Kanonische Pinselhaltung beim Schreiben
  „Die Pinselhaltung beim Schreiben unterscheidet sich wesentlich von der in Europa beim Malen üblichen. Nach den orthodoxen Regeln sitzt der Pinsel fest und unbeweglich zwischen den Fingern, wobei ihn außer dem Daumen noch ein oder zwei Finger umspannen können (Abb.), je nach der Größe der zu schreibenden Zeichen. Insgesamt sind die Finger nur leicht geschlossen, bilden also keine verkrampfte Faust. Ein Ei soll in der Höhlung der Hand noch Platz finden können. Diese Haltung nennt man >>leicht den Steigbügel berühren<<, chinesisch: po-teng, japanisch: hattô 撥鐙. Bei der Kaisho 楷書, der Normalschrift, soll der Pinsel stets absolut senkrecht zur Schreibfläche stehen, darf also nicht zur Seite geneigt sein wie bei der abendländischen Mal- und Schreibtechnik. Lediglich bei stark bewegten Schrifttypen wie der Sôsho 草書und der Hiragana ひらがな ist der Pinselstiel in der Hand freier beweglich. Die Schreibbewegung erfolgt aus dem Schultergelenk, kaum aus dem Ellenbogen und noch weniger aus dem Handgelenk heraus. Das Zentrum des Körpers soll die Bewegung steuern, nicht etwa bloß die eigentlich schreibende Hand. Auf diese Weise überträgt sich die Kraft und der Charakter der Persönlichkeit besser und unmittelbarer aus Schreibgerät und damit aufs Papier. Die Sicherheit des Schreibers muss soweit entwickelt sein, dass er das Handgelenk beim Schreiben nicht ausstützen muss; dies darf er höchstens bei extrem kleinen Zeichen." Aus Ausstellungskatalog: Sho. Pinselschrift und Malerei in Japan von 7.-19. Jahrhundert. Köln 1975, S.18f.
 

Rechts: Tankôhô Pinselhaltung mit einem umgespannenden Finger

Links: Sôkôhô Pinselhaltung mit zwei umspannenden Fingern

 

 

 

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