Illuminieren, Rubrizieren und andere Formen der Nachbesserung
  Aus: Michael Giesecke: „Der Buchdruck in der frühen Neuzeit“
Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Frankfurt am Main, 1998, S. 87-123.
 

Der genetische Ursprung der in der Abb. 15 als ›Nachbessern‹ bezeichneten letzten Korrekturschleife im typographischen Prozeß reicht bis in die Zeit der Handschriftenproduktion zurück. Damals wurden die fertigen Manuskripte von Buchmalern, manchmal auch vom Schreiber selbst, verziert, der ›illuminiert‹. Den von den mittelalterlichen Prachthandschriften verwöhnten, zugegeben wenigen Augen erschienen die ausgedruckten Bögen in der Frühdruckzeit als kahl und unfertig. So stellte man Illuminatoren an, die die fabrikmäßig erzeugten Informationsmuster in hergebrachter handwerklicher Weise mit Miniaturen und Ranken verzierten. Es brauchte seine Zeit, bis eine der Industrieform angepasste neue Ästhetik die Geschmacksvorstellungen ersetzte, die sich im Dialog zwischen den Skriptorien und ihren Auftraggebern entwickelt hatten.
Eine weitere Übergangserscheinung in den Offizin des 15. Jahrhunderts stellen die Rubrikatoren dar. Sie gingen den Text mit Feder und/oder Pinsel durch, fügten in Schönschrift Initialen ein und markierten mit zum Teil mehrfarbigen Strichen Satz- oder Sinngrenzen, Aufzählungen, Absätze u.ä. In vielen Drucken wurde nicht nur Raum für Miniaturen, sondern auch – und dies entschieden häufiger – für die Anfangsbuchstaben der Kapitel ausgespart. Sie konnten dann im nachhinein in mehr oder weniger aufwendiger Form durch einen Rubrikator eingefügt werden. Mit fortschreitender Entwicklung des Buckdrucks setzte man in diese Freiräume als Provisorium den fehlenden Buchstaben in Minuskelform. Der Text war dann leichter zu lesen, wenn die Vervollständigung per Hand ausblieb, was bei höheren Auflagen oft der Fall ist.
Da die Rubrikatorentätigkeit ohne eine Lektüre des Textes unmöglich ist, lag es nahe, diesen Personenkreis auch für das Korrekturlesen zu gewinnen. Dies dürfte beispielweise auch bei der Fertigstellung der Gutenberg-Bibel geschehen sein.
(48) Erst später mag sich dann das Verhältnis umgekehrt haben; die spezifischen Aufgaben der Korrektoren traten in den Vorder- und die kalligraphischen der Rubrikatoren in den Hintergrund. Das Rubrizieren verlagerte sich im typographischen Prozeß nach vorne, wurde von der Vor- oder Hauptkorrrektur übernommen und damit dann auch typographisch substituiert: Virgel, Rubrum und andere Sequenzierungsmarkierer der skriptographischen Textverarbeitung erscheinen im Bleisatz. Handschriftliche Nachbesserungen verschwinden im 16. Jahrhundert aus dem System der typographischen Informationstransformation. Dafür treten andere Formen des nachträglichen Korrigierens in den Vordergrund, die nicht mehr als Übergangserscheinung zwischen der alten skriptographischen und der neuen typographischen Technologie und Ästhetik zu verstehen sind. Die letzte Korrekturschleife erhält neue Protagonisten und Funktionen. Sie führt jetzt, wie die anderen Regulationskreise auch, zum Setzen zurück. Zu ihrer Grundfunktion wird, auch nach Einleitung des eigentlichen Auflagendrucks und nach dem Beginn oder gar dem Abschluß des Zusammenlegens noch Veränderungen an den Produkten zu ermöglichen.
Die einfachste Form einer solchen nachträglichen Veränderung ist die sogenannte der ›Preßkorrektur‹. Bei ihr unterbricht man den Druck und korrigiert die übersehenen Fehler in den Druckformen. Dies führt dazu, daß aus einer Vorlage zwei oder mehrere, frühere und spätere, fehlerhafte und weniger fehlerhafte Druckvarianten entstehen.
