Die Wissenschaftstheorie des kritischen Rationalismus (K. Popper)

 

alle Zitate aus: Karl Popper ‘Logik der Forschung’, Tübingen 1973 u. ö., Kapitel 1 bis 4, S. 3-59
 

Rationalität und Kritik
„Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen sie selbst umzustoßen.“ S. XV
„Eine Annäherung an die Wahrheit ist möglich... sicheres Wissen ist uns versagt. Unser Wissen ist ein kritisches Raten; ein Netz von Hypothesen; ein Gewebe von Vermutungen.“ S. XXV

Alltägliche und wissenschaftliche Erkenntnis
„Man kann das Problem der Erkenntnistheorie von zwei verschiedenen Seiten her betrachten:
1. Als das Problem der alltäglichen Erkenntnis, des gesunden Menschenverstandes
(‘common sense’), oder
2. als das Problem der wissenschaftlichen Erkenntnis.“ S. XVII
„Unglücklicherweise gibt es aber so etwas ja gar nicht wie die ‘Sprache der Wissenschaft’“. S. XX

Grundprobleme der Erkenntnislogik
Induktion und Deduktion
„Unsere... Auffassung steht im schärfsten Widerspruch zu allen induktionslogischen Versuchen; man könnte sie etwa als Lehre von der deduktiven Methodik der Nachprüfung kennzeichnen.“ S. 5
„Die Wissenschaftstheorie ist nicht an Erkenntnispsychologie, sondern an Erkenntnislogik interessiert. Sie beschäftigt sich mit Geltungsfragen „ob und wie ein Satz begründet werden kann, ob er nachprüfbar ist; ob er von gewissen anderen Sätzen logisch abhängt oder mit ihnen in Widerspruch steht“ (S. 6) nicht für Tatsachenfragen.

Positivismus
Während der ältere Positivismus nur ‘Begriffe’ anerkannte, die ‘aus der Erfahrung stammen’ sieht ‘der Neopositivismus’ meist deutlicher, daß die Wissenschaft kein System von Begriffen ist, sondern ein System von Sätzen und will nur jene Sätze als ‘wissenschaftlich’ oder ‘legitim’ anerkennen die sich auf alle elementaren Erfahrungssätze... logisch zurückführen lassen.“ S. 9/10
Dieses Kriterium folgt der Induktionslogik und da diese von Popper abgelehnt wird akzeptiert er diesen Positivismus nicht.
„Nach unserer Auffassung aber gibt es keine Induktion. Der Schluß von den durch ‘Erfahrung’ (was immer wir auch mit diesem Wort meinen) verifizierten besonderen Aussagen auf die Theorie ist logisch unzulässig. Theorien sind somit niemals empirisch verifizierbar. Wollen wir den positivistischen Fehler, die naturwissenschaftlich-theoretischen Systeme durch das Abgrenzungskriterium auszuschließen, vermeiden, so müssen wir diese so wählen, daß auch Sätze, die nicht verifizierbar sind, als empirisch anerkannt werden können.“ S. 14/15
Die Lösung sieht Popper darin nicht die Verifizierung, sondern die Falsifizierung zum Abgrenzungskriterium zu machen: „Eine empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfahrung scheitern können.“ S. 15 (Asymmetrie zwischen Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit)
Hieraus folgt das wissenschaftliche Aussagen/Modelle zwar nicht verifizierbar wohl aber nachprüfbar sind: „Die Objektivität der wissenschaftlichen Sätze liegt darin, daß sie intersubjektiv nachprüfbar sein müssen.“ S. 18
Und er fügt in der Anmerkung hinzu „Ich habe in der Zwischenzeit diese Formulierung verallgemeinert; denn die intersubjektive Nachprüfung ist nur ein sehr wichtiger Aspekt des allgemeineren Gedankens der intersubjektiven Kritik, mit anderen Worten ein Aspekt der Idee der gegenseitigen rationalen Kontrolle durch kritische Diskussionen.“ (S. 18)
„Man überprüft die Theoriensysteme, indem man aus ihnen Sätze von geringerer Allgemeinheit ableitet. Diese Sätze müssen ihrerseits, da sie intersubjektiv nachprüfbar sein sollen, auf die gleiche Art überprüfbar sein – usw. adinfinitum.“ S. 21

