![]() |
Die Datenerhebung |
Die Datenerhebung wird in der kommunikativen Sozialforschung
als kommunikativer Prozess gestaltet. Der Sensor des Forschungssystems ist nicht der distanziert betrachtende Forscher, sondern ein soziales System, in dem der Wissenschaftler gemeinsam mit seinen Versuchspersonen oder Interviewpartnern Daten produziert. Die Datenerhebung als Gespräch gestalten heißt, dass eben nicht nur die Beiträge des anderen informativ sind, sondern ebenso die eigenen Fragen (Reize) und Reaktionen. Im Hintergrund steht hier natürlich die interaktionistische Annahme (die im übrigen auch von der modernen Hermeneutik geteilt wird), dass jedes Gespräch das Ergebnis der vereinten Anstrengungen beider Interaktionspartner ist. Wenn man dagegen, wie es in der Empirischen Sozialforschung üblich ist, lediglich die Antworten der Interviewpartner als Daten behandelt, dann ist dies aus interaktionistischer Sicht eine willkürliche Simplifikation und Trennung. Man schreibt dem anderen etwas zu, für das man selbst ebenfalls Ursache ist. Schon eine geringe Änderung der Frageformulierung, des Settings, der Selbsttypisierung usf. führen zu anderen Antworten. Trägt man diesem interaktiven Charakter jeglicher sozialer Datenproduktion Rechnung, so empfiehlt es sich, den Datengewinn bewusst als kommunikative Interaktion zu gestalten. Erst im Nachhinein wird das aufgezeichnete Ergebnis danach befragt, was es über den Interviewer, was es über den Interviewten und was es über das Gesprächssystem (bzw. seine Sub- und Supersysteme) aussagt. Dies ist ein Akt der Reflexion, der selbst wiederum als Gruppengespräch gestaltet werden sollte. Andererseits ist es natürlich das Forschungssystem, welches den Anstoß dazu gibt, bestimmte Gespräche zu beginnen und sie als Sensor eines Forschungsprozesses zu behandeln. Deshalb muss der Forscher planen, mit wem das Gespräch wo, wann und zu welchem Thema zu führen ist und wie sich der Forscher in dieser Interaktion verhalten soll. Dabei geht es nicht nur darum zu klären, was man über die Umwelt in Erfahrung bringen will, sondern ebenso wichtig ist es, die eigenen persönlichen, wissenschaftlichen und ggf. politischen oder ökonomischen Interessen abzuklären. Nachdem man die Fragestellung eingegrenzt hat, müssen darüberhinaus die Theorien erhoben werden, die das Forschungssystem über diesen Problembereich besitzt. Wenn man beispielsweise wissen möchte, warum junge Menschen zur Polizei gehen, so ist aufzulisten, welche Hypothesen die Projektmitarbeiter zu dieser Frage haben, welches Interesse sie an ihrer Beantwortung besitzen, was für ein wissenschaftlicher oder anderer Nutzen die verschiedenen Antworten haben könnten, usf. Nicht erforderlich ist es, in dieser Anfangsphase, in der ein erster Forschungsplan aufgestellt wird, diese eigenen Hypothesen auch durch ein ausführliches Studium der Fachliteratur zu erhärten oder zu verwerfen. Als soziale Wesen gleich unseren Untersuchungsobjekten besitzen wir immer, allerdings mehr oder weniger ausgeprägte Typisierungen über deren Tun und Erleben. Diese Erwartungen und Erwartungserwartungen bestimmen unser Herangehen an sie - ganz gleich, was wir von 'Vorurteilen' denken. Wir sind keine Tabula rasa und eben deshalb kommt es auf die Reflexion der Erwartungen an. Diese bestimmen im übrigen auch schon die Auswahl und dann natürlich vor allem die Rezeption der Fachliteratur. Eine erste Relativierung erfahren unsere Erwartungen/Annahmen immer schon durch das Gespräch mit den anderen Projektmitarbeitern - eine weitere dann durch das Studium der Fachliteratur. Die Ausbuchstabierung dieser individuellen Typisierungen und Normal-formerwartungen ist immer auch schon eine Exploration des Untersuchungsfeldes. Unsere Annahmen sind immer auch mögliche Programme von einzelnen Personen im Untersuchungsfeld. Indem also die Forschungsmitglieder ihre unterschiedlichen Perspektiven und Erwartungen austauschen, strukturiert sich langsam auch schon die Umwelt. Um beim Beispiel der Berufswahl des Polizisten zu bleiben: Mit ähnlichen Vorurteilen, wie wir sie haben, wird dieser, wenn er sie denn nicht sogar selbst besitzt, auch schon von anderen Personen in seiner Umgebung konfrontiert worden sein. In irgendeine Schublade werden wir als Interviewer, wie zeitweise auch immer, hineingesteckt - und es ist gut, sich vorab darüber klar zu werden, ob man das will und wenn ja was das für Auswirkungen auf die Datenerhebung hat. Je intensiver wir uns mit den Mitforschern über unsere eigenen Programme klar werden, nach denen wir in der sozialen Situation handeln und erleben, die wir untersuchen wollen, desto leichter fällt es uns dann später in der Auswertungsphase auch, die Programme der Beteiligten zu rekonstruieren. Wir sind zu diesen vorgreifenden Überlegungen fähig, weil wir nicht nur Forscher, sondern eben auch 'Alltagsmenschen' wie die Untersuchungspersonen sind. Dieser Gedanke ist von dem, später als Begründer der 'Wissenssoziologie' bezeichneten, Philosophen und Soziologen Alfred Schütz in viele Richtungen verfolgt worden. Er hat in der amerikanischen Ethnomethodologie Anhänger gefunden und ist von dort in den 70er und 80er Jahren wieder nach Europa zurückgetragen (Interpretative Sozialforschung). |