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Segmentäre und stratifikatorische Differenzierung der sprachlichen Verhältnisse |
Nach folgenden Eigenschaften von Teilsystemen kann zu ihrer
näheren Charakterisierung und zur analytischen Aufgliederung sprachlicher
Verhältnisse gefragt werden: |
1. | Stilistisch-funktionale Anwendungsbereiche und -restriktionen. Man kann im Anschluss an Havranek weiter unterteilen in: | ||||||
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Hierbei können auch die unterschiedlichen Arten der kommunikativen und kognitiven Inhalte betrachtet werden' die im jeweiligen Teilsystem transportiert werden. |
2. | Soziale Verbreitung (Trägerschicht) |
3. | Regionale Verbreitung |
4. | Genesis |
5. | Repräsentationsniveau und Möglichkeiten der Präsentation der einzelnen Teilsysteme. Wichtig ist hier die Untersuchung der Oppositionen 'gesprochen': 'geschrieben': 'gedruckt' sowie die Form der Aneignung der kommunikativen Fähigkeiten und der Grad ihrer Bewusstheit. [2] |
6. | (Linguistische) Struktur der sprachlichen Mittel |
7. | Charakter der Normierung'
Grad der Standardisierung und Art der Prestigefunktion
des sprachlichen Systems. [3] Wendet man das vorgeschlagene Raster bei der Betrachtung etwa der spätmittelalterlichen Verhältnisse an und nimmt die Oppositionen der Präsentationsebenen als Ausgangspunkt der Beschreibung' dann kann sich die folgende graphische Darstellung der sprachlichen Teilsysteme in jener Zeit ergeben: |
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Schon aus diesem - natürlich sehr vereinfachenden - Schaubild wird dieZersplitterung der sprachlichen Verhältnisse der Feudalzeit deutlich. Bei einer genaueren Analyse der einzelnen Teilsysteme, die systematisch nach den in der Tabelle aufgeführten Gesichtspunkten vorgeht, würde die individuelle Eigenart und enorme Begrenztheit dieser Teilbereiche noch klarer hervortreten. Es wird aber schon so deutlich, dass die Vielzahl kommunikativer Aufgaben jener Zeit mit einer Vielzahl spezieller, in ihren Funktionen bornierten, aber damit auch für die jeweiligen Kommunikationspartner überschaubaren und einfach handhabbaren Werkzeugen bewältigt wurde. Die einzelnen Teilsysteme sind teilweise miteinander verknüpft, insgesamt sind sie aber nicht zu einem geschlossenen Gesamtsystem integriert. Es gibt kein Kommunikationsmittel, welches, vergleichbar der gegenwärtigen Umgangs- oder Standardschriftsprache, in allen Kommunikationsbereichen die Verständigung ausreichend sichern könnte. Es sind ganz andere kommunikative Schwierigkeiten und Widersprüche zu bewältigen, als sie unter heutigen Verhältnissen zu erwarten sind, kurz, die Komplexitätsstruktur der sprachlichen Verhältnisse und damit auch die sprachliche Kompetenz der Kommunikationsteilnehmer unterscheidet sich grundsätzlich von derjenigen unserer gegenwärtigen Kommunikationsgemeinschaft. Im folgenden Kapitel sollen einige Mechanismen und Triebkräfte genannt werden, die bei der Umstrukturierung der mittelalterlichen sprachlichen Verhältnisse in die neuzeitlichen eine Rolle gespielt haben. Dabei werden in einem Exkurs die kognitiven Konsequenzen berücksichtigt, die mit dieser Verschiebung der Präsentationsebenen und der Integrationsarten der sprachlichen Arsenale zusammenhängen. 6. Standardschriftsprachen und allgemeine Schriftlichkeit Der entscheidende Anstoß zur Überwindung der mittelalterlichen zersplitterten sprachlichen Verhältnisse geht im 15. Jahrhundert von der Einführung eines neuen sprachlichen Werkzeugsystems, dem ,gemeinteutsch' aus. In der Folge wird, von diesem Teilsystem ausgehend, das gesamte sprachliche System umgestaltet und in stilistisch-funktionaler wie in regionaler und sozialer Hinsicht vereinheitlicht. Das ,gemeinteutsch' kann diese unifizierende Funktion u.a. aufgrund seines durch die schriftsprachliche Präsentationsebene und die druckschriftlichen Verbreitungsmöglichkeiten gegebenen Allgemeinheitsgrad wahrnehmen. Es ist ein hauptsächlich im Gefolge der Anforderungen des Buchdrucks künstlich geschaffenes Werkzeug, dem weder |
