Normalformen von Gruppendiskussionen im Rahme einer  Organisationsentwicklungsmaßnahme am Fachbereich Gartenbau

Marcin Bocian, Katrin Bornholdt,
Gundula Jung, Maren Niehuis
(November 1995)

Ziel der untersuchten Organisationsentwicklungsmaßnahme war die Entwicklung von Leitbildern (CI-Entwicklung) für den Fachbereich Gartenbau. Anläßlich einer CI-Tagung, die über den Fortgang des CI-Prozesses entscheiden sollte wurden Tonaufzeichnungen der Plenumssitzungen und von ausgewählten Gruppenarbeiten gemacht.

Im Zuge der Rekonstruktion des Geschehens mit Hilfe der verschrifteten Tonaufzeichnungen (Transskripte) tauchen Schwierigkeiten auf überhaupt zu verstehen, was die Teilnehmer sagen. Im Sinne der kommunikativen Sozialforschung werden daher Mikroanalysen mit dem Ziel, die Äußerungen der Beteiligten zu verstehen (ihren Sinn zu erfassen) gemacht.
Im folgenden ist ein kurzer Transskriptionsausschnitt aus einer Gruppenarbeit zu sehen, der mikroanalytisch bearbeitet wird. Dazu werden die unvollständigen Sätze vervollständigt (paraphrasiert). Das Überthema dieser Gruppe war den Fachbereich Gartenbau als Dienstleistungsunternehmen zu betrachten und unter dieser Prämisse verschiedenen Aufgaben zu bearbeiten.

"unsere Qualifikation dient auf einer andere Ebene als Fachhochschul-Ebene (.) auch (???) weil unsere Zielgruppe 1 (-) (.) auch wenn das nicht 2
(-) das würde für die Außendarstellung aber bedeuten (-) daß wir auch nicht unbedingt den Berufstand 3 so zu sagen als unsere Zielgruppe ansprechen dürften (..) sondern daß wir uns an die Adressaten wenden sollen von denen wir meinen daß sie (???) 4 " (87/17-18).

Dieser unvollständige Beitrag wird durch die folgenden, möglichen Ergänzungen verständlicher:

1.

die Praxis sich von uns losgesagt hat;
uns nicht bekannt ist;

2.

erfreulich ist für uns;
wichtig ist für uns;
angesprochen werden sollte von uns;

3.

den Gartenbau;
die Praxis;

4.

Dipl.Ing. einstellen;
was von uns fordern;
uns die Absolventen abnehmen.

Alle Kombinationen der gefundenen Lesarten weisen auf die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung der Gruppe mit ihrer Beziehung zur Praxis und zu anderen Ansprechpartnern hin, da die Praxis für den Gartenbau an Bedeutung verloren hat. Die Reaktionen auf diesen Satz sind zum Teil recht konstruktiv, wie der Beitrag von DD (weitere Teilnehmerin): "ja eben und dann müssen die auch wissen daß die angesprochen sind " (87/19). Dem gegenüber steht der Beitrag des Diskussionsleiters A, der durch die Äußerung "Moment" die Diskussion stoppt und der Gruppe signalisiert, daß er nicht bereit ist die Diskussion weiterzuführen. Statt dessen versucht er die Thematik auf "vor- und nachgelagerten Bereiche, die in der vorhergegangenden Diskussion schon genannt worden waren, zu richten

Mit Hilfe dieser Mikoranalytischen Betrachtungen gelingt es schließlich allgemeine Handlungschemata, nach denen die Gruppe agiert, herauszufinden. Das Muster: unvollständige (im Sinne der obigen Stelle vor der Mikroanalyse) zum Thema gartenbauliche Praxis sowie der Name Gartenbau und anschließend daran die Verdrängung dieser Themen taucht häufig auf. Die Themen werden immer wieder unterdrückt, so daß die unangenehmen Tatsachen (z.B. die Praxis stellt keine Uni-Absolventen ein) nur bröckchenweise genannt werden. Die Regelmäßigkeit, mit der diese Themen, obwohl sie unterdrückt werden, immer wieder auftauchen, ist ein Indiz dafür, daß die Gruppenmitglieder Bedarf haben diese Themen zu besprechen. Eine Selbstreflexion, die die Gruppe in die Lage versetzen würde, dieses Muster des Auftauchens eines bestimmten Themas und seiner sofortigen Unterdrückung zu erkennen, fehlt. Selbstreflexion ist nie eine absolute Notwendigkeit, sondern eine Möglichkeit. Solange die Gruppe aber nicht erkennt, daß sie ständig bei der Besprechung bestimmter Themen (Bsp. gartenbauliche Praxis) Probleme hat, die dazu führen, daß das Thema verdrängt wird, wird sich die Gruppe von diesem Muster nicht befreien können.