Der genetische Ursprung der in der Abb. 15 als ›Nachbessern‹
bezeichneten letzten Korrekturschleife im typographischen Prozeß
reicht bis in die Zeit der Handschriftenproduktion zurück. Damals
wurden die fertigen Manuskripte von Buchmalern, manchmal auch vom Schreiber
selbst, verziert, der ›illuminiert‹. Den von den mittelalterlichen
Prachthandschriften verwöhnten, zugegeben wenigen Augen erschienen
die ausgedruckten Bögen in der Frühdruckzeit als kahl und unfertig.
So stellte man Illuminatoren an, die die fabrikmäßig erzeugten
Informationsmuster in hergebrachter handwerklicher Weise mit Miniaturen
und Ranken verzierten. Es brauchte seine Zeit, bis eine der Industrieform
angepasste neue Ästhetik die Geschmacksvorstellungen ersetzte, die
sich im Dialog zwischen den Skriptorien und ihren Auftraggebern entwickelt
hatten.
Eine weitere Übergangserscheinung in den Offizin des 15. Jahrhunderts
stellen die Rubrikatoren dar. Sie gingen den Text mit Feder und/oder Pinsel
durch, fügten in Schönschrift Initialen ein und markierten mit
zum Teil mehrfarbigen Strichen Satz- oder Sinngrenzen, Aufzählungen,
Absätze u.ä. In vielen Drucken wurde nicht nur Raum für
Miniaturen, sondern auch – und dies entschieden häufiger –
für die Anfangsbuchstaben der Kapitel ausgespart. Sie konnten dann
im nachhinein in mehr oder weniger aufwendiger Form durch einen Rubrikator
eingefügt werden. Mit fortschreitender Entwicklung des Buckdrucks
setzte man in diese Freiräume als Provisorium den fehlenden Buchstaben
in Minuskelform. Der Text war dann leichter zu lesen, wenn die Vervollständigung
per Hand ausblieb, was bei höheren Auflagen oft der Fall ist.
Da die Rubrikatorentätigkeit ohne eine Lektüre des Textes unmöglich
ist, lag es nahe, diesen Personenkreis auch für das Korrekturlesen
zu gewinnen. Dies dürfte beispielweise auch bei der Fertigstellung
der Gutenberg-Bibel geschehen sein.(48) Erst
später mag sich dann das Verhältnis umgekehrt haben; die spezifischen
Aufgaben der Korrektoren traten in den Vorder- und die kalligraphischen
der Rubrikatoren in den Hintergrund. Das Rubrizieren verlagerte sich im
typographischen Prozeß nach vorne, wurde von der Vor- oder Hauptkorrrektur
übernommen und damit dann auch typographisch substituiert: Virgel,
Rubrum und andere Sequenzierungsmarkierer der skriptographischen Textverarbeitung
erscheinen im Bleisatz. Handschriftliche Nachbesserungen verschwinden
im 16. Jahrhundert aus dem System der typographischen Informationstransformation.
Dafür treten andere Formen des nachträglichen Korrigierens in
den Vordergrund, die nicht mehr als Übergangserscheinung zwischen
der alten skriptographischen und der neuen typographischen Technologie
und Ästhetik zu verstehen sind. Die letzte Korrekturschleife erhält
neue Protagonisten und Funktionen. Sie führt jetzt, wie die anderen
Regulationskreise auch, zum Setzen zurück. Zu ihrer Grundfunktion
wird, auch nach Einleitung des eigentlichen Auflagendrucks und nach dem
Beginn oder gar dem Abschluß des Zusammenlegens noch Veränderungen
an den Produkten zu ermöglichen.
Die einfachste Form einer solchen nachträglichen Veränderung
ist die sogenannte der ›Preßkorrektur‹. Bei ihr unterbricht
man den Druck und korrigiert die übersehenen Fehler in den Druckformen.
Dies führt dazu, daß aus einer Vorlage zwei oder mehrere, frühere
und spätere, fehlerhafte und weniger fehlerhafte Druckvarianten entstehen.(49)
Weiterhin kann es sich im Verlauf des Auflagendrucks
herausstellen, daß es sinnvoll ist, die ursprünglich angepeilte
Auflage zu erhöhen. Auch dies ist eine Form der Korrektur des typographischen
Prozesses. Von ihr haben schon Gutenberg und Schöffer bei der Fertigstellung
der 42zeiligen Bibel Gebrauch gemacht.
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren, z.B. das Zerstören
einzelner Lagen, die nach dem Anlaufen des Auflagendrucks zu einer Nachbesserung
nötigen können. Wenn die ursprünglich verwendeten Druckformen
zum Zeitpunkt dieser Ereignisse oder Entscheidungen schon abgelegt sind,
wird ein Neusatz der entsprechenden Druckformen erforderlich. In der Buchforschung
spricht man von ›Zwitterdrucken‹, um die dann entstehenden
Bücher zu charakterisieren.(50)
Eine die Uniformität der typographischen Druckform nicht zerstörende
und deshalb elegantere Form der Nachbesserung als die Preßkorrekturen
sind die schon angesprochenen Druckfehlerverzeichnisse oder ›Errata‹.
Sie werden auf Anweisung der Korrektoren, oft auch jene der Autoren, denen
dann offenbar das schon fertige Werk zu einer letzten Durchsicht vorlag,
an den Text angehängt.
»O wievyl sollich Irrung in geschribnen bücher ich erfunden
hab«, klagt etwa H. Brunschwygk am Ende des von ihm verfaßten
Destillierbuchs (Straßburg 1500, f. 004v), und führt dann zwei
Spalten lang genau aus, welche Worte auf welchen Seiten in welchen Zeilen
in seinem Buch ›durch den Leser‹ verändert werden
sollen.
Der Charakter der Druckfehlerverzeichnisse als eine Korrektur der (Haupt)Korrektur
der Korrekturen kommt auch in Johann Dietenbergers Bibelübersetzung
aus dem Jahre 1534 zum Ausdruck. »Was durch eilen im truock
vbersehen ist / findest du am ende dieser bibel«, heißt
es in der Vorrede. Dort entschuldigt man sich dann beim ›aller
guetigsten Leser‹: »Wiewol wir mueglichen fleyss
nit gespart / Diß werck ... on allen manngel ... zu trucken / so
hab(n) wir doch nach außga(n)g [!] desselbige(n) / zum andern mal
solchs widerum(b) zu überlesen / kein verdrieß gehabt / damit
dem lesterrer / nit stat vnd raum gegeben werd / diß heylig buoch
zu tadeln vnd zu straffen / Vnd haben die noetigsten vnd fürnemsten
faehle oder jrru(n)ge / so bißweylen hierinne / von wegen / der
kurtzen / angesprengten zeit / darinn diß buoch zuo tra(n)sferirn
/ zu corrigern / vnd zu trucken fürgenommen worden ist / hiernach
volgend angezeigt.«(51)
Nach dieser Betonung der Selbstkorrektur folgt dann
noch der Hinweis auf die Notwendigkeit einer weiteren Korrektur durch
die Leser: »Dann es ist vnmüglich das in solchen grossen
büchern nit zu zeitten maengel vnd faehle solten übersehen /
vnnd gespürt werden.« (Ebd.) Selbst das Druckfehlerverzeichnis
wird nicht alle Mängel ausräumen. Der Prozeß der typographischen
Datenverarbeitung ist so komplex, daß auch mehrfache, institutionalisierte
Korrekturvorgänge nicht alle ›Irrtümer‹ beseitigen
können. So wird auch der Leser in die Korrekturschleife mit einbezogen.
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