ein vorher vorhandener Funktionalstil noch | |
ein sozialer Ideolekt noch | |
ein (regionaler) Dialekt noch | |
fremde sprachliche Existenzformen (Latein) |
entsprechen. Keines dieser sprachlichen Teilsysteme kann als Früh- oder Vorform des ,gemeinteutsch' betrachtet werden. Auch seine Struktur ist nicht als bloße Übersetzung der Strukturen vorhandener gesprochener ,deutscher' Sprachen oder auch ausländischer Schriftsprachen zu verstehen.[4] Vielmehr entwickelt es eigene Symbole, Verknüpfungsmechanismen und Gattungen, die der neuen druckschriftlichen Kommunikationssituation und dem gewachsenen Alphabetisierungsgrad entsprechen. Dieses neue sprachliche Werkzeugsystem ist das Ergebnis einer zielgerichteten Auswahl und Verknüpfung verschiedener Momente der damals vorliegenden sprachlichen Systeme und relativ neuer Kommunikationsformen. Eine der wichtigsten dieser neuen Kommunikationsformen ist die gedruckte volkssprachliche Fachprosa. |
[1] Havranek,
Theorie der Schriftsprache (s. Anm. 43) 108. [2] Die Opposition 'handgeschrieben': 'gedruckt' wird z B. von Haugen als Abgrenzungskriterium der 'Writing Tradition' von der 'Standard Language' benutzt. Haugen, Scandinavian Languages (s. Anm. 47) 565. [3] Vgl. zur 'Standardisierung':Joyce O. Hertzler, Social Uniformation and Language. In: Sociological Enquiry 36. 2 (1966), 298-312. Zur 'Prestigefunktion': Garvin, Standard Language (s. Anm. 39) 522. [4] Für die Unmöglichkeit einer solchen Zurückführung spricht m.E. der gesamte Verlauf und die Ergebnisse der Diskussion um die Entstehung der fnhd. bzw. nhd. Schriftsprache. Alle direkten Ableitungsversuche, ob sie von der Kanzlei Karls IV., der meißnischen Mundart oder der Person Luthers ausgehen, haben sich als unzulänglich herausgestellt und Widerspruch gefunden. Sie sind auch, wie L. E. Schmitt in seiner umfassenden Darstellung der Forschungsergebnisse zeigen kann, in sich häufig widersprüchlich. Ludwig E. Schmitt, Entstehung und Struktur der neuhochdeutschen Schriftsprache 1 (Köln/Graz 1966), hier bes. 137-161. Deutlich wird die These von der ,Neuheit' der sich herausbildenden nhd. Schriftsprache von Wolfgang Fleischer in seinen Strukturellen Untersuchungen zur Geschichte des Neuhochdeutschen (Berlin/DDR 1966. = Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie d. W. 112.6) vertreten: Diese Schriftsprache ist kein Interdialekt, keine in dieser Form [irgendwann und] irgendwo gesprochene mundartliche Ausgleichssprache (ebd. 95). Auf der Ebene der sprachlichen Mittel läßt sich wahrscheinlich das ,gemein teutsch' zu jener Zeit noch gar nicht als Einheit ausgrenzen: Im 14 und 15 Jahrhundert konnte natürlich von einer syntaktischen Norm im modernen Sinne des Wortes noch keine Rede sein; dazu waren die syntaktischen Gesetzmäßigkeiten, die sich in der literarischen Prosa entwickelten, noch zu wenig gefestigt. Für die Schreibsprachen jener Zeit war charakteristisch, daß in ein- und demselben Modell mehrere gleichberechtigte Varianten der Wortstellung nebeneinander bestanden. Das gilt vor allem für die Stellung des Verbum finitum in den verschiedenen Satztypen und für die Entwicklung der Rahmenkonstruktion. Wie die Untersuchung unseres Materials gezeigt hat, war die Produktivität der einzelnen Varianten nicht oder nicht so sehr durch die landschaftliche Zugehörigkeit des Denkmals als vielmehr durch die Spezifik der Gattung bedingt ..... M. M. Guchman, Der Weg zur deutschen Nationalsprache 2 (Berlin/DDR 1969), 78. Eine strukturelle, morphologische und syntaktische, Vereinheitlichung hat demnach erst nach der Stabilisierung der Funktionen stattgefunden. - Für die Herausbildung der skandinavischen Standardsprachen (mit Ausnahme des Isländischen) kommt E. Haugen zu ähnlichen Ergebnissen; die dänische Schriftsprache beispielsweise have not corresponded to anyone's speech at the time of the normalization. Er verallgemeinert: generally the written tradition is an ideal norm..... Haugen: Scandinavien Languages (s. Anm. 47) 570 und 578. |