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Telephon |
Während es beim Telegraphen
darum ging'taktile Bewegungen' vorzugsweise das Drücken der Morsetasten
mit dem Finger' in elektrische Impulse zu übersetzen' zielt das Telephon
tatsächlich auf eine analoge Codierung der menschlichen Stimme' also
von akustischen Wellen ab. Es greift also nicht auf die skriptographischen
Kommunikationssysteme' sondern auf die face- to- face- Kommunikation als
paradigmatischer/ zu modellierender Kommunikationsform zurück' und
es ist vor allem ein gutes Beispiel für die Technisierung der Funktionsweise
eines natürlichen menschlichen Sinnesorgans' eben der Ohren. Schon
die ersten Versuche von Philipp Reis zur elektrischen Sprachübersetzung
erfolgten 1860 mit einem'künstlichen Ohr'. |
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Die Technisierung des Ohres und des Hörens (Oberliesen 1982: 132) Verschiedene Ansichten des'künstlichen Ohrs'' mit dem Philipp Reis um 1860 die ersten Versuche zur elektrischen Sprachübertragung anstellte: a) Öffnung des Ohrmodells' b) Membran entsprechend dem Trommelfell' c' d) kleines Hebelchen' das dem Hammer des menschlichen Ohrs entspricht' g) Feder aus Weißblech' h) Stellschraube zur Regulierung des Kontaktes zwischen dem Hebel und der Feder. Physikalisch gesehen stellte er sich die Aufgabe' Schauschwingungen in elektrische Schwingungen zu verwandeln und umgekehrt. Seine Zuhörer interpretierten seine Experimente als Demonstration für die Wirkungsweise des Gehörs. Das war ursprünglich bei dem anderen Telephonerfinder' Alexander Graham Bell (1847-1922)' nicht anders. Wie sein Vater' Alexander Melville Bell' der im Übrigen ebenfalls eine Taubstummensprache entwickelte' war auch Graham Bell als Taubstummenlehrer tätig. Lange Zeit arbeiteten sie in London gemeinsam. Aus seinen Unterrichtserfahrungen erwuchs die Idee' seinen Schülern Sprachschwingungen sichtbar zu machen und so soll er anfangs sogar "mit einem präparierten Menschenohr' auf dessen Trommelfell er einen Strohhalm befestigt hatte"' gearbeitet haben. (Oberliesen 1982: 139) Das untenstehende Schema gibt die Umformungsprozesse während telephonischer Übertragungen wieder. |
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Zunächst produziert
der Sprecher Schallwellen' die nichts anderes sind als eine periodische
Änderung des Luftdrucks. Diese werden durch einen Trichter verstärkt'
an dessen Ende sich eine Membrane befindet. Die Schallwellungen setzen
das Membran' wie auch das Trommelfell im menschlichen Ohr in Schwingungen.
die Schwingungen übertragen sich auf einen Anker (wie auf den'Hammer'
im menschlichen Ohr). Durch die Bewegungen des Ankers entsteht in der
Spule durch Induktion eine im Rhythmus der Schallschwingungen pulsierende
Spannung' die sich dann über den Stromkreislauf' der noch durch eine
Elektronenröhre verstärkt werden kann' in die Spule des Empfangsgeräts
fortsetzt. Die proportionalen Veränderungen des Magnetfelds versetzen'
vermittelt über den Anker' die Membran des Empfangsgeräts in
Schwingungen' so dass dort der gleiche Ton wieder erzeugt wird wie in
der Sendemuschel. Man kann das Prinzip dann noch weiter verfolgen' die
ausgesendeten Schallwellen treffen auf das Trommelfell' verändern
dort den Druck des Innenohrs' was dann von Sensoren bemerkt und wieder
in minimale Stromschwankungen transformiert wird' die anschließend