Erkenntnistheorie als Methodenlehre
„Nach unserem Vorschlag ist die Erkenntnistheorie oder Forschungslogik Methodenlehre.“ S. 22
„Wir wollen die Regeln, oder, wenn man will, die Normen aufstellen, nach denen sich der Forscher richtet, wenn er Wissenschaft treibt, wie wir es uns denken.“ S. 23

Letztlich ist die Frage, was man als Wissenschaft, wen man als Wissenschaftler und was man als wissenschaftliche Methode anerkennt eine Frage der ‘Festsetzung’. S. 25 und: „Wir geben also offen zu, daß wir uns bei unseren Festsetzungen in letzter Linie von unserer Wertschätzung, von unserer Vorliebe leiten lassen.“ S. 12

Die Wissenschaften als ein System von Sätzen
„Die Erfahrungswissenschaften sind Theoriensysteme... wissenschaftliche Theorien sind allgemeine Sätze. Sie sind, wie jede Darstellung Symbole, Zeichensysteme. ...Die Theorie ist das Netz das wir auswerfen, um ‘die Welt’ einzufangen, - sie zu rationalisieren, zu erklären und zu beherrschen. Wir arbeiten daran, die Maschen des Netzes immer enger zu machen.“ S. 31
Unterschieden wird zwischen allgemeinen und besonderen Sätzen (S. 32). Erstere beanspruchen ‘für jeden beliebigen Orts- und Zeitpunkt richtig zu sein’ (S. 34). „Besondere oder singuläre Sätze werden wir solche Sätze nennen, die sich nur auf gewisse endliche Raum- Zeitgebiete beziehen.“ S. 35

Theoretische Systeme
Die empirischen Wissenschaften streben eine ‘strenge systematische Form an’, die Form einer Axiomatik. (S. 41)
„Sämtliche Voraussetzungen werden in einer kleinen Anzahl von ‘Axiomen’ an die Spitze gestellt, derart, das alle übrigen Sätze des theoretischen Systems aus ihnen durch rein logische bzw. mathematische Umformungen abgeleitet werden können.
Wir sagen, daß ein theoretisches System axiomatisiert ist, wenn eine Anzahl von Sätzen, Axiomen, aufgestellt wird, die folgende 4 Grundbedingungen genügen: das System der Axiome muß, für sich betrachtet, a) Widerspruchsfrei sein, was mit der Forderung äquivalent ist, das nicht jeder beliebige Satz aus dem Axiomensystem ableitbar sein sollte; b) unabhängig, das heißt keine Aussage enthalten, die aus den übrigen Axiomen ableitbar ist (‘Axiom’ soll nur ein innerhalb des Systems nicht ableitbarer Grundsatz heißen). Was ihr logisches Verhältnis zu den übrigen Sätzen des axiomatisierten Systems betrifft, so sollen die Axiome überdies c) zur Deduktion aller Sätze dieses Gebietes hinreichend und d) notwendig sein, daß heißt keine überflüssigen Bestandteile enthalten.„
S. 41
Ein Axiomensystem ist also ein ‘System von impliziten Definitionen’.“ Es wird festgesetzt, nur Modelle zur Substitution zuzulassen.“ S. 43
Theoretische Systeme müssen ‘widerspruchslos’ sein (S. 59) Empirische Sätze sowohl ‘widerspruchslos’ als auch ‘falsifizierbar’. (S. 59)

 

Welche Konsequenzen lassen sich aus der Wissenschaftstheorie des kritischen Rationalismus für die Kommunikationswissenschaft ziehen? Was bedeutet es, wenn die Kommunikationswissenschaft auch als ein axiomatisches Theoriensystem aufgebaut werden soll? (Integration durch Praxisversus Integration durch Basissätze)

Vgl. excerpt ‘Wissenschaftsdisziplinen als geschlossene Systeme’