Handschriftliche Kommunikation mit Gedichtbrief im Altertum des Japans
  aus Donald Keene: Japanische Literatur. Eine Einführung für westliche Leser. Zürich 1962, S.33f.
 

"Die Bedeutung der Gedichte als Vermittler in Liebessachen entstand aus der etwas seltsamen Art der Werbung der japanischen Aristokratie im neunten, zehnten und elften Jahrhundert, als die Regeln der Dichtkunst aufgestellt wurden. Da die Hofdamen von keinem anderen als ihrem angetrauten Ehemann gesehen werden durften, war bei den Gesprächen zwischen den Liebenden, zumindest im Anfangsstadium, die Dame hinter einem Wandschirm verborgen. Diese Formalisierung der Beziehung zwischen den beiden Menschen begünstigte die Verwendung der förmlicheren Sprache der Dichtung. Wenn die Liebenden gerade nicht miteinander sprachen, sandten sie ständig die Botschaften hin und her, die bisweilen, je nach der Jahreszeit an einem Zweig Pflaumenblüten oder einem roten Ahornblatt befestigt waren. Natürlich waren auch diese Mitteilungen in Gedichtform und wurden nicht nur nach ihrem Inhalt, sondern auch nach der Schrift beurteilt. Die übliche Art, eine Liebesgeschichte anzufangen, war dass der junge Mann, der die Dame seiner Wahl nie erblickt hatte, ein Gedicht für sie verfasste. Dann wartete er voller Ungeduld auf ihre Antwort.

 

<<Sie wählte ein chinesisches, sehr stark parfümiertes Papier. Am Stengel dieser Sumpfblume muss irgendetwas auszusetzen sein. Sonst wäre sie auf den Marschwiesen am Meer nicht unbeachtet geblieben, und während er es begierig überflog, schien Genji, der Schrift fehle es an Kraft und Entschiedenheit. Doch besaß sie mehr Bildung und Charakter, als er zu hoffen gewagt hatte; und im großen ganzen war er recht erleichtert.>> (Die Geschichte vom Prinzen Genji, übersetzt nach Waley, S.547.)

 

Doch manchmal bekam der glühende Liebhaber auch eine kalte Dusche:

 

<<Es war eine unbedeutende Antwort, und sogar die Schrift schien Fürst Sochis erwartungsvollem Blick irgendwie unbestimmt und ohne Eigenart. Tatsächlich war er bei ihrem Anblick ganz und gar nicht sicher, ob er nicht einen großen Fehler begangen habe.>> (A.a.O., S.497.)

 

Es gab keine bessere Methode, das Herz einer Frau zu erobern, als mit einem schönen, auf genau dem richtigen Papier geschriebenen Gedicht. Und ausschlaggebend war, dass

 

<<sie nur erfreut und geschmeichelt von der Elegenz der Botschaft sein konnte: denn sie war nicht nur mit der wundervollsten Schrift geschrieben, sondern auch mit einer achtlosen Gewandtheit gefaltet, die sie sehr bewunderte.>> (A.a.O., S.497.)“

 
 

 

 

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