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Zeilensatz und Seitensatz |
Aus: Michael Giesecke:
„Der Buchdruck in der frühen Neuzeit“ Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Frankfurt am Main, 1998, S. 87-123. |
»Das Setzen ist ein Ausdruck, welcher mehrere
Arbeiten so wol des Geistes als auch des Körpers in sich begreift«,
heißt es in einem Handbuch der Buchdruckerkunst zu Beginn des 19.
Jahrhunderts.(12) Der Setzer übernimmt mit anderen
Worten manuelle Aufgaben, setzt die vielfältigen Werkzeuge in Bewegung
und gibt ihnen damit ihren technischen Sinn. Zugleich lenkt und überwacht
er den Prozeß. »Wann sie [die Setzer] darnach wollen
etwas Im ersten Schritt nimmt der Setzer als eine Letter
nach der anderen aus dem Setzkasten und fügt sie auf einem Winkelhaken
zu einer Zeile zusammen. Voraussetzung für diese Tätigkeit ist
neben den Lettern und dem Setzkasten also schon ein weiteres technisches
Hilfsmittel, das von Gutenberg zu entwickeln war, ein ergonomisch gestalteter
Winkelhaken. Diese Holzleiste mußte in einer Hand zu halten und
von dieser auch zu bedienen sein; die andere Hand wählte die Lettern
aus. |
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Abb. 11: Die Verwandlung eines Textes beim Zeilenausgleich |
So wie die ›aufgelöste‹ Textpassage
wird das Manuskript nicht ausgesehen haben: Auch dort dürften sich
Abkürzungen und Auslassungen gefunden haben. Der ausgeschriebene
›Normaltext‹ stellt eher die beim Setzer wohl nur kognitiv
repräsentierte Zwischenstufe zwischen dem Manuskript und dem Druck
dar. In diese Form übersetzt er im Idealfall den Text, um ihn dann
entsprechend der Maximen und Anschlussregeln mit dem zur Verfügung
stehenden Raum für die Kolumnen und mit seinen eigenen ästhetischen
Ansprüchen in Einklang zu bringen. Zu lang geratene Zeilen verkürzt
er durch Abbreviaturen, zu kurz geratene ergänzt er durch Blindmaterial
und – in der Frühzeit des Drucks – durch Verdopplung
von Buchstaben. Bei den meisten Druckern war es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
üblich, unter die letzte Textzeile einer Seite eine Zeile mit Blindmaterial
und an deren Ende das erste Wort der folgenden Seite, die sog. ›Kustoden‹,
zu setzen. Auch an das obere Ende der Seite fügte man in einer sog.
›Kopfzeile‹ Metainformationen über den Text ein. Diese kurze Einführung in die Aufgaben des
Setzers mag schon ausreichend zeigen, wie wenig sich seine Tätigkeit
auf die bloße Transkription des Manuskripts beschränkt. Er
vermittelt vielmehr – mehr oder weniger geschickt – zwischen
den Textverarbeitungsprogrammen des skriptographischen und des typographischen
Informationssystems. Seine berechnenden und planenden kognitiven Leistungen
ließen sich bis in die jüngste Zeit hinein kaum technisch substituieren.
Die Transformation der informativen Muster bleibt wie in den Skriptorien
in hohem Maße an einen psychischen Prozessor, den Menschen gebunden.
Sie ließ sich nicht automatisieren. In den technischen Instrumenten
des Typographeums haben sich zwar Berechnungen und ästhetisches Gefühl
vergegenständlicht, aber sie können letztlich weder wahrnehmen
noch planen. Sie vereinfachen die Textherstellung, ersetzen viele Fingerfertigkeiten
und standardisieren die übrigen, sie präformieren die kognitiven
Leistungen des Menschen, aber sie belassen diese doch im Zentrum des Transformationsprozesses. |