Zusammenfassung Erläuterung des Erzählschemas
  Vgl . S.269 in M. Giesecke/K. Rappe-Giesecke: Supervision als Medium kommunikativer Sozialforschung, Ffm 1997
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Der Erzähler gibt eine vorgreifende Themenankündigung, in der er auch das für ihn Erzählenswerte an der nachfolgenden Geschichte seinen Zuhörern andeutet (Relevanzandeutung). Themenankündigungen, die nur auf Ereignisse, nicht aber auf deren Bedeutung für die Person des Erzählers/der Erzählerin eingehen, sind unvollständig.
2
In einer Orientierung wird über und den Schauplatz des Geschehens, die beteiligten Personen (Protagonisten) und ihre Beziehungen, die Zeit und ggfs. wichtige Handlungszusammenhänge berichtet.
3
Das Geschehen wird in Form einer Ereigniskette dargestellt. Da die Ereigniskette in Erzählungen immer Interaktionen abbildet ,enthält sie Aussagen sowohl zum

Verhalten und Erleben der Interaktionspartner des Erzählers/der Erzählerin
als auch zum
Verhalten und Erleben des Erzählers/der Erzählerin sowie
(nicht obligatorisch) eine Schilderung der situationsgebundenen Deutungen des Erzählers zum Zeitpunkt der Geschichte.

Schilderungen des Verhaltens erfolgen vom außenstehenden Standpunkt eines Betrachters und erfüllen die Kriterien von ’Beschreibungen’: Ein anderer als der Erzähler/die Erzählerin würde an seiner/ihrer Stelle das Gleiche beobachtet haben, so die Unterstellung. Die Verbalisierung des Erlebens kann unterteilt werden in die Schilderung von rationalen Überlegungen und emotionalen Affekten. Erzählungen ohne affektive Komponente sind unvollständig.

4
Die Schilderung der Ereigniskette enthält einen Ereignisknoten, das heißt einen Punkt, auf den es dem Erzähler ankommt, und den er deshalb maximal detailliert. Dies geschieht z.B. durch wörtliche Rede oder den Wechsel von der Vergangenheitsform in den Gebrauch des Präsenz. Bei problematischen Geschichten ist der Ereignisknoten der Punkt maximaler Komplikation. Gute Erzählungen steigern die Aufmerksamkeit des Zuhörers, indem sie Spannung aufbauen, beispielsweise durch Aneinanderreihung von Komplikationen und das Weglassen von Informationen, die das Geschehen für den Zuhörer normalisieren würden. Die in der Erzählsituation erzeugte Spannung stellt idealerweise eine Wiederholung der emotionalen Spannung/Belastung da, die die Erzählerin in der Ursprungssituation erlebt hat. (Situation, Geschehen und Erleben sollen sich spiegeln.)
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Die Schilderung der Geschichte endet entweder mit einer Lösung (des Ereignisknotens) oder mit einer Problemverdeutlichung.
6
Der Erzähler dokumentiert die eigene individuelle Verarbeitung des Geschehens durch die Schilderung seiner nachträglichen emotionalen Affekte und/oder seiner rationalen Überlegungen. Diese Schilderung bleibt situations- und fallspezifisch.
7 Bei gut durchgearbeiteten Erlebnissen können die Schlussfolgerungen in einer persönlichen Maxime verdichtet werden. Sie enthält ein Programm, wie der Erzähler in ähnlichen Situationen in Zukunft handeln oder/und erleben/wahrnehmen will. Es findet also gegenüber 6. eine Verallgemeinerung der Einschätzung statt.
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, allgemeine Konsequenzen aus dem einzelnen Geschehnis für die Kultur, Gesellschaft oder Organisationen zu ziehen. Solche über die individuelle Lebenspraxis hinausreichende Geltungsansprüche sollen als Moral (von der Geschichte) bezeichnet werden.
Ist dem Erzähler eine Verarbeitung der erlebten Geschichte (noch) nicht möglich, so kann er seine Schwierigkeiten in einer erneuten Problemverdeutlichung verstärken/zu Erkennen geben. Er macht damit zugleich sein Interesse für eine Weiterbehandlung des Themas deutlich.

www.kommunikative-welt.de Methoden ©Michael Giesecke