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Synästhesie und Parallelverarbeitung |
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"Sehen ist ein weitaus komplizierterer Vorgang, als die meisten denken. Unser Alltag, geprägt von Bild-Medien, verleitet leicht dazu, das Phänomen Sehen lediglich als Variante des Photographierens aufzufassen. Kameras können jedoch nur wiedergeben, was sie aufnehmen, nicht aber es interpretieren oder identifizieren. Selbst ein hochentwickeltes Videosystem oder ein computergesteuerte Kamera kann nicht die Leistung des menschlichen Sehsystems erreichen, das eine unbegrenzte zahl verschiedener Bilder versteht. dies wird durch die Fähigkeit des Gehirns ermöglicht, ungeheure Mengen an Information gleichzeitig zu verarbeiten. (S. 114) Neueste Arbeiten - darunter einige von meinem Kollegen David H. Hubel und mir - zeigen, dass visuelle Signale nicht innerhalb eines einzigen hierarchischen Systems im Gehirn verarbeitet werden, sondern gleichzeitig in mindestens drei voneinander unabhängigen Systemen; dabei erfüllt jedes spezifische, deutlich voneinander abgrenzbare Aufgaben. Das eine System scheint Information über die Formwahrnehmung zu verarbeiten, ein zweites ist zuständig für Farbe, das dritte schließlich für Bewegung, Lokalisation und räumliche Organisation." (S. 121) Der Sehvorgang läuft also in einem dreigeteilten Verarbeitungssystem
ab. Farbinformation wird durch den Blob-Kanal übertragen, stationäre
Formerkennung durch den Parvo-Interblob-Kanal und Bewegung und Tiefe durch
den Magno-Kanal. Nach Integration der Einzelaspekte, sieht man eine einheitlich
erscheinende, dreidimensionale Welt. |
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aus: Margaret S. Livingstone: Kunst, Schein und Wahrnehmung. In: Spektrum der Wissenschaft. März 1988, S. 114 - 121 |