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Dialogische Methoden in der qualitativen Sozialforschung (S. Ziegaus) |
In der Methodendiskussion der Sozialwissenschaften wird an unterschiedlichen
Stellen die Forderung nach einer dialogischen Gestaltung des Forschungsprozesses
erhoben. Beispiele dafür sind die eher theoretischen Überlegungen von Gerhard
Kleining und die praktischen von Jörg Sommer.
Gerhard Kleining formuliert in seinem „Umriss zu einer Methodologie qualitativer Sozialforschung“ eine differenzierte Kritik an den kommunikativen Methoden. Darin fordert er, den Dialog in das Zentrum der qualitativen Methodendiskussion zu stellen.(1) Eine dialogzentrierte Herangehensweise eröffnet ihm zufolge die Möglichkeit, Beziehungen aufzudecken, während quantitative Verfahren in erster Linie Differenzen erfassen könnten. Den Beziehungen misst Kleining eine überragende Bedeutung zu: „Die Triade von mindestens zwei Gegebenheiten und einer Beziehung zwischen ihnen, die sie in Verbindung bringt, ist nur scheinbar. Tatsächlich ist der Gegenstand die Beziehung.“(2) Allerdings steht Kleining den kommunikativen Methoden nicht uneingeschränkt positiv gegenüber und favorisiert eher textzentriertes Arbeiten. Das begründet er mit einer Kritik an interaktionistischen Ansätzen, die ihre Forschung auf den Handlungsraum der beteiligten Subjekte beschränken. Eine solche Beschränkung blendet die Entstehungsbedingungen von Handlungsräumen und Lebenswelten aus und macht gesamtgesellschaftliche Umstände nicht erfassbar. „Da die Handelnden ihr Handeln untereinander anpassen, entsteht Einheit durch Konformität. Gegensätze und Widersprüche werden ausgeklammert.“(3) Die Art der Datenerhebung hat Jörg Sommer im Blick, als er 1987 seine „Dialogischen Forschungsmethoden“ vorstellt.(4) Er beschreibt darin den Dialog als Forschungs- und Erkenntnisinstrument und plädiert dafür, den Probanden des psychologischen Experiments nicht mehr als Objekt, sondern als Subjekt, d.h. als einen dem Forscher gleichberechtigten Dialogpartner aufzufassen. Neben der Gleichberechtigung nennt er als Kriterien für einen Dialog das Verhandeln über ein wichtiges Thema, gegenseitiges Ernstnehmen sowie dass die Dialogpartner tatsächlich aufeinander eingehen. Dazu zählt er auch nonverbale Mitteilungen durch Mimik, Gestik oder Körpersprache.(5) Die Vorteile des Dialogprinzips liegen für Sommer darin, dass der Dialogpartner als Mitforscher gewonnen wird, der im Dialog mit der Unterstützung des Forschers Selbstbeforschung betreibt.6 Dazu muss die Fähigkeit des Dialogpartners zur Selbstreflexion mittels mehrfacher Wiederholung der Dialoge gefördert werden.(7) Sommer beschreibt diesen Prozess der Selbstbeforschung jedoch einseitig. Selbstbeforschung des eigentlichen Forschers ist in seinem Modell nicht vorgesehen. Sommer legt den Schwerpunkt seiner Überlegungen nicht auf die Ausformulierung und detaillierte Entwicklung des Dialogs als Forschungsinstrument. Vielmehr konzentriert er sich darauf, den Dialog erkenntnistheoretisch aus phänomenologischer, hermeneutischer und dialektischer Perspektive zu betrachten. Sein Schlussfolgerung – und letztlich auch das Ziel seiner Arbeit – ist ein Plädoyer für die Entprofessionalisierung der Psychologie, die er für geboten hält.
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(1) Vgl. Kleining, Gerhard, Umriss zu einer Methodologie qualitativer Sozialforschung, in: ders., Qualitativ-heuristische Sozialforschung. Schriften zur Theorie und Praxis, Hamburg: Fechner 1994. (2) Ebd., S. 20. (3) Ders., Wie ist kritische Sozialforschung möglich?, in: ders. Qualitativ-heuristische Sozialforschung. Schriften zur Theorie und Praxis, Hamburg: Fechner 1994, S. 74-87, hier S. 80. (4) Sommer, Jörg, Dialogische Forschungsmethoden. Eine Einführung in die dialogische Phänomenologie, Hermeneutik und Dialektik, München/Weinheim: Psychologie-Verlag-Union 1987. 5) Ebd., S. 90. Sommer geht in seinen Beispielen allerdings nicht auf den Einsatz und die Analyse nonverbaler Kommunikation ein. (6) Ebd., S. 103. Sommer beschreibt diesen Prozess der Selbstbeforschung als einseitig. Selbstbeforschung des eigentlichen Forschers ist in seinem Modell nicht vorgesehen. (7) Ebd. S. 95-97. |