Fliesstext Kommunikative Datenauswertung als Voraussetzung für das Auftreten und die Nutzung von Spiegelungsphänomenen
   
Nicht nur die Datenerhebung sondern auch die Auswertung der Daten soll in der kommunikativen Sozialforschung im Gespräch erfolgen. Wir haben an verschiedenen Stellen gesehen, dass die Komplexität unserer alltäglichen Wirklichkeit soziale Informationsverarbeitung erzwingt. Es geht nicht in erster Linie um Interpretation sondern um soziale Rekonstruktion. Und die gelingt nur, wenn die Perspektiven von mehreren Auswertern berücksichtigt werden. Beispielsweise sollte dies beim Sammeln und Reduzieren der Lesarten geschehen.
Selbst wenn man aus arbeitsökonomischen Gründen die verschiedenen Analyseebenen einzelnen Personen zur Bearbeitung gibt, so darf dies nicht zur Einzelarbeit führen. Die Analysen sollen immer wieder gemeinsam durchgeführt - allerdings von einzelnen vor- und nachbereitet werden (Federführung).
Nur unter den Bedingungen einer solchen Gruppendiskussion kann es dann zu den sogenannten Spiegelungsphänomenen kommen. Wie zufällig übernehmen einzelne Mitglieder der Forschergruppe Positionen und Meinungen der untersuchten Gruppen oder Institutionen. Sie wiederholen gelegentlich Interaktionszüge aus dem beobachteten sozialen Feld - und erleben damit das damalige Geschehen in einer besonders intensiven Form nach. (Dieser auch sonst im Alltag beobachtbare Vorgang wird im 'Psychodrama' zu einer ausgefeilten Technik sozialer Selbst-erfahrung weiterentwickelt.)
Dies verbessert ihre Möglichkeit, das aufgezeichnete Geschehen zu verstehen, oftmals entscheidend. Normalerweise 'spielen' nicht alle Mitglieder der Forschergruppe in dieser Weise das Geschehen nach. Manche können sich mit niemandem aus dem Datenmaterial identifizieren. Die Aufgabe dieser Teilnehmer wird es sein, den Spiegelungsprozess distanziert zu betrachten und, sobald genügend Material produziert ist oder sich Interaktionskrisen zuspitzen, diesen zu stoppen. Sie teilen ihre Beobachtung mit, zeigen Parallelen zwischen dem Hier und Jetzt der Gruppendiskussion und dem Geschehen im Datenmaterial auf und regen damit eine Phase kollektiver Reflexion an. Deren Ergebnis sollte eine genaue Rekonstruktion der Standpunkte und Perspektiven der Beteiligten und der Prozessdynamik sein.

www.kommunikative-welt.de Methoden ©Michael Giesecke