S, 2 SWS (Di 16 - 18), LG 4, D02
Michael Giesecke
Überblick
Wenn sich radikal neue Medien in Kulturen durchsetzen, dann werden auch neue Produktions- und Distributionsformen erforderlich. Bei der Einführung des Buchdrucks wurden so marktwirtschaftliche Tauschprinzipien auch auf die Informationsmedien angewendet und Eigentumsvorstellungen aus Manufaktur und Handel auf die typographischen Medien, Informationen, Kodes und deren Produzenten übertragen. Gleichzeitig verändern sich die Vorstellungen darüber, was für die Kulturen informativ ist und wie Informationen erzeugt werden sollten. Kurz, alle wesentliche Begriffe, die Kommunikationswissenschaftler nutzen: Medien, Information und Kommunikatoren und deren Beziehungen, werden neu definiert und neu bewertet. Das Seminar zeichnet diesen Prozess anhand von Quellen, die in einem Reader zusammengestellt werden, nach. Im Hintergrund steht die Frage, in welchem Maße sich gegenwärtig schon alternative Produktions- und Distributionsregeln sowie alternative Konzepte von Information und von deren Beziehung zu den Nutzern/Kommunikatoren herausgebildet haben.
Theorie
Leitthesen
1. Voraussetzung für die neuzeitliche Diskussion um Urheberrecht und geistiges Eigentum ist die Vertauschung des Stellenwerts von Informationsverbreitung und Informationserzeugung in der Wertehierarchie und die Abwertung der Bewahrung/Speicherung von Informationen zugunsten der Veröffentlichung/Verbreitung von neuen Informationen. Vor und neben allen Programmänderungen (z.B. in Form von Rechten und Gesetzen) ist der Wertewandel in der Triade des Informationskreislaufs zu berücksichtigen.
2. gewinnt die psychische und soziale Information aufkosten anderer Informationsarten an Bedeutung.(Folgeproblem ist die Suche nach einer Balance zwischen individuellem und nationalem Geist bzw. geistigem Eigentum, zwischen Veröffentlichung und Urheberschutz)
3. gilt für die Vernetzung: Je mehr soziale Kommunikatoren, je größer also die soziale Vernetzung, desto besser! Nichtmenschliche Kommunikatoren werden diskriminiert. Die Bestimmung der Größe der Kommunikationssysteme wird zum Problem (Nationenbildung).
4. Standardsprachen avancieren zum bevorzugte Kode – und damit dann auch gedruckte Texte zur Hauptspeicherform von geistigem Eigentum. Patent- und Urheberechte bedürfen der Schriftform ebenso wie die zu schützenden Werke.
5. In Deutschland dauerte diese Umstellung vom 15. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts und war von intensiven öffentlichen Diskussionen über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen begleitet.
Methoden
Das Seminar versucht durchgängig eine kommunikationstheoretische Behandlung des Themas, was bislang kaum geschieht. Entsprechend werden die juristischen, ökonomischen , philosophischen, politischen und andere Beschreibungen von Urheberrecht, Datenschutz, geistigem Eigentum usf. zwar zur Kenntnis genommen, jedoch deren Ergebnisse als Daten aufgefaßt, die nochmals vor dem Hintergrund von Informations-, Vernetzungs- und Medientheorie zu systematisieren sind. Dies erscheint umso angebrachter, als jene Ansätze durchgängig von den Werten gesteuert werden, die erst die Buchkultur befördert hat. Sie sind kulturepochenspezifisch geprägt und haben insofern nicht nur Schwierigkeiten, mittelalterliche und nicht-typographisch-kapitalistische Informations- und Eigentumskonzepte zu verstehen sondern sie werden auch von den gegenwärtigen neuen Medien vor kaum lösbare Aufgaben gestellt. So ist aktuell völlig unklar, welche Arten von Information überhaupt wem (Personen, Unternehmen, sozialen Gemeinschaften...) als Erzeuger/Verwerter, Entdecker usf. in welcher Form zugeschrieben werden können – und man sollte auch nach dem Sinn solcher Zuschreibungen fragen.
Entsprechend dieser Überzeugung ist das Seminar kulturvergleichend angelegt. Vergleichsmaßstab sind allgemeine kommunikationstheoretische Modelle. Es konzentriert sich in den Primärquellen allerdings auf die kulturelle Umbruchszeit des 16. Jhs. im deutschsprachigen Raum.
Neben den historischen Quellen, die in im Kern in einem Reader zugänglich gemacht werden, dient als Referenzwerk für die allgemeine Vorbereitung ein Sammelband über ‚Wissen und Eigentum’, den Jeanette Hofmann für die Bundeszentrale für politische Bildung herausgibt. Er markiert recht gut die gegenwärtige Diskussion und schafft so das nötige Problembewußtsein und führt in die gängige Terminologie anderer Disziplinen ein.
Leistungsanforderungen
Voraussetzung für den Erwerb von Leistungspunkten ist die Vorbereitung mindestens einer Seminarsitzung. Dies geschieht i.d.R. durch die Vorstellung der Quellendes Readers bzw. des zur allgemeinen Lektüre empfohlenen Leittextes in Form von Thesen, die den Inhalt mehr oder weniger quellensprachlich zusammenfassen. Die Anschaffung des Sbd. von J. Hofmann ist Pflicht! Zweitens werden die Vorlagen entsprechend der Fragestellung so gut als möglich systematisiert, wobei kommunikationstheoretische Modelle heranzuziehen sind. Gute Fragen werden da häufig schon das maximale Ergebnis sein.
Aufbauend auf diese Vorarbeit können dann in Hausarbeiten unter Hinzuziehung weiterer Daten und Texte
Leistungspunkte erworben werden. Vorläufige Ergebnisse können im Seminar in Referatform vorgestellt werden.
Die Lektüre der frühneuhochdeutschen Quellen verlangt ausgezeichnete Sprachkenntnisse!
Termine: 15.04.08 22.04.08 29.04.08 06.05.08 13.05.08 20.05.08 27.05.08 03.06.08 10.06.08 17.06.08 24.06.08 01.07.08 8.07.08 15.07.08