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Vom Objekt zum Prozess - vom Foto zum Film |
Im 19. Jahrhundert werden die nun zu ,Guckkästen' perfektionierten und miniaturisierten Apparate auch zu Elementen des Privatlebens, als "Spielzeug erhalten sie mehr und mehr Einzug in die Häuser ... die unterschiedlichsten optischen Effekte werden bei der Vorführung erzielt. Zu den interessantesten gehören die sogenannten Verwandlungsbilder. Diese sind so bemalt, dass der Betrachter eine gewöhnliche Abbildung sieht, wenn der Kastendeckel geöffnet ist und das Licht auf die Vorderseite des Bildes fällt. Schließt man den Deckel nach und nach und öffnet gleichzeitig die Rückwand des Gerätes, so verwandelt sich durch das nun von hinten einfallende Licht die Szenerie: Nacht bricht herein, Lichter gehen an, und Dinge erscheinen im Dunkel, die zuvor nicht dagewesen sind. Diese Wirkung wird erreicht, indem Teile des Bildes transparent gemalt sind und nur bei Durchlicht zur Geltung kommen, während andere Teile nur bei der Betrachtung mit Auflicht sichtbar sind." [4] | ||
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Abb: Vom Schattenbild zum wirklichen Bild - Das
Bioscop um 1900 (aus Weimarer Republik, Katalog zur Ausstellung , S. 439) |
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In den folgenden Jahren werden eine Vielzahl von solchen künstlichen Schaubühnen, das Cosmorama, das Panorama mit runden Landschaftsgemälden, die einen Rundblick über 360 Grad genau wiedergeben, Spiegelkabinette usf. |
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Abb: Kaiserpanorama |
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Je mehr die Laterna Magica technisch perfektioniert wurde, desto mehr bemühte man sich auch, dynamische Prozesse zu modellieren, etwa indem man den Bewegungsablauf in einzelne Bilder zerlegte, die man dann schnell hintereinander durch den Lichtkegel einer Kamera zog. Die Verknüpfung dieses Interesses an Bewegungsstudien und an deren Reproduktion mit den technischen Möglichkeiten der Fotographie kann als der Ursprung des Films betrachtet werden. Man stellte sich nämlich die Aufgabe, die Bewegungsstudien nicht nur einfach mit dem unbewaffneten Auge vorzunehmen, und sie dann zeichnerisch niederzulegen, sondern man wollte den ,objektiven' Blick des Fotoapparats ausnutzen. Ja, für einzelne Aufgaben schien der Gebrauch dieses technischen Gerätes schier unabweisbar. Schon lange gab es beispielsweise zwischen den Pferdenarren und den Künstlern eine Diskussion darüber, ob die Pferde irgendwann in ihrem Lauf alle Hufe zuzüglich vom Boden nehmen (Vgl. Ernst Gombrich, Kunst und Illusion). Der kalifornische Gouverneur und Industrielle Leland Stanford wollte seine These, dass das Pferd im Galopp zeitweise keinen Bodenkontakt mehr hat, endlich beweisen. Er beauftragte den Fotographen E. James Muybridge 1872, seine These mit Hilfe der Kamera zu beweisen. Diesem gelang dies, indem er in gewissen Abständen an der Rennbahn 12 Kameras aufstellte und deren Verschlüsse durch das vorbeirasende Pferd auslösen ließ. Er hatte dazu 12 Fäden über die Bahn seines Rennstallbesitzers und Auftraggebers gespannt. In der Tat zeigt sich, dass das Pferd in einer kurzen Phase ,abhob'. [5] | ||
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Abb: 12 Momentaufnahmen eines galoppierenden Pferdes |
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1872 behauptete der kalifornische Gouverneur und Eisenbahnmagnat
Leland Stanford, dass ein Rennpferd in gewissen Momenten "fliege", also
den Boden mit den Hufen nicht mehr berühre. Der Fotograph Eadeweard James
Muybridge erhielt den Auftrag, die These auf fotographischem Wege zu beweisen.
Mit 12 nebeneinander am Rande der Rennbahn aufgestellten Kameras gelang
ihm ein fotographischer Film. (Hadorn/Cortesi, S. 197) Es zeigt sich hier ein weiteres Mal wie durch die Technisierung der menschlichen Informationsverarbeitung neue Konzepte zur Wahrnehmung und andere Formen des Wissens entstehen. "Die Erkenntnis, die chronophotographische Darstellungen liefern, ziehen einen Schlußstrich unter die Vorstellungen, die man sich bis dahin von menschlichen und tierischen Bewegungsabläufen machte." Abbildungsfolgen von Pferden in Bewegung - ein beliebtes Motiv in Bildertrommel oder Praxinoskop - die Maler vor der Veröffentlichung der Arbeiten von Muybridge und Marey angefertigt hatten, wirken in der Gegenüberstellung mit diesen eher komisch. Der Einfluß der Chronophotographie auf die graphische Wiedergabe von Bewegung ist in der Folgezeit unübersehbar. |
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Abb: in ein Bildstreifen gereihte Momentaufnahmen |
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Anim: (mit Computer) animierter Bildstreifen |
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Die Wahrnehmung von dynamischen Prozessen stellt man
sich zunehmend als Verkettung von Einzelbildern vor. Als "realistisch"
gelten entsprechend Abbildungen, die die Bewegungen in Sequenzen zerlegen
und diese dann fotorealistisch aufs Papier bannen. Natürlich wird dadurch
der Prozess entdynamisiert, zur Addition von Zuständen erklärt. |
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[4] Aus der Broschüre ,Perspektiven.
Zur Geschichte der filmischen Wahrnehmung. Dauerausstellung 1: Vom Guckkasten
zum Cinematrographe Lumière' des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt,
1986, S. ?? [5] Allerdings nicht in jener Phase mit ausgestreckten Vorder- und Hinterbeinen, die in der Malerei als Abheben dargestellt wurde. |
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