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Was ist Kommunikation? N. Luhmann in: Simon, F. B. (Hg.) Lebende Systeme. Wirklichkeitskonstruktionen in der systemischen Therapie. Berlin u. a.: Springer 1988 |
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I.
Mein Ziel ist, das geläufige Verständnis von Kommunikation
zu kritisieren und ihm eine andersartige Variante an die Seite zu stellen.
Bevor ich damit beginne, sind aber einige Bemerkungen über den wissenschaftlichen
Kontext angebracht, in dem dieses Manöver vollzogen werden soll. |
II.
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Ähnlich wie Leben und wie Bewußtsein
ist auch Kommunikation eine emergente Realität, ein Sachverhalt sui
generis. Sie kommt zustande durch eine Synthese von drei verschiedenen
Selektionen - nämlich Selektion einer Information, Selektion der
Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen oder Mißverstehen
dieser Mitteilung und ihrer Information. |
III.
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Was ist an diesem Kommunikationsbegriff neu? Und
was sind die Konsequenzen der Neuerung? Neu ist zunächst nicht die Unterscheidung der drei Komponenten Information, Mitteilung, Verstehen. Man findet eine ähnliche Unterscheidung bei Karl Bühler unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Funktionen der sprachlichen Kommunikation. Dies haben Amerikaner wie Austin und Searle zu einer Theorie von Akttypen oder Sprechakten verstärkt und versteift. Daran wiederum hat Jürgen Habermas eine Theorie von Geltungsansprüchen angeschlossen, die in der Kommunikation impliziert sind. Das alles geht aber immer noch von einem handlungstheoretischen Verständnis der Kommunikation aus und sieht den Kommunikationsvorgang deshalb als eine gelingende oder mißlingende Übertragung von Nachrichten, Informationen oder Verständigungszumutungen. Demgegenüber wird bei einem systemtheoretischen Ansatz die Emergenz: der Kommunikation selbst betont. Es wird nichts übertragen. Es wird Redundanz erzeugt in dem Sinne, daß die Kommunikation ein Gedächtnis erzeugt, das von vielen auf sehr verschiedene Weise in Anspruch genommen werden kann. Wenn A dem B etwas mitteilt, kann sich die weitere Kommunikation an A oder an B wenden. Das System pulsiert gleichsam mit einer ständigen Erzeugung von Überschuß und Selektion. Durch die Erfindung von Schrift und Buchdruck ist dies Systembildungsverfahren nochmals immens gesteigert worden, mit Konsequenzen für Sozialstruktur, Semantik, ja für Sprache selbst, die erst allmählich ins Blickfeld der Forschung treten. Die drei Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen müssen also nicht als Funktionen, nicht als Akte, nicht als Horizonte für Geltungsansprüche interpretiert werden (ohne daß man bestreiten müßte, daß all dies auch eine mögliche Art ihrer Verwendung ist). Es sind auch keine Bausteine der Kommunikation, die unabhängig existieren könnten und nur durch jemanden - durch wen? durch das Subjekt'? - zusammengesetzt werden müssen. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Selektionen, deren Selektivität und deren Selektionsbereich überhaupt erst durch die Kommunikation konstituiert werden. Es gibt keine Information außerhalb der Kommunikation, es gibt keine Mitteilung außerhalb der Kommunikation, es gibt kein Verstehen außerhalb der Kommunikation - und dies nicht etwa in einem kausalen Sinne, wonach die Information die Ursache der Mitteilung und die Mitteilung Ursache des Verstehens sein müßte, sondern im zirkulären Sinne wechselseitiger Voraussetzung. Ein Kommunikationssystem ist deshalb ein vollständig geschlossenes System, das die Komponenten, aus denen es besteht, durch die Kommunikation selbst erzeugt. In diesem Sinne ist ein Kommunikationssystem ein autopoietisches System, das alles, was für das System als Einheit fungiert, durch das System produziert und reproduziert. Daß dies nur in einer Umwelt und unter Abhängigkeit von Beschränkungen durch die Umwelt geschehen kann, versteht sich von selbst. Etwas konkreter ausformuliert, bedeutet dies, daß das Kommunikationssystem nicht nur seine Elemente - das, was jeweils eine nicht weiter auflösbare Einheit der Kommunikation ist -, sondern auch seine Strukturen selbst spezifiziert. Was nicht kommuniziert wird, kann dazu nichts beitragen. Nur Kommunikation kann Kommunikation beeinflussen; nur Kommunikation kann Einheiten der Kommunikation dekomponieren (zum Beispiel den Selektionshorizont einer Information analysieren oder nach den Gründen für eine Mitteilung fragen) und nur Kommunikation kann Kommunikation kontrollieren und reparieren. Wie man leicht sehen kann, ist die Praxis einer solchen Durchführung von reflexiven Operationen ein außerordentlich aufwendiges Verfahren, das durch die Eigenarten der Autopoiesis der Kommunikation in Schranken gehalten wird. Man kann nicht immer genauer und immer genauer nachfassen. Irgendwann, und ziemlich schnell, ist der Grenznutzen der Kommunikation erreicht oder die Geduld - das heißt die Belastbarkeit der psychischen Umwelt - erschöpft. Oder das Interesse an anderen Themen oder anderen Partnern drängt sich vor. |
IV.
