Theoriediskussion Kritik an der (soziometrischen) Aktionsforschung
   
Die soziometrischen Analysen richten die Aufmerksamkeit typischerweise und im Einklang mit den Intentionen von J. L. Moreno (1890 - 1974) und K. Lewin auf problematische Strukturen sozialer Systeme. Sie wollen letztlich störende Abweichungen beseitigen. Genau genommen ist die Bedingung der Möglichkeit, irgendwelche Abweichungen zu erkennen, aber die Kenntnis von Normalformen. Die Soziometrie und die Aktionsforschung haben sich allerdings um solche Normalformen nicht systematisch gekümmert - sondern ihre Kenntnis bei den Beteiligten immer schon als selbstverständliches Alltagswissen vorausgesetzt.

Das hat keineswegs zufällige Gründe, sondern hier zeigt sich wieder einmal, dass die Stärken jeder Methode zugleich ihre Schwachstellen sind: Wenn man als Ausgangspunkt der Forschung die Befriedigung praktischer Bedürfnisse der Klientel nimmt, dann wird man notwendig immer mit Störungen und nicht mit Normalformen konfrontiert. Wenn z. B. das Betriebsklima stimmt, die Möhren gut wachsen, dann besteht kein Bedarf an Hilfe durch Wissenschaftler und/oder Berater. Dieser stellt sich erst ein, wenn ein Gleichgewicht gestört wird, die Möhren also nicht mehr so wachsen und aussehen, wie wir es gewohnt sind. Dann soll die Zusammenarbeit mit dem Forscher natürlich möglichst rasch wieder zu einer Normalisierung führen. Seine Aufgabe in dieser Form der wissenschaftlichen Arbeit ist es, sich mit Abweichungen zu beschäftigen, deren Ursachen nachzustapfen und sie beseitigen zu helfen.

Insoweit besitzt die Aktionsforschung alle jene Nachteile, die auch andere "Problemlöse"-ansätze und überhaupt alle handlungstheoretischen Ansätze besitzen. Sie folgt im Grunde dem alten Ursache - Wirkungs- Denken, sucht nach Gründen für abweichendes Verhalten und gibt sich zufrieden, wenn sich die Verhältnisse wieder normalisiert haben. Es geht also - vereinfacht gesprochen - um Brandbekämpfung statt um Brandverhütung. Nicht die möglicherweise ebenfalls problematische Struktur des Normalen wird untersucht, sondern die Störungen dieses Status quo. Dies hat zur Folge, dass die Aktionsforschung - wenn sie denn konsequent verfahren ist - keine allgemeingültigen Modelle zur Verfügung stellt, sondern eher Fallbeschreibungen und ad hoc-Lösungen präsentiert.

So gesehen kommt die Aktionsforschung unserem alltagsweltlichen Denken, das vorzugsweise intentional und zweckbezogen abläuft, sehr nahe. Und es dürfte auch für Ingenieure und Studierende der technischen Wissenschaften eine große Anziehungskraft ausüben. Aber so wie letztere naturwissenschaftliches Grundwissen benötigen, so muss auch die Aktionsforschung durch zusätzliche Theorien verstärkt werden, um allgemeingültige Ergebnisse zu erbringen.

Als zweiten Kritikpunkt kann man anführen, dass zumindest die klassische Soziometrie letztlich noch stark psychologisiert, die sozialen Systeme als eine Ansammlung von psychischen Systemen und nur als eine solche betrachtet. Soweit sie in späteren Stadien ihrer Entwicklung darüber hinauslangte, bleibt sie interaktionistisch und besitzt damit alle Schwächen des Meadschen Rollentauschkonzepts. Institutionen lassen sich aber - wie wir noch sehen werden - auch nicht auf dyadische Interaktionsbeziehungen reduzieren. Sie emergieren auf einem anderen, eben institutionellen sozialen Niveau.





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