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Erhebung affektiver Daten |
'Affektive Daten’ werden in der KomSofo erhoben,
um die Datenbasis zu vervollständigen. Es geht um die Rekonstruktion
des emotionalen Erlebens der Zuhörer in den aufgezeichneten Gesprächen.
Dieses ist im Gegensatz zum Verhalten in den Transkriptionen nur unvollständig
repräsentiert. Wenn nicht nachträgliche Befragungen der untersuchten
Personen oder ausnahmsweise deren Selbstbeschreibungen (z.B. in Form von
Tagebuchnotizen, Memos) zur Verfügung stehen, bleibt den ForscherInnen
nur die Möglichkeit, sich selbst auf den alltagsweltlichen Standpunkt
der Beteiligten zu stellen und die eigenen Affekte bei der Lektüre
der Äußerungen zu notieren. Dahinter steht die Prämisse,
dass jeder der Forscher zugleich ein potentieller Gesprächspartner
sein könnte, deren Kommunikation aufgezeichnet und transkribiert wurde.
Sein Erleben – und jenes der anderen Forscher – ist ein mögliches
Erleben der Beteiligten. Je mehr affektive Daten in dieser Phase durch die
Forscher erhoben werden, desto breiter die Datenbasis und desto wahrscheinlicher,
dass auch die Affekte der Beteiligten berücksichtigt werden. Es geht
nicht darum, in der Forschungsgruppe Konsens herzustellen oder die ausgewählten
Affekte zu bewerten. Entscheidungen über ‚angemessene’
Emotionen könne in der Auswertungsphase herbeigeführt werden.
In die Auswertungsphase gehört die ‚Erhebung affektiver Daten’
auch deshalb nicht, weil die Forscher in dieser Situation keinen normierten
Betrachterstandpunkt, sondern eben ihren alltäglichen Standpunkt einnehmen.
Die Erhebung affektiver Daten gehört zur professionellen Kompetenz von Therapeuten und Beratern. Deshalb ist von diesen Berufsgruppen und den sie leitenden Theorien viel zu lernen, was diese Erhebungsmethode anlangt. Versuche, die psychoanalytische Lehre auf die Datenerhebung in der Sozialforschung anzuwenden, unternahm bspw. George Devereux in seinem wichtigen Werke 'Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften’. Im Unterschied zur traditionellen empirischen Sozialforschung, die nur visuell und akustisch eindeutig wahrnehmbare Daten akzeptieren, erklärte er – im Einklang mit S. Freud - das triebhafte 'Unbewusste', das 'Reich der Affekte' zum 'wichtigsten Sinnesorgan' Prozessor. "Der ideale Psychoanalytiker", und auch der Sozialforscher, "kanalisiert absichtlich Reize", die von den Interaktionspartnern ausgehen, "direkt in sein eigenes Unbewusstes"*. Er zensiert diese Reize/Informationen nicht durch seine bewussten Programme, sondern lässt sie auf sein Gefühl wirken und sammelt so affektive Daten. Diese ausgelösten emotionalen Daten sind auf diese Weise reicher, als wenn er bloß rational registrierte, was ihm seine äußere Umwelt - die Umwelt außerhalb seiner Haut - anbietet. Da biogene Faktoren wie Alter und Geschlecht der ForscherInnen bei der Erhebung affektiver Daten eine besondere Rolle spielen, müssen sie in der Datendokumentation erfasst werden. |
*Vgl. Devereux, Georges, Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften, München: Hanser 1973, S. 335. |