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Diese These der zirkulären, autopoietischen
Geschlossenheit des Systems ist nicht leicht zu akzeptieren. Man muß
eine zeitlang damit gedanklich experimentieren, um allmählich zu
sehen, was sie bringt. Dasselbe gilt für eine zweite, eng damit zusammenhängende
These. Die Kommunikation hat keinen Zweck, keine immanente Entelechie.
Sie geschieht oder geschieht nicht - das ist alles, was man dazu sagen
kann. Insofern folgt die Theorie nicht einem aristotelischen Duktus, sondern
eher dem Theoriestil Spinozas. |
V.
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Lassen Sie mich nunmehr diesen allgemeinen Theorieansatz
an einer Spezialfrage ausprobieren: am Problem der Wertbeziehung von Kommunikationen.
Wir sind auf neukantianischen Grundlagen oder auch durch Jürgen Habermas
trainiert, hier sogleich Geltungsansprüche zu wittern und zu ihrer
Prüfung einzuladen. Die Wirklichkeit ist einfacher - und zugleich komplizierter. Was man empirisch beobachten kann, ist zunächst, daß Werte in der Kommunikation per Implikation herangezogen werden. Man setzt sie voraus. Man spielt auf sie an. Man sagt nicht direkt: Ich bin für Frieden. Ich schätze meine Gesundheit. Man vermeidet das aus dem Grunde, den wir schon kennen: weil das die Möglichkeiten auf Annahme oder Ablehnung hin duplizieren würde. Gerade das scheint bei Werten unnötig zu sein - oder so meint man jedenfalls. Werte gelten somit kraft Unterstellung ihrer Geltung. Wer wertbezogen kommuniziert, nimmt eine Art Werte-Bonus in Anspruch. Der andere muß sich melden, wenn er nicht einverstanden ist. Man operiert gleichsam im Schutze der Schönheit und Gutheit der Werte und profitiert davon, daß derjenige, der protestieren will, die Komplexität übernehmen muß. Er hat die Argumentationslast. Er läuft die Gefahr, innovativ denken zu müssen und sich isolieren zu müssen. Und da immer mehr Werte impliziert sind, als im nächsten Zuge thematisiert werden können, ist das Herauspicken, Ablehnen oder Modifizieren ein fast hoffnungsloses Unterfangen. Man diskutiert nicht über Werte, sondern nur über Präferenzen, Interessen, Vorschriften, Programme. Das alles heißt nicht, daß es ein Wertsystem gäbe. Auch nicht, daß Wertordnungen transitiv oder hierarchisch strukturiert sind. Es. heißt auch nicht, und das ist vor allem wichtig, daß es sich um psychologisch stabile Strukturen handele. Im Gegenteil: psychologisch scheinen Werte eine außerordentlich labile Existenz zu führen. Sie werden mal benutzt, mal nicht benutzt, ohne daß man dafür eine Art psychologische Tiefenstruktur entdecken könnte. Ihre Stabilität ist, so will ich einmal provokativ formulieren, ein ausschließlich kommunikatives Artefakt, und das autopoietische System des Bewußtseins geht damit um, wie es ihm gefällt. Und genau deshalb, weil hier Strukturen der Autopoiesis des sozialen Systems im Spiel sind, eignet sich die Wertesemantik zur Darstellung der Grundlagen eines sozialen Systems für den Eigengebrauch. Ihre Stabilität beruht auf einer rekursiven Unterstellung des Unterstellens und auf einer Erprobung der Semantik, mit der das jeweils funktioniert bzw. nicht funktioniert. Die "Geltungsgrundlage" ist Rekursivität, gehärtet durch die kommunikative Benachteiligung des Widerspruchs. Was das Bewußtsein sich dabei denkt, ist eine ganz andere Frage. Wenn es versiert ist, wird es wissen, daß Wertkonsens ebenso unvermeidlich wie unschädlich ist. Denn es gibt keinen Selbstvollzug der Werte, und man kann alles, was sie zu fordern scheinen, im Vollzug immer noch entgleisen lassen, im Namen von Werten natürlich. |
VI.
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Eine derart tiefgreifende Revision der system- und kommunikationstheoretischen
Begrifflichkeit wird sicher Konsequenzen haben für den Bereich der
Diagnose und Therapie von Systemzuständen, die man als pathologisch
ansieht. Mir fehlt für diesen Bereich jegliche Kompetenz und vor
allem jene Art von automatischer Selbstkontrolle die aus einer Vertrautheit
mit dem Milieu entsteht. Trotzdem möchte ich versuchen, in einer
Art Zusammenfassung einige Punkte zu beleuchten, die vielleicht einen
Anlaß geben könnten, bekannte Phänomene neu zu konstruieren. |