Fliesstext Die Rekonstruktion des Verstehens
   
Das Ergebnis der rekonstruktiven, interpretativen und kodierenden Bedeutungszuschreibungen sind gleichermaßen Idealisierungen, Informationen, die von anderen ähnlich prozessiert werden können oder nicht. Aber es sind eben unterschiedliche Typen von Information, und man tut gut daran, sich jeweils Rechenschaft darüber abzulegen, für welche Wirklichkeit man sich gerade interessiert. Die Verknüpfung der unterschiedlichen Informationstypen ist ebenso unvermeidlich wie problematisch.

Die kommunikative Sozialforschung wendet in den verschiedenen Forschungsschritten alle drei Typen des Verstehens an. Alle Untersuchung sozialer Kommunikation nimmt aber die Rekonstruktion des Verstehens zum Ausgangspunkt. Dies kann gar nicht anders sein, wenn der Forschungsprozess als Kommunikation gestaltet wird und der Forscher entsprechend als potentieller oder tatsächlicher Gesprächspartner auftritt. Wenn er das Tonband abhört oder die Transkriptionen liest, sind von ihm keine Redebeiträge, wohl aber Bedeutungszuschreibungen zu den Äußerungen möglich. Solche Bedeutungszuschreibungen, Paraphrasen, sind sogar notwendig, weil die Transkriptionen immer insofern unvollständig sind, als sie zwar die sprachlichen Äußerungen, nicht aber deren Verstehen durch die Beteiligten dokumentieren. Die Forscher haben genauso wie die Beteiligten im Alltag die Aufgabe, diesen Kreislauf von Informationsdarstellung und -verarbeitung zu vervollständigen. Während bei den Interpretationen die mentale Vorgeschichte der Äußerungen, z. B. die Intentionen des Sprechers, interessieren, liegt bei den Rekonstruktionen das Augenmerk auf ihren sozialen Folgen. Das 'Nachher' soll Zug um Zug, sequentiell, erschlossen werden.

www.kommunikative-welt.de Methoden ©Michael Giesecke