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Mikroanalysen und Makroanalysen |
Mikroanalysen sind der Versuch, dem Alltag sehr schnell
ablaufenden Verstehens - Verständigungsprozesse zu verlangsamen, um
sie dadurch sichtbar und in sozialer Form analysierbar zu machen. Dieses
setzt technische Medien, vorzugsweise Ton- und Videoaufzeichnungsgeräte,
voraus, die die Prozesse 'festhalten'. Ähnlich wie es der Film den
Biologen beispielsweise gestattet, das Verhalten der Tiere durch ein verlangsamtes
Abspielen des Filmmaterials (slow-motion) bis in den Millisekundenbereich
hinein zu erforschen, so kann auch der Kommunikationsforscher durch Film-
und Tonaufzeichnungen die Informationsverarbeitungsprogramme bis hin zu
den kleinsten syntaktischen und nonverbalen Einheiten verfolgen. Werden technische Medien in dieser Weise eingesetzt und die Aufzeichnung damit länger, als wir dies im Alltag tun können, von den WissenschaftlerInnen untersucht/ verstanden, so sprechen wir von wissenschaftlichen Mikroanalysen. Mikroanalysen beschreiben insofern immer latente Strukturen, als sie Merkmale und Ereignisse identifizieren, die für uns im Alltag unterhalb der Bewusstseinsschwelle liegen. Offenbar stimmen wir unser Handeln in Abständen von zehntel und mehreren hunderstel Sekunden ab. Dies sind Zeiträume, die offenbar unser Unbewusstes nicht aber unser Bewusstsein registrieren kann. So gesehen ist eine Mikroanalyse immer eine Mikroanalyse von latenten (psychischen und sozialen) Strukturen. Nun ist unser soziales und psychisches Erleben und Verhalten nicht nur durch latente Strukturen geordnet. Es gehört zu den evolutionären Errungenschaften menschlicher Biologie und Kultur, dass zunehmend mehr überlebensrelevante Strukturen/ Programme bewusst reflektiert bzw. sozial thematisiert werden. Diese Thematisierung ist gleichsam eine Wahrnehmung der Wahrnehmung und sie verhält sich selektiv zu den latenten Strukturen. Normalerweise werden die Ergebnisse dieser individuellen Reflexion bzw. sozialen Thematisierung in unserer Kultur in Form von sprachlichen Modellen gespeichert. Manifeste soziale bzw. bewusste psychische Strukturen lassen sich also verbalisieren. Anders ausgedrückt: was wir in alltäglicher Einstellung benennen können, worüber wir uns mit anderen in Worten verständigen können, ist psychisch bewusst und sozial manifest. Die sozialwissenschaftlichen und psychologischen Makroanalysen verfolgen in der Hauptsache das Ziel, solche manifesten Strukturen zu rekonstruieren. Methodologisch betrachtet stellen sie eine Reflexion von Reflexionen von Verhalten/ Erleben dar. Ganz im Gegensatz zu den Mikroanalysen kann man bei der Makroanalyse aus diesen Gründen immer von sprachlichen Klassifikationen ausgehen und unsere alltäglichen Kategorisierungen nutzen. Z.B.: 'Verkaufen', 'Unterricht' oder 'Beratung' sind Bezeichnungen von manifesten sozialen Strukturen. Wir werden zu Elementen einer Kultur gerade dadurch, dass wir unsere Umwelt ähnlich klassifizieren, z. B. bei 'Verkauf', 'Unterricht' und 'Beratung' an ähnliche Strukturen denken. Unser Verhalten ähnlich sequenzieren und unsere Erfahrungen ähnlich benennen. Wir können uns deshalb den Gegenstand von Makroanalysen 'zeigen' lassen. Man kann Kommentare über die Phänomene/ Strukturen/ Prozesse einholen und um Beschreibungen bitten. Im einfachsten Fall nennt man einen Namen und lässt sich das Phänomen zeigen: "Geben Sie 'Unterricht'?" War das, was eben hier passiert ist, ein typisches Verkaufsgespräch? Wie läuft bei Ihnen eine Beratung ab? Usf. (Vgl. Giesecke 1988, S. 143ff). |