![]() |
Probleme empirischer Kommunikationsforschung (Merten/Teipen) |
aus: Klaus Merten/ Petra Teipen: Empirische Kommunikationsforschung.
Darstellung, Kritik, Evaluation. München (Ölschläger) 1991,
S.35-39 |
Doch wenn man versucht, Kommunikation und
deren Leistungen zu analysieren und zu erklären, stößt
man auf ungeahnte Schwierigkeiten. Zumindest drei Probleme treten bei
der Analyse von Kommunikation durchgängig auf, die sich deren Relationalität,
Reflexivität und Flüchtigkeit verdanken und sowohl für
die Theorie als auch für die Methode der Kommunikationsforschung
gravierende Folgen haben. Mit Relationalität ist gemeint, dass Kommunikation als Prozess weder beim Kommunikator noch beim Rezipienten noch am Kommunikat, an der Aussage, dingfest zu machen ist, sondern sich als spezifische Beziehung zwischen diesen und anderen Einflussgrößen konstituiert. Die klassische Wissenschaftslehre, die durch hierarchische Klassifikation entlang von Ähnlichkeiten (genus proximum und differentia specifica) die großen Systematiken der Wissenschaft erzeugt hat, versagt hier vollständig. dass Kommunikation zudem keine statistische Größe, sondern ein dynamischer Prozess ist, komm erschwerend hinzu, den Prozesse relationieren nochmals in temporaler Perspektive. Die Aufzählung von "Elementen" des Kommunikationsprozesses - etwa als Kommunikator, Aussage, Rezipent - ist ein beliebter Schleichpfad zur Umgehung des Problems, dynamische Prozesse auf statistische Positionen zu reduzieren, dessen häufige Benutzung ihm nichts von seiner Sinnlosigkeit nimmt. Das größte Problem stellt jedoch die Reflexivität (Rückkopplung, Selbstreferenz) der Kommunikation dar. Darunter versteht man die Zirkularität einer Struktur. Diese ist für den Kommunikationsprozess schlichtweg konstitutiv. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Kommunikationsprozesse sich nicht durch die herkömmliche zweiwertige Logik (die nur jeweils zwei Zustände (etwa Ja/Nein oder Wahr/Unwahr) erlaubt erklären lassen. Damit können alle kausalen Annahmen, insbesondere alle Ursache-Wirkungs-Annahmen der Medienwirkungsforschung, nicht gut aufrechterhalten werden. Statt dessen benötigt man zu einer befriedigenden Erklärung eine höherwertige, mindestens dreiwertige Logik. Dieses Problem ist zuerst von der Kybernetik, der Wissenschaft von selbststeuernden Systemen, entdeckt worden. Und man kann zeigen, dass eine Modellierung von Kommunikation als soziales System zu befriedigenden Erklärungen führt. Konstitutiv für alle Systeme - also auch für Kommunikation - sind jedoch reflexive Strukturen. In der Kommunikationswissenschaft sind solche Strukturen - z.B. als "Rückkopplung" bzw. "feedback" - durchaus wahrgenommen und diskutiert worden. Dies geschah jedoch fast ausschließlich auf der deskriptiven, nicht auf der theoretischen Ebene, so dass die grundsätzliche Bedeutung dieses Prinzips nicht gewürdigt wurde: "Das Prinzip der Rückkopplung ist nicht zu Unrecht als das Geheimnis aller natürlichen Vorgänge genannt worden. Systeme mit Rückkopplung zeichnen sich nicht nur... durch höhere Komplexität aus... Ihr Studium erfordert neue Grundbegriffe; ihre Logik und ihre Epistemologie weichen in vielem von den grundsätzlichen Verfahren wissenschaftlicher Analyse ab...Die Erforschung dieser Systeme ist, wenigstens zur Zeit, durch die Tatsache sehr behindert, dass wir noch nicht einmal eine wissenschaftliche Sprache besitzen, die komplex genug wäre, um der Beschreibung dieser Systeme zu dienen". dass man mit Worten neue Worte bilden kann, dass die Art und Weide, wie man Informationen verarbeitet, durch die bereits verarbeitet Information vorstrukturiert wird, dass Folgen von Kommunikation wie Konsens oder Sympathie ebensogut als Voraussetzungen von Kommunikation angesehen werden können, dass man sogar "nicht nicht kommunizieren" kann, sind nur einige augenfällige Folgen von Reflexivität. Offensichtlich ist auch, dass die Herstellung von reflexiven Strukturen gerade die Bedingungen schafft, unter denen Kommunikation und Bewusstsein erzeugt werden können. Derartig anspruchsvolle Strukturen von Kommunikation schlagen unmittelbar auf die Methoden der Kommunikationsforschung durch: Kommunikationsprozesse sind nicht nur unerhört flüchtige Prozesse. Kommunikationswissenschaftler können ihren Erkenntnisgegenstand - den Kommunikationsprozess - nicht nur nicht, wie andere Wissenschaften, in Muße beschreiben und nach anerkannten Zentimeter-Gramm-Sekunden-Dimensionen vermessen oder gar Kopien davon anfertigen, die im Nachhinein eine sorgfältige Analyse zulassen: Kommunikationsforscher kommen im Grunde immer rechtzeitig zur Analyse zu spät, können erst danach mit der Analyse beginnen. Und nicht nur das: Wären sie anwesend, so würden sie selbst in den Kommunikationsprozess einbezogen, würden in diesen - ohne es zu wollen, aber auch ohne es zu verhindern zu können - reaktiv eingreifen und mithin durch ihre Teilnahme zum Zweck der hautnahen Analyse eben diese Analyse verzerren: "Die Forscher in den Sozialwissenschaften werden mit einem einmaligen Problem konfrontiert: eben die Bedingungen ihrer Forschung konstituieren eine wichtige komplexe Variable für das, was als Ergebnis ihrer Erhebungen gilt." Genauer: Man kann sehr deutlich zeigen (Vgl. Kap. 8), dass alle Instrumente zur Erhebung sozialer Wirklichkeit - Befragung, Beobachtung und Inhaltsanalyse - reaktiv sein müssen, weil sie sämtlich Kommunikationsprozesse voraussetzen. Wenn es aber richtig ist, dass Kommunikation Wirklichkeit konstruiert, dann tritt zwischen die zu beobachtende Wirklichkeit und die zu erzeugende symbolische Wirklichkeit, die das Ziel der Wissenschaft ist, unvermeidbar eine weitere Wirklichkeit der Erhebung, die nicht nur durch ihre Intervention, sondern vor allem durch ihre reflexive Struktur (Erhebung von sozialer Wirklichkeit durch soziale Wirklichkeit) besonders wirkungsmächtig sein muss. (Siehe Abb. 2.1). |