im menschlichen Gehirn verarbeitet werden. Dies ist jedenfalls das Prinzip der 1876 von Bell zum Patent angemeldeten Telephone. Reis hatte beim Sender mit einem membrangesteuerten metallischen Kontakt statt mit einem elektromagnetischen Energieumwandler (wie Bell) gearbeitet. Bei dem skizzierten Aufbau war nur ein Wechselsprechverkehr (Halb-Duplex) möglich; wenn man allerdings zwei Systeme kombinierte' konnte schon ein echtes Gegensprechen (Duplex) erfolgen. In den folgenden Jahrzehnten wurde durch die Verbesserung der Umformung von Schallschwingungen in formgetreue elektrische Schwingungen' vor allem durch die Einführung des Kohlenmikrophons und durch ausgeklügelte Vernetzungen mit Verstärkungs- und Dämpfungseffekten ein immer besserer Wechselsprechverkehr ermöglicht. Abb.: Steuerungsformen der Vernetzung: |
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Auf dem ersten Blick erstaunlich ist' dass anfangs über den sozialen Nutzen eines solchen'Telephons' durchaus keine gemeinsame Auffassung bestand. Für die normale Nachrichtenübermittlung hatte sich in den 70er Jahren der Telegraph schon fest etabliert und er befriedigte alle wesentlichen Bedürfnisse der Militärs' Politiker und Kaufleute. Wozu sollte nun zusätzlich das Telephon noch dienen? Die Anknüpfung sowohl von Reis als auch von Bell an den natürlichen menschlichen Sinnesorganen traf bei der Bevölkerung auf massive Vorurteile: Sie ordneten ihre Experimente in das klassische Streben der Menschheit nach'Homunkuli'' künstliche Menschen oder heute würden wir sagen: nach Robotern ein. Man hielt das ganze eher für Magie oder' wenn man weniger ängstlich war' für'Spielerei'. Selbst Werner von Siemens sprach noch 1877' nachdem er also schon in die Massenproduktion von Telephonapparaten eingestiegen war' in einem Brief an seinen Bruder von einem'Telephonschwindel'' der'jetzt in Deutschland in voller Blüte' stehe. (Oberliesen 1982: 143) Bell hatte sich bei seiner Patentanmeldung aus diesem Kontext ganz gelöst; er meldete ein Verfahren zur gleichzeitigen Übertragung mehrerer Telegramme' also zur Vielfachtelegraphie an und erwähnte die Möglichkeit' sprachliche und andere Laute zu übermitteln' nur quasi nebenbei. Trotzdem bekam er' als er sein Patent der Western Union Telegraph Company anbot' zur Antwort'Was soll eine Gesellschaft mit solch einem Spielzeug anfangen?' (Oberliesen 1982: 137) Wenn es die größte Gesellschaft' die damals in Amerika auf die telegraphische Übermittlung von Nachrichten spezialisiert war' nicht wusste' wer dann? Diese Ratlosigkeit scheint mir nicht zufällig zu sein - und ebenso wenig die Tatsache' dass die Techniksoziologen unserer Tage immer wieder gerade das Telephon als Beispiel für eine Technologie herausstellen' deren Anwendungsbereich sich erst nach dem Versuch - Irrtumprinzip herausstellen musste. Der Grund dürfte darin liegen' dass sich das Telephon im Gegensatz zum Telegraphen nicht als eine Fortsetzung der klassischen institutionellen Kommunikationsnetze mit anderen medialen Mitteln durchsetzen ließ. Das Telephon ist genauso wie das Typographeum auf öffentliche Netze angewiesen. Wer also wie die Telegraphengesellschaften' die klassische institutionelle Kundschaft im Hinterkopf hatte' dem konnte das Telephon durchaus als überflüssig erscheinen. Die'Dienstpost' ließ sich mit dem Telegraphen ebenso gut - wenn nicht noch besser erledigen: Man wollte ja schließlich z.B. als rechtsgültigen Beweis in Geschäftsangelegenheiten' etwas Schriftliches auf dem Tisch haben. Das Telephon als Imitation der face-to-face-Kommunikation ("articulating' speaking Telefone") übermittelte Informationen' die von beiden Seiten jederzeit geleugnet werden konnten. Hier gab es den objektiven Dritten' den oder die Telegraphenbeamten oder aber den maschinellen Ausdruck nicht mehr. Wer je