Das Typographeum kennt ebenfalls nur eine Eingabeform,
das Manuskript. Es setzt insoweit Schreibstuben, zumindest deren Minimalform,
das Einmannskriptorium, voraus. Diese technologische Voraussetzung hat
natürlich sozialhistorische Konsequenzen: In Kulturen, in denen die
Skriptorien nicht weit verbreitet sind, kann es nicht zu einer stetigen
Beschickung der Druckereien kommen. Je größer andererseits
die Alphabetisierung, umso häufiger und intensiver läßt
sich die typographische Datenverarbeitung nutzen.
Es verwundert insofern nicht, dass der Buchdruck seinen globalen Siegeszug
gerade von den spätmittelalterlichen Städten des Oberrheins
aus antrat und in der zweiten Phase in den oberitalienischen Städten
so begeistert aufgenommen wurde. Diese sozialen Gebilde waren zur Aufrechterhaltung
ihrer Verwaltung und Ökonomie auf Skriptorien in hohem Maße
angewiesen.(1)Ihre Bewohner
müssen entsprechend vergleichsweise hochalphabetisiert gewesen sein;
zahlreiche skriptographische Textsorten boten sich für typgraphische
Vervielfältigung geradezu an.
Die Abhängigkeit der typographischen Datenverarbeitung von der skriptographischen
besteht übrigens sowohl im Hinblick auf die Eingabe- als auch auf
die Ausgabefunktion: Die Produkte der Skriptorien und des Typographeums,
die handgeschriebenen und die ausgedruckten Texte, sprechen bei Menschen
die gleichen Sinne an und verlangen ähnliche Dekodierungsanstrengungen.
Man unterscheidet deshalb normalerweise nicht zwischen der Rezeption handgeschriebener
und jener typographisch erstellter Texte, beides läuft unter dem
Oberbegriff ›Lesen‹.
Genauere historische und psychologische Untersuchungen zeigen dann freilich
noch Differenzen. So weiß man etwa, daß vor der Einführung
des Buchdrucks überwiegend ›lautierend‹ gelesen wurde.
Man nutzte, wie heute noch jedes Kind beim ›Buchstabieren‹
im Erstleseunterricht, die Artikulationsorgane im Dekodierungsprozeß.
Die heute ganz übliche strikte Unterscheidung zwischen dem stillen
›Lesen‹ und dem ›Hören‹ war dem Mittelalter
unbekannt. Wer las, der hörte auch. Wenn man andererseits von ›Hören‹
sprach, so konnte damit auch das Zuhören beim eigenen Lesen und natürlich
erst recht beim ›Vorlesen‹ durch andere gemeint sein.(2)
Aus der eigenen Erfahrung werden außerdem die
meisten wissen, daß die Lesegeschwindigkeit bei fremden handgeschriebenen
Texten normalerweise weit geringer liegt als bei den gedruckten. Diese
Differenz mag für Texte, die früher von geschulten Schreibern
mit normierten Alphabeten ›gemalt‹ wurden, geringer gewesen
sein. Kaum zu entziffernde Handschriften muß es aber, wie die vielen
Klagen in der Literatur bezeugen, zu allen Zeiten gegeben haben.(3)
Die heute von jedem Schulabgänger erwartete
und anhand von gedruckten Texten geübte Lesegeschwindigkeit erreichte
man vor der Ausbreitung des Buchdrucks wohl nur in Ausnahmefällen.
Sie hat u.a. eine Zurückdrängung des Mitartikulierens und eine
Konzentration auf die sehende Rezeption zur Voraussetzung.
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