Beispiel Phantasiereisen als Datenerhebungsmethode
   
Wann immer es in einem Forschungsprojekt darum geht, psychische Programme des Menschen zu rekonstruieren, z.B. die individuelle symbolische Bedeutung, die bestimmte Gegenstände für einen Menschen haben oder wenn Wünsche (z.B. Berufswünsche) und Träume der Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sind, dann reichen die traditionellen Methoden der Datenerhebung der Sozialforschung wie Fragebogen oder Interview nicht mehr aus, sie sind nicht geeignet, ein hinreichend spezifisches, konkretes und individuelles Bild der psychischen Strukturen zu erbringen.

Als ein probates Mittel haben sich bei uns hier Phantasiereisen als Methode der Datenerhebung erwiesen.



Hintergrund
Phantasiereisen sind bekannt als Methoden in 'sensitivity-trainings' und als Element in Entspannungsprogrammen. Üblicherweise leitet hier der Trainer die Teilnehmenden an, eine "Reise in Gedanken" vorzunehmen, die der Trainer Schritt für Schritt beschreibt und den die Teilnehmenden dabei nachvollziehen. in Entspannungsprogrammen besuchen sie dabei z.B. einsame schöne Waldlichtungen oder einen Strand bei Sonnenuntergang in ihrer Phantasie. Der Trainer beschreibt diese Situation dabei so sinnlich konkret und schließt alle Sinneskanäle mit ein, dass die 'reisenden' durch das Gefühl, tatsächlich diese Reise zu machen, Entspannung finden.
In eher therapeutischen Situationen, ursprünglich v.a. in der Gestalttherapie, werden Phantasiereisen durch den Körper angewendet, um den Teilnehmenden einen Zugang zu ihren körperlichen und inneren Wahrnehmungen sowie Gefühlen zu ermöglichen.

Einsatzbereiche
Wir haben Phantasiereisen in etwas abgewandelter Form benutzt, um die individuelle symbolische Bedeutungszuschreibung von Pflanzen, von Pflanzenarrangements im Garten, von Blumen und Blumensträußen sowie von Gartenarbeit zu ermitteln.
Im Unterschied zu kulturellen, sozial normierten Bedeutungen von Pflanzen, der roten Rose als Liebeszeichen, der deutschen Eiche als Symbol für Beständigkeit etwa, ging es uns darum, die psychische Bedeutung von Pflanzen für die Versuchspersonen, zumeist Angehörigen gärtnerischer Berufe, herauszukristallisieren. Mit welchen Gefühlen werden welche Pflanzen assoziiert und welche 'Bedürfnisse' erfüllen sie im Leben der Personen?
Dazu müssen die Empfindungen der Personen möglichst authentische und in 'Echtzeit' erhoben werden, damit die VP möglichst wenig rationalisieren und beschreiben können, zum anderen gilt es, möglichst alle Sinneswahrnehmungen miteinzuschließen, und diese so konkret, dass sich auch der Forscher mehr als ein 'Bild' von der Pflanze, um die es geht, machen kann.
Versuche, die Probanden direkt im Feld, also z.B. im Garten zu interviewen und zu beobachten, erwiesen sich als technisch sehr aufwendig, einfacher und in mancher Hinsicht auch produktiver zeigten sich die Phantasiereisen.

Ablauf
Unter Anleitung des Forscher werden die Vps in einen entspannten Zustand gebracht und dann auf eine innere Reise in einen Garten geleitet, dort finden Sie ihre Lieblingspflanze (Lieblingspflanze einfach deshalb, weil es für Vp und Forscher ungleich einfacher ist, sich mit positiven Emotionen zu beschäftigen, als mit negativen.) Der Forscher instruiert die Versuchsperson, die gefundene Lieblingspflanze möglichst genau, mit allen Sinnen wahrzunehmen, sowohl auf relevante Details als auch die Gesamtanmutung und die Umgebung zu achten. Die Versuchsperson schildert alle diese inneren Wahrnehmungen sowie die dabei ausgelösten Gefühle. Die gesamte Sitzung wird auf Tonband aufgenommen, anschließend verschriftet und kann dann analysiert werden.

Das folgende Beispiel ist aus einer Phantasiereise mit einer 28 jährigen Baumschulmeisterin, angestellt in einer großen Verkaufsbaumschule. Nach der obligaten Einleitung, in der die Vp in einen entspannten Zustand versetzt wird, folgt die Anleitung zur 'Reise' durch die Forscherin:
"Und jetzt geh in Gedanken in einer Deiner vielen Baumschulen(...) zum Beispiel die Alleebaumschule wo Du warst (.) oder ne Obstbaumschule oder die Verkaufsbaumschule jetzt (....) ist ganz egal such Dir eine aus (.) geh hinein und schau Dich dort um(..) was gibt es da für Pflanzen wandere von einer Ecke in die andere (.) und such Dir eine aus(....) können auch Gehölze sein die Dir besonders gut gefällt(...) suchst da suchst dort (...) und wenn Du eine gefunden hast (.) kannst Dir ruhig Zeit lassen dann ähm (...) achte mal auf das Äußere was Dich da so fasziniert (')n (... ) ob es ne krautige Pflanze ist (..) oder mit ner verholzten Achse (') (.) oder ob es ne immergrüne Pflanze ist.
Wie sind die Blätter geformt(') wenn sie welche hat ob sie Blüten hat zu dem Zeitpunkt wo Du sie gerade siehst (..) oder ob da Früchte sind und wie die Blüten aussehen (') ob sie duften (...) und Deine Umwelt in der Du Dich gerade befindest wie sieht es dort aus(') bist Du alleine mit der Pflanze oder sind da noch andere Pflanzen und (.) duftet die Pflanze vielleicht kannst Du die Pflanze abtasten (') (...) was fühlst Du (..) wie fühlt sich Deine Pflanze an (. ) gibt es irgendwelche Auffälligkeiten (.) was fasziniert Dich besonders(') (...)