daran gezweifelt hat' wie stark die institutionellen Netze auf das schriftliche Medium angewiesen sind' dem müssten gerade die Vorbehalte der Militärs' der Wirtschaftsunternehmen und der Finanzwelt gegen das Telephon eines besseren belehren. Verfolgen wir zunächst' wie in der amerikanischen Gesellschaft naturwüchsig verschiedene Anwendungsmöglichkeiten des Telephons durchgespielt wurden. A. G. Bell gründete 1877 die'Bell Telephon Company'' aus der später die'ATT' hervorging. In drei Jahren installierte sie immerhin 50 000 Telephone. Telephonsysteme als Intranet von Unternehmen und Behörden Einer der ersten Abnehmer der Bell'schen Telephone war der Unternehmer Charles Williams jun. in Boston. Am 4.4.1877 ließ er eine Leitung zwischen seinem Landsitz und seiner 50 km entfernten Fabrik in Boston in Betrieb nehmen. Gleichzeitig wurden in den Fabriken' aber auch in den herrschaftlichen Häusern die sowieso schon üblichen Klingelinformationssysteme durch Haustelephone ersetzt. Nur wenige Monate später' am 5.11. installierte man in Berlin die erste deutsche Telephonleitung zwischen dem Büro des Reichspostministers Stephan und dem Generaltelegraphendirektor in Berlin. (Spalte 1160 in Feldhaus) Das Telephon dient also der Verbesserung der innerbetrieblichen Kommunikation. Es beschleunigt das im Prinzip weiterhin mögliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Dabei erweist es sich gegenüber dem Telegraphen' der ja jeweils nur im Einweg-Betrieb arbeitet' als vorteilhaft. Für Vorgänge' die nicht unbedingt aktenkundig zu machen sind' hat das Telephon gegenüber dem an Schrift und damit an komplizierte Codierungs- und Decodierungsanforderungen gebundenen Telegraphen seine Vorteile. Dass praktisch jeder ohne zusätzliches Lernen das Telephongerät benutzen kann' eröffnete ihm auch von Anfang an eine Nutzung im privaten Bereich. Es wäre schwerlich schon im Januar 1878 zur Installierung des ersten städtischen Telephonnetzes in New Heaven gekommen' wenn nicht auch private Haushalte ein Interesse daran bekundet hätten' untereinander zum Austausch von Klatsch und Tratsch in Verbindung zu treten. Zumal in Amerika' wo keine Obrigkeit etwas dagegen hatte' konnte sich das Telephon als eine Technisierung alltäglicher Kommunikation entwickeln. Dem Vorteil eines unmittelbaren Feedbacks stand beim Telephon gegenüber dem Telegraphen der Nachteil einer schlechteren Übertragungsqualität auf längere Strecken gegenüber. Die Piepser ließen sich leichter übertragen als der 'analoge' Gesprächsfluss. Aufgrund dieser technischen Eigentümlichkeit war es anfangs vorzugsweise für die kleinräumige Kommunikation geeignet. Auf diese genannten Vorzüge stellten schon die ersten Werbetexte für das Telephon ab. "Wo immer Kommunikation oder Gespräche über eine gewisse Entfernung erforderlich sind' sind diese [Telephon]Apparate von großem praktischen Nutzen. Sie können ohne technische Vorkenntnisse für jeden Zweck und an jedem Ort benutzt werden' z.B. zwischen dem Geschäftsinhaber und Angestellten in Unternehmen' zwischen der Hauptbank und Filiale' im Bergbau als Verbindung zwischen dem Direktionsbüro und den Angestellten in der Mine' in großen Hotels oder Wohnhäusern' in Fabriken jeder Art zwischen dem Büro des Fabrikbesitzers und den Werkstätten' zwischen dem Polizeichef und seinen leitenden Beamten. Außerdem kann das Telephon als einfache Sprechröhre benutzt werden' die alle Vorteile der telegraphischen Kommunikation bietet." |
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Oberliesen, Rolf (1982): Information, Daten und Signale. Rowohlt-Verlag. Reinbek. | ||||||