Fließtext Ethnomethodologie
   
Die Bezeichnung wurde durch Harald Garfinkel in den 60er Jahren geprägt. (Studies on the routine grounds of every day activities). In: Social Problems XI (Winter), 1964, S. 225 - 250, Vgl. a. Ders.: Studies in Ethnomethodology. Englewood Cliffs 1967)
A. Cicourel (Methode und Messung in der Soziologie. Frankfurt 1970), Dell Hymes, Harvey Sacks und Garfinkel haben zahlreiche Gedanken der phänomenologischen Soziologie (Schütz, Husserl) und des Symbolischen Interaktionismus aufgenommen.

Grundannahmen
 

1. Der Ethnomethodologe ist immer wieder davon überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit und Routine die Menschen im Alltag die Probleme der sozialen Interaktion bewältigen. Für ihn ist das routinisierte Handeln und Erleben individuell und trotzdem geordnet. Wie diese Ordnung Schritt für Schritt in der Abstimmung mit anderen hervorgebracht wird, möchte er beschreiben. (Keine allgemeinen Regeln, keine "Warum"-Fragen)
2. Weil die "Alltagsmenschen" Schöpfer ihrer eigenen kulturellen Welt sind, kann der Forscher ihre Welt nur verstehen, wenn er sie aus dem Gesichtswinkel dieser Menschen untersucht. (Rekonstruktives Vorgehen).
3. Wenn man die Welt so verstehen will, wie sie von den Menschen im Alltagsleben gesehen und ausgelegt wird, dann muss man die natürlichen und nicht die experimentellen Situationen aufsuchen.
4. Der Wissenschaftler muss seine eigenen Standpunkte und Perspektiven zumindest phasenweise "einklammern" (Husserl) und sich statt dessen mit den Perspektiven aller Interaktionsbeteiligten auseinandersetzen.
5. Da die Beteiligten im Alltag als kompetente Schöpfer der Interaktion betrachtet werden, lassen sich auch die Ergebnisse ihrer Interaktion in der Alltagssprache beschreiben.
6. Soziales Handeln und Erleben ist ein sequenzieller dynamischer Prozess: Der Forscher befindet sich bei der Analyse jeweils "auf der Höhe" der Beteiligten. (Sequenzanalyse)
7. Die sogenannte "dokumentarische Methode der Interpretation", mit der die Ethnomethodologie versucht, das Problem des Zusammenhangs zwischen Einzelfall und Regel zu erfassen, besitzt eine Wurzel in der Sprachwissenschaft, speziell in der generativen Transformationsgrammatik von N. Chomsky : So wie hinter der sprachlichen Oberfläche eine grammatische Tiefenstruktur liegt, so dokumentiert sich in jeder empirischen Handlung/Äußerung ein zugrunde liegendes Muster ("Indexikalität").
8. Da es eine Differenz zwischen der Oberfläche und der Tiefenstruktur gibt, sind die Handlungen und auch die sprachlichen Äußerungen prinzipiell vage und bedürfen in jeder konkreten Situation der Interpretation. ("Vagheit des Symbolsystems")

Ein wichtiger methodischer Beitrag der Ethnomethodologie zur Ermittlung der "Normalformen" der sozialen Interaktion sind die "Krisenexperimente". Der Forscher verhält sich bewusst anders, als es nach seinen Untersuchungen zu erwarten wäre - und registriert dann die Normalisierungsstrategien der Beteiligten.

Literatur Ethnomethodologie

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