Wichtig für den Forscher ist, für eine Stimmung zu sorgen, in der der Proband sich traut, sich auf eine 'innere Reise' zu begeben und diese dabei öffentlich zu machen, gelingt dies nicht, so wird der Forscher bestenfalls Platitüden oder Buchwissen erfahren aber sicher nichts über die psychischen Programme des Probanden. Auch während der Schilderung der reise durch den Probanden interveniert der Forscher stets 'bejahend' und versucht durch konkrete Frage das zu ermittelnde Bild zu vervollständigen. Selbstredend sind bei einem solchen Verfahren argumentative Strukturen völlig fehl am Platze. Der Forscher muss sich in seinem Selbstverständnis als wohlwollender Assistent verstehen, kein Reisebegleiter, der dem Reisenden die Welt zeigt, sondern einer, der den Reisenden sprichwörtlich begleitet und versucht, die Welt so zu verstehen, wie die Versuchsperson das tut.


Zusammenfassen hier eine Checkliste zur Duchführung einer Phantasiereise als Methode der Datenerhebung:

Anleitung zu einer Phantasiereise als Methode der Datenerhebung

Ziel:
Hervorrufen innerer Wahrnehmungen und Gefühle bezogen auf den zu erforschenden Gegenstand. Dieser wird vom Forscher bestimmt und entsprechend wird die Reise von ihm gelenkt. (Im Unterschied zu freien Assoziationen oder luzidem Träumen, wie es z.B. in der Psychoanalyse angewandt wird).
   
Haltung des Forschers:
"Ich bin neugierig und aufgeschlossen. Ich akzeptiere und respektiere sämtliche Beiträge meiner Versuchsperson. Ich will ihr helfen, ihre innere Welt zu erkunden und bewundere sie für ihren inneren Reichtum und ihre ganz individuelle Sicht der Welt, die ich so genau wie irgend möglich nachvollziehen können möchte."
   
   
Ablauf
Vorbereitung
   
Forscher entwirft die Anleitung zur Reise, falls er wenig geübt ist, auch die Führung in die Entspannung (vgl. Lit.) und schreibt sie auf. (Eine solche Reise spontan zu leiten erfordert viel Übung und Konzentration, meistens wird doch etwas vergessen)
Ob die Formulierung recht allgemein sind, dem Probanden also eher Freiheit lassen oder ob es eine eher geführte Reise wird, hängt vom Sujet und Erkenntnisinteresse ab, diese Frage ist jedenfalls unbedingt zu klären und nicht dem Zufall zu überlassen.
Immer direkt Ansprache, also "Du" oder "Sie", niemals "man" oder "wir"
Darauf achten, dass alle Sinneskanäle angesprochen werden (sehen, hören, schmecken, riechen, tasten)
"Was für ein Gefühl löst diese Wahrnehmung in Ihnen aus?"
Insbesondere wenn der Gegenstand der Reise bekannt oder vorgegeben ist, aufpassen, dass keine Empfindungen oder Gefühle mitinduziert werden. ("Das Metall fühlt sich kühl an" - vielleicht fühlt es sich für den Probanden ja warm an!)
   
Während der Reise:
   
Aufnahmegerät gleich anschalten!
Erläutern der Ziele und des Ablaufes, Versichern der Vertraulichkeit etc.
Versuchsperson fragen ob es losgehen kann ev. Fragen oder Bedenken klären
Hineinführen in eine entspannte Situation. Wie 'tief' diese ist, hängt vom Können des Forschers ab und davon, was abgemacht wurde. Selbstredend erbringt eine Reise in Trance weniger 'zensierte' und 'rationalisierte' Programme, doch ist dies u. U. gar nicht erwünscht oder auch schlicht nicht möglich, zumindest ein "Lehnen Sie sich entspannt zurück, schließen Sie die Augen und beobachten Sie, wie Ihr Atem ganz ruhig fließt....." sind nötig
Schilderungen des Probanden anhören, Rezeptionssignale nach Gefühl geben bejahen und nachfragen - so lange, bis alle notwendigen Informationen da sind und so lange die Versuchsperson bereit ist, Auskunft zu erteilen.
Ob die Schilderung während der Reise - also u.U. in halber Trance - oder danach gemacht wird, kann situationsabhängig sein und sollte vorher mit dem Probanden geklärt werden. Im Zweifelsfalle ist auf seine Wünsche einzugehen.
Nachbesprechung "Wie wars für Sie?" "Ist Ihnen noch irgend etwas aufgefallen, was Sie noch nicht erzählt haben?"
Bedanken

www.kommunikative-welt.de Methoden ©Michael Giesecke