(49) Weiterhin kann es sich im Verlauf des Auflagendrucks herausstellen, daß es sinnvoll ist, die ursprünglich angepeilte Auflage zu erhöhen. Auch dies ist eine Form der Korrektur des typographischen Prozesses. Von ihr haben schon Gutenberg und Schöffer bei der Fertigstellung der 42zeiligen Bibel Gebrauch gemacht.
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren, z.B. das Zerstören einzelner Lagen, die nach dem Anlaufen des Auflagendrucks zu einer Nachbesserung nötigen können. Wenn die ursprünglich verwendeten Druckformen zum Zeitpunkt dieser Ereignisse oder Entscheidungen schon abgelegt sind, wird ein Neusatz der entsprechenden Druckformen erforderlich. In der Buchforschung spricht man von ›Zwitterdrucken‹, um die dann entstehenden Bücher zu charakterisieren.
(50) Eine die Uniformität der typographischen Druckform nicht zerstörende und deshalb elegantere Form der Nachbesserung als die Preßkorrekturen sind die schon angesprochenen Druckfehlerverzeichnisse oder ›Errata‹. Sie werden auf Anweisung der Korrektoren, oft auch jene der Autoren, denen dann offenbar das schon fertige Werk zu einer letzten Durchsicht vorlag, an den Text angehängt.
»O wievyl sollich Irrung in geschribnen bücher ich erfunden hab«, klagt etwa H. Brunschwygk am Ende des von ihm verfaßten Destillierbuchs (Straßburg 1500, f. 004v), und führt dann zwei Spalten lang genau aus, welche Worte auf welchen Seiten in welchen Zeilen in seinem Buch ›durch den Leser‹ verändert werden sollen.
Der Charakter der Druckfehlerverzeichnisse als eine Korrektur der (Haupt)Korrektur der Korrekturen kommt auch in Johann Dietenbergers Bibelübersetzung aus dem Jahre 1534 zum Ausdruck. »Was durch eilen im truock vbersehen ist / findest du am ende dieser bibel«, heißt es in der Vorrede. Dort entschuldigt man sich dann beim ›aller guetigsten Leser‹: »Wiewol wir mueglichen fleyss nit gespart / Diß werck ... on allen manngel ... zu trucken / so hab(n) wir doch nach außga(n)g [!] desselbige(n) / zum andern mal solchs widerum(b) zu überlesen / kein verdrieß gehabt / damit dem lesterrer / nit stat vnd raum gegeben werd / diß heylig buoch zu tadeln vnd zu straffen / Vnd haben die noetigsten vnd fürnemsten faehle oder jrru(n)ge / so bißweylen hierinne / von wegen / der kurtzen / angesprengten zeit / darinn diß buoch zuo tra(n)sferirn / zu corrigern / vnd zu trucken fürgenommen worden ist / hiernach volgend angezeigt.«
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Nach dieser Betonung der Selbstkorrektur folgt dann noch der Hinweis auf die Notwendigkeit einer weiteren Korrektur durch die Leser: »Dann es ist vnmüglich das in solchen grossen büchern nit zu zeitten maengel vnd faehle solten übersehen / vnnd gespürt werden.« (Ebd.) Selbst das Druckfehlerverzeichnis wird nicht alle Mängel ausräumen. Der Prozeß der typographischen Datenverarbeitung ist so komplex, daß auch mehrfache, institutionalisierte Korrekturvorgänge nicht alle ›Irrtümer‹ beseitigen können. So wird auch der Leser in die Korrekturschleife mit einbezogen.

 


 
(48) Vgl. Geldner 1978 op. cit. 130f. mit weiterer Literatur.
 
(49) Vgl. Boghardt 1984 op. cit. 224.
  
(50) Johannes Luther: Zwitterdrucke in der Reformationszeit. In: Zeitschrift für Bücherfreunde. NF I, I; 1990:
109-114.
 
(51) Facsimilé der letzten Seite der Vorrede bei Hans Widmann (Hg.): Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. 2, Hamburg 1965: 19.
 
 
 

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