Tauschhandel und Buchmessen (Jäger/Estermann)
  Georg Jäger/Monika Estermann: Deutsche Buchhandelsgeschichte in kulturvergleichender Absicht. In: Shiro Kohsaka und Johannes Laube(Hg.): Informationssystem und kulturelles Leben in den Städten der Edo-Zeit, Symposium München, 11.-14.10.1995. Wiesbaden, Harrassowitz Verlag 2000, S. 21-37.
 
„Nach dem Dreißigjährigen Krieg setzte sich wegen der territorialen und währungsmäßigen Zersplitterung Deutschlands und zur besseren Abrechnung mit den ausländischen Messebesuchern der Tauschhandel im deutschen Buchmarkt durch, beidem der Verleger seine neuen Produkte persönlich auf die Frankfurter, später auf die Leipziger Buchmesse brachte und gegen die Neuerscheinungen seiner Kollegen Bogen für Bogen tauschte. Der unmittelbare Austausch war offenbar „die bequemste, billigste und sicherste Verteilung der Gesamtproduktion auf das gesamte Marktgebiet“.[1] Für die weitere Geschichte des deutschen Buchhandels legte der Tauschhandel in dreierlei Hinsicht ein Fundament:
 
Der Tauschhandel auf der Messe förderte den persönlichen Kontakt zwischen den Buchhändlern, die sich so wechselseitig kennen lernten. Die regelmäßige persönliche Meßzusammenkunft war „die Seele des alten Tauschhandels“.[2] Auf diesen persönlichen Konnexionen, bauten die Gruppenbildung und die Vertretung gemeinsamer Interessen auf, hieraus entwickelten sich auch die verwandtschaftlichen und finanziellen Vernetzungen der großen Buchhändlerfamilien (Gleditsch, Fritsch, Varrentrapp, Brockhaus, Reclam, Vieweg, Campe etc.).
Da der Tauschhandel eine eigene Produktion voraussetzte, waren die älteren Buchhändler Verleger und Sortimenter in einer Person; Verlagssortimenter oder Sortimenterverleger waren „Wechselbegriffe“.[3] Die Doppelfunktion des Verlegers und Sortimenters setzte das Prinzip der Gleichheit bei den Marktteilnehmern voraus. Als Kaufmann mußte der Sortimenterverleger zwei Rollen in sich vereinigen. Wenn man davon ausgeht, dass es beim Tausch von Verlag gegen Verlag nur zu einer weitgehenden wechselseitigen Kompensation der Herstellungskosten kam, so ließ sich ein Gewinn nur durch den Verkauf der eingetauschten fremden Artikel ans Publikum erzielen. [4]
Infolge der Minimierung des Verlegergewinns ging der Buchhändler nur ein geringes Risiko beim Tausch ein. Die prinzipiell uneingeschränkte Chance erlaubte ihm den Aufbau eines großen und reichhaltigen Lagers für seine Kundschaft vor Ort. Dies scheint eine der Wurzeln der umfangreichen Lagerhaltung des Sortiments zu sein – auch wenn die historische Entwicklung zur Buchhandlung des 19. Jahrhunderts nicht geradlinig, sondern über mehrere Krisen verlief.
 
Der dezentrale Buchhandel des Tauschzeitalters, durch den im Unterschied zu England und Frankreich, wo sich der Buchhandel vor allem auf die Metropolen konzentrierte, das gesamte Reichsgebiet versorgt wurde, stellte nach einer überzogenen Position von Gerhard Menz „einen einzigen großen Genossenschaftsverlag und zugleich dessen Vertriebsfilialnetz“[5] dar. Der Tauschhandel – wenn er sich überhaupt je nach diesem idealen Bild vollzogen hat – setzt einen vergleichbaren und überschaubaren Verlag sowie die persönliche Prüfung und Wahl am Meßplatz voraus. Daraus ergeben sich die Ursachen des Wandels: Die Qualitätsunterschiede in der Herstellung, die unterschiedlich guten Absatzmöglichkeiten usw. erzwangen eine Differenzierung der Ware im Wert. Die Produktion wuchs so an, daß eine persönliche Prüfung immer schwieriger wurde und Neuerscheinungen auch außerhalb der Meßtermine ausgeliefert wurden.“
 

 
 

[1] Menz: Der deutsche Buchhandel, S. 42. Deutschland zerfiel in viele Hoheitsgebiete mit eigenen Zöllen, hatte zahlreiche Währungen, das Reisen mit Geld war gefährlich.
[2] Johann Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Beginn der klassischen Literaturperiode bis zum Beginn der Fremdherrschaft, 1740-1804. (Geschichte des Deutschen Buchhandels 3) Leipzig 1908, S. 190.
[3] Goldfriedrich, S. 208.
[4] Goldfriedrich, S. 181. Aus diesem Grund bevorzugen wir den Begriff 'Sortimenterverleger’ für die Einheit von Sortimenter und Verleger.
[5] Menz, S. 74.

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