Legitimation deutschsprachiger ‘publication’ (A. Libavius)
  Aus: Libavius: Alchimistische Praktik, Frankfurt 1603.
 

„An den Leser.
Es sindt mir lieber Leser / zwey feine Achymistische Tractätlein von guten freundten zukomen/ wiewol unbewust wer sie zugerichtet. Dieselben / weil ich Sie zu allerley handtgriff zuverstehen/ unnd gute Artzneyen zubereiten / gut vnd nutz erachtet: hab ich dir sie nicht verhalten wollen. Du magst davon vrtheilen/ was du recht befindest. Ich hab mir das judicium Atheniensium von Hippocrate belieben lassen//welchen sie vnder andern auch derenthalben zu ehren meineten: Quia scripta de arte medica exacta edidit, multos esse volens medicos, qui seruare possent. Wüntsche auch daß solches Werck zu Gottes ehr / vnd deß Rechsten sonderlich Deutscher Nation, muß wie es ahngesehen/ gereiche. Es ist nicht ohn/ daß solche Deutsche werck den vngelehrten die kunst gemein mache/ vnd also gleich den Sewen [Säuen] die Perlen vorwerffen. Ist vor diese mein gemüth auch gewesen von solchem mich abzuhalten. Aber ich hab vermerckt/ daß die gelehrten mehren theils der kunst nichts achten / vnd vielmehr darumb der publication [sic!] zuwider sein/daß der gemeine Deutsche nicht verstehe wie gelehrt sie sein/vnnd also nicht dörffen fleissig der heimlichkeit der natur nachforschen. Wolten lieber/ wie die albern heinßen in der Dialectic, daß alle scharpfe kunst vnder der Erden faulte: So weren sie bey irer vnwissenheit auch weise Leute: Ist einer den solche publication verdreust / der ermuntere sich/vnnd lerne nicht allein dieses/ sondern trachte auch nach etwas höhers/ also d[a]z es jm kein Vngelehrter könne nachthun. Es hat ein jede kunst vnd ingenium seinen gradt. Wie man auch die kunst lehret/fassen sie doch nicht alle. Medicus manet medicus etiam si aliquid simile arripiat stultus. Du sihest in Schulen/ daß auß gleichem fleiß vngleiche profectus entstehen. Es wirdt die Alchymia wol für den vngeschickten bleiben/ wils aber einem Gott gönnen/ bekömpt er’s auch wieder deinen willen/ du schreibst Deutsch / Welsch / oder Lateinisch davon: was du dich in Deutschen befahrest / kann in latein auch geschehen/ doch soltu wissen daß nicht alles also erkleret ist/ daß es balt ein jeder im ersten anschauwen oder flug erhaschen möge. Multa scribuntur initiatis: Gleichwol hab ich mich der mühe (wiewol ich sonst genug zu schaffen) nicht verdriessen lassen etwas darzu zusetzen/ vnd wie viel ich verstanden/ zuerklären. Das magstu in Gottes namen zum besten brauchen.“
 

 

Unterpunkt Die außerwissenschaftlicher Umwelt, die ‘layen’, der ‘gemein man’ werden – im Gegensatz zum scholastischen Wissenschaftsbetrieb als Überprüfungsinstanz akzeptiert.
Unterpunkt Die Gleichwertigkeit der Sprachen wird anerkannt.
Unterpunkt Die ‘Ehre’ nicht zunächst des Autoren sondern der ‘Deutschen Nation’ dient als Legitimationsgrund.
 

 

 

www.kommunikative-welt.de Geschichte ©Michael Giesecke