegesellschaften seit der
frühen Neuzeit stellen mußten: Wie ist Parallelverarbeitung
über die Umwelt zwischen einem Autoren und seinen vielen (ihm unbekannten)
Lesern nur mit Hilfe von ausgedruckten Büchern, ohne die Möglichkeit
schneller Rückkopplung und Interaktion zu organisieren [?]
Es ging also um einen neuen Typus gesellschaftlicher Informationsverarbeitung
und nicht in erster Linie um eine Verbesserung der individuellen psychischen
Informationsverarbeitung und der Organisationskommunikation, wie sie bei
der Einführung der Schrift in der Antike angestrebt wurde.
Prognostische Kraft
Kooperative Informationsverarbeitung folgt, wie andere Formen
der Arbeitsteilung auch, gewissen Regelmäßigkeiten. Insbesondere
muß ein Gleichgewicht zwischen Differenzierung und Integration erreicht
werden. Außerdem gibt es Probleme der Informationsverarbeitung,
die in der Industriegesellschaft gut, und solche, die weniger gut gelöst
sind. Es ist zu erwarten, daß die zukünftige Informationsgesellschaft
Antworten auf die offenen Fragen suchen wird.
Entwicklungslinien der Informationsgesellschaft und Aufgaben
einer zeitgemäßen Kommunikationsgesellschaft
Anwendungsbeispiele und Ergebnisse
In den bisher veröffentlichten Arbeiten habe ich mich
vor allem mit der Entwicklung der psychischen, sozialen und technischen
Informationstypen und Kommunikationsformen beschäftigt.
In der Untersuchung über den 'Buchdruck in der frühen Neuzeit'
werden die gesellschaftlichen Prozesse zum einen als soziale Informationsverarbeitung
(Epistemologischer Informationsbegriff) und zum anderen als Vernetzung
aufgefaßt.
Das auf dem Ontologischen Informationsbegriff basierende Spiegelungskonzept
kann erklären, wie sich technische Strukturen - z. B. der Werkzeuggebrauch
- in ganz anderen Medien, z. B. in den psychischen Strukturen des Menschen,
als zweckrationales Denken spiegeln und umgekehrt.
Die Anwendung des kommunikationstheoretischen Ansatzes habe ich im Rahmen
der Ausstellung "Gutenberg - 550 Jahre Buchdruck in Europa" (in der Herzog-August-Bibliothek
Wolfenbüttel vom 5. Mai - 30. September 1990) exemplarisch illustriert.
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