Zeitalter des Multitransports
   

Seit dem 19. Jahrhundert wurden (vorerst europäische und nordamerikanische) Städte intern nach dem technichen Modell, also geometrisch vernetzt. Die Bahnhöfe dienten als Knotenpunkte und Relais für den Transport von Menschen und Gütern in die weitere Umgebung. Stadtinterne Verkehrsvernetzung erfolgte durch diverse Bus- und Bahnkombinationen. Seitdem lässt sich eine mehr oder minder planvolle Vernetzungsstrategie auch an den urbanen Besiedluns- und Straßenstruktur wie auch an Strom- Gas- und verschiedensten Informationsleitungen beobachten, natürlich immer wieder mit Abweichungen ins Chaotische (z. B. die Megalopolen der Dritten Welt).

(Satelliten)Telefon und Kabelfernsehen, haben - nach dem Telegrafen des 19. Jahrhunderts - die allgemeine Nachrichtengeschwindigkeit wesentlich gesteigert. Plötzlich wurde der westliche Mensch mit einer steilen Beschleunigung seiner sensorichen, reflexiven, aber auch reflektiven Tätigkeit konfrontiert. Die wenigen Versuche der Verlangsamung im Sinne eines back-to-nature blieben eher seltene Ausnahmen, die erst an der Schwelle des 21. Jahrhunderts eine neue Bedutung nachweisen.

Durch die Reizüberhäufung und (maschinell modelierte) Verkürzung von Reflexzeiten wurden die natürlichen Wahrnehmungspotenziale des Menschen herausgeforderert. Die Sinne eines modernen 'multimedial geschulten' Europäers nehmen etwa 1 000 000 000 Bits pro Sekunde auf. Nur rund 100 000 davon werden auch gleich verarbeitet.

"The city is a material expression of information. Cross-roads,
market places and city wells have always been the most important
sites for the exchange of news. Around these information nodes
the agencies of the information trade would establish themselves:
the exchanges, the banks, the city halls.
This physical arrangement of the sources of information and the
levels of expectation and experiences associated with these
locations determine even today where spontaneous gatherings take
place, renowned companies hold office and traffic is at its peak.
Although the exchange of information has long since been taken
over by newspapers, radio and television, the hottest information
remains that which we experience first-hand."

 
Edouard Bannwart, Cyber city
Neben der totalen Verkabelung der Erdoberfläche und der Meerestiefen erfolgte eine weitere 'Medialisierung der Staedte' (Edouard Bannwart) in dem immer zuletzt eroberten Medium: der Luftraum erfährt eine ansteigende 'unsichtbar, globalisierende Hypervernetzung durch Funk- und Radarwellen (immer wieder von Nachrichtenübermittlung zur Vergnügungsversorgung umfunktioniert) - eine viel sublimere Art der Umweltbelastung. Paradoxerweise verlaufen die Autobahn- und Leitungsnetze harmonisch mit der Erdoberfläche und schneiden gegen die naturgegebenen Konturen der Landschaft höchstens mit ihren Tunnels und Brücken, gewiss auch nur im naturästhetischen Sinne.
Abb : Vernetzung auf der Erdoberfläche - eine physische Straßenkarte (Michelin Straßenkarte 1:1 Mio. Deutschland-Benelux-Österreich-Tschechien)
 

Die Grenze zwischen der totalen Flächendeckung einer wuchernden Megalopolis, ihrer absoluten Vernetzung und der noch über- und durchsichtighen, aber kaum ökologischen Form der globalen Vernetzung bleibt fließend. Unter technischen Bedingungen verlangt der urbane Rhizom nach komplexen und hochpräzisen Steuerungsmechanismen (die ihre logistiche Effizienz hauptsächlich von und durch die militärischen Netzwerkbildung und -erhaltung gelernt haben). Die Netzwerke im Luft- und Wassertransport ließen sich abstrahierend nur nach ihren Relaispunkten definieren. Unmittelbare Spuren an ihren natürlichen Kanälen und Medien gibt es kaum.

Die digitalisierte Information (er)löste die Massenkommunikation von dem urbanen in ein globales Paradigma. Der Gütertrasport wie auch die Personenbeförderung bleiben physisch gebunden und kostenpflichtig, es verändern sich höchstens die Proportionen des Verkehrsbedürftigen. Durch Satelliten verteilte und transkontinental verkabelte virtuelle Omnipräsenz des Menschen verringert sein Bedarf nach physichem Ortwechsel, wobei der Gütertransport seit der Erfindung des Flugzeugs kaum einen qualitativen Sprung verbuchen konnte.


 

 

www.kommunikative-welt.de Geschichte ©Michael Giesecke