Fliesstext Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen kommunikativer Sozialforschung und Institutionenberatung?
   
Wir haben einerseits (äquivalent dem Beratungssystem) die Forschergruppe (äquivalent dem Beratersystem), dann das Forschungssystem und schließlich eben die Untersuchungssysteme (Gegenstände, Versuchspersonen\Vps, äquivalent den Klienten/dem Klientensystem). Es besteht selten die Chance im Wissenschaftsbetrieb die Vps. in das Forschungssystem auf Dauer zu integrieren. Wenn es gelingt, die Datenerhebung und -auswertung z.B. beim narrativen Interview bzw. in der Gruppendiskussion als Kommunikation zu gestalten, so haben wir ein Forschungssystem, das in seiner Struktur den Beratungssystem identisch ist. Je nachdem, welches System wir untersuchen wollen, kann es komplett oder eben nur in z.T. variierenden Teilen integriert werden.
Meist reicht es ja aus, repräsentative 'Fälle' zu untersuchen. Will man z.B. Verkaufsgespräche untersuchen, so wird man einzelne Fälle solcher Gespräche analysieren, kann diese dann aber meist vollständig erfassen. Es werden Vorgespräche mit den Verkäufern aufgezeichnet, man ist mehr oder weniger teilnehmend anwesend und kann im Prinzip die Kunden noch einmal nachträglich mit dem Datenmaterial konfrontieren - womit wir uns dann schon in der Auswertungsphase befinden.
Allerdings ist es keineswegs üblich und deshalb gewöhnungsbedürftig, die Vps als Elemente des Forschungssystems zu begreifen. Die klassische empirische Sozialforschung oder die experimentelle Psychologie betrachtet sie nur als Umwelt, über die mit den distanzierenden Beobachtungsverfahren Informationen zu gewinnen sind. Die Forscher erscheinen als informationsverarbeitende, -gewinnende Systeme. Wir wollen einmal von der Frage absehen, ob in diesen Situationen tatsächlich keine Kommunikation vorliegt. (Natürlich gibt es vielfältige Rückkopplungsbeziehungen zwischen der Vps und den Forschern. Nur deshalb sind die ausgefeilten "objektivierenden" Methoden ja erforderlich. Sie sollen solche Rückwirkungen minimieren, die Variablen unabhängig machen usf. Aber andererseits gehört zur sozialen Kommunikation, dass die Beteiligten wechselseitig definieren, dass sie im Gespräch sind. Man müsste also klären, ob die bewusste Negation der Kommunikation sinnvollerweise auch als Kommunikation begriffen werden kann, wenn latent von deren Rückkopplung profitiert wird.) Dann bleibt die Tatsache, dass diese Forschungsansätze, wie wir meinen ohne Grund, wichtige Instrumente der Datenerhebung verschmähen. Sie haben, genauso wie in der Institutionsberatung, die distanzierte Beobachtung, nutzen aber nicht die Selbstbeschreibung und auch nicht die soziale Selbstreflexion. Um auch diese auszuschöpfen, muss der Forschungsprozess, wie es die Kommunikative Sozialforschung vorsieht, als Kommunikation gestaltet werden und, da dies die Schaffung von sozialen Systemen voraussetzt, ein Forschungssystem etabliert werden, in dem Forscher nur ein Element, die Vps das andere sind. Tut man dies, so verringern sich die Unterschiede zwischen Beratungs- und Forschungssystemen dramatisch.
Wesentlich bleibt allerdings ein Unterschied in der Differenzierungsdimension: Beratungssysteme sollen letztlich dem ratsuchenen System neue Programme zur Verfügung stellen und den Beratern Geld bringen. Forschungssysteme sollen den Forschern und dann dem Wissenschaftssystem Informationen und Programme liefern - nicht zunächst den Vps! Diese werden im Gegenteil oftmals für ihre Rolle im Forschungsprozess bezahlt oder sonstwie entschädigt. Natürlich stellen sich diese Beziehungen in der Praxis nicht ganz so einseitig dar, aber die Tendenz unterscheidet sich in der beschriebenen Weise.


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