Wir haben uns in früheren Vorlesungen
ausführlich mit dem hierarchischen Charakter der institutionellen,
speziell der durch skriptographischen Medien unterstützten institutionellen
Systeme beschäftigt. Die strikt vorgegebenen Dienstwege von der Spitze
zur Basis mit ihren vielen menschlichen Relaisstationen eröffneten
und eröffnen noch immer beste Möglichkeiten für eine soziale
Kontrolle des Informationsflusses. Im Konzept der deutschen Reichspost ist
diese Struktur, vor allem durch die Orientierung am Telegraphensystem lange
Zeit weithin erhalten geblieben. Die erste Hälfte des 19.Jhs. liefert
eine Fülle von Belegen dafür, wie das Telegraphennetz kontrolliert
wurde. Die Benutzer mussten sich ausweisen und die Telegraphenverwaltungen
hatten das Recht, die Mitteilungen zu unterbrechen, wenn sie der Auffassung
waren, dass aufrührerische Nachrichten verbreitet wurden. In Frankreich
lehnte die Regierung Louis Philipps einen Antrag auf Öffnung des Telegraphennetzes
für Privatleute mit der folgenden Erklärung ab: ,,Regierungen
haben sich immer den alleinigen Gebrauch der Dinge vorbehalten, die die
öffentliche oder private Sicherheit bedrohen könnten, falls sie
in schlechte Hände geraten: So wird Gift und Sprengstoff nur unter
staatlicher Kontrolle ausgegeben. Sicherlich könnte der Telegraph in
schlechten Händen eine sehr gefährliche Waffe werden. Man stelle
sich nur vor, was passiert, wenn der vorübergehende Erfolg der streikenden
Lyon-Seidenarbeiter sofort in allen Teilen des Landes bekannt geworden wäre."
(Neue Technologie und Allgemeinbildung S. 276) Je mehr man jedoch erkannte,
dass es im Konkurrenzkampf der Nationen und Volkswirtschaften notwendig
ist, die einzelnen Bürger stärker am Geschick ihres Gemeinwesens
zu beteiligen, desto stärker wurde auch die Notwendigkeit, die Telegraphen-
und später die Telephonnetze zu einer freien öffentlichen Einrichtung
zu machen. Der technische Aufbau des Telephonsystems, zumal nach Einführung
des Selbstwählverkehrs, erschwerte die Möglichkeiten einer zentralen
Kontrolle. Im Normalfall war keine dritte Person mehr zwischen dem Anrufer
und dem Angerufenen zwischengeschaltet, die eine unmittelbare Kontrollfunktion
hätte wahrnehmen können. Natürlich besteht die Möglichkeit,
Telephone zu überwachen, aber dies ist, genau wie der Zensur der ausgedruckten
Bücher, zumeist erst eine Methode, die im Nachhinein einsetzt, um in
einzelnen Fällen Grenzen zu setzen. Der Logik des technischen Informationssystems
entspricht sie nicht. Überwachung erfordert umständliche Eingriffe
von außen. Weil dies so ist, deshalb hat sich Stalin immer vehement
gegen einen Ausbau eines öffentlichen Telephonsystems in seinem Land
und in seinem Einflussbereich gewendet. Die Rückständigkeit des
Telephonsystems in der ehemaligen DDR spricht hier ebenfalls Bände.
Man verließ sich lieber auf die Einwegkommunikationsnetze von Rundfunk
und Fernsehen sowie auf das Telegraphensystem, in dem die Botschaften immer
von Funktionären des Systems in den Maschinenkoden übersetzt werden
mussten. In Amerika hielt man demgegenüber das Telephon immer für
einen ,Verbündeten demokratischer Gesellschaften'. Der freien
Wahl überhaupt entspricht die freie Wahl des Kommunikationspartners. |