Fliesstext Die Komplexität des Erzählmodells
   
Ein umfassendes Modell des Phänomens 'Erzählen' setzt sowohl Modelle über psychische als auch über soziale Systeme und darüber hinaus auch noch solche über der Zusammenwirken beider voraus. Zum einen kann man nämlich die 'Erzählung' als den Output eines psychischen Systems (P1) betrachten. Man braucht dann ein Modell über die Programme, die den Weg der Informationen vom Erleben bis hin zu diesem Output steuern. Zum anderen kann man aber diesen Output auch wieder als einen Beitrag in einem sozialen System betrachten. Das 'Erzählen' erscheint als eine kommunikative Interaktionsform, in der sowohl der Erzähler als auch seine Zuhörer bestimmte Aufgaben zu erfüllen haben (S1). Und natürlich hat der Erzähler seine Erlebnisse auch schon als Element in einem solchen sozialen System (S2) gemacht.
Das Phänomen des 'Erzählens' erweist sich aus dieser Perspektive als eine komplizierte Verkettung verschiedener Systeme und Systemtypen. Diese Zusammenhänge skizziert die Abbildung 1.
Über die Art und Weise wie psychische und soziale Systeme zusammenhängen, gibt es in der Fachliteratur keine einheitliche Meinung. Zumindest kann man aber soviel sagen, dass der informative Input des einen Systems der Output des anderen ist und umgekehrt. Aus informationstheoretischer Sicht besteht eine hohe strukturelle Identität zwischen den Elementen und Funktionsweisen der beiden Systemtypen, so dass Elemente jeden Typs Elemente des jeweils anderen Typs ersetzen können. Psychische Systeme können also beispielsweise Prozessoren und Speicher in sozialen Systemen sein und Elemente von sozialen Systemen können die Aufgabe von psychischen Prozessoren übernehmen, also z.B. die Lösung von Rechenaufgaben liefern. (Um eine solche Einsicht formulieren zu können, muss man freilich ein sehr abstraktes Supermodell, eben ein informationstheoretisches, ansetzen.)
 

 
Abb. 1 Informationsverarbeitung beim Erzählen



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