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Biographieforschung |
Direktverkaufende Landwirte: Unterschiede in der Selbstbeschreibung zwischen Bauer und Händler.
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Fragestellung: |
Welche Identitätskonzepte haben direktverkaufende Landwirte, definieren sie sich eher als Landwirte oder als Händler? Welche Spannungen resultieren aus den Gegensätzen und wie gehen sie damit um? |
Material: |
Narrative Interviews mit direktvertreibenden Landwirten auf Hannoveraner Wochenmärkten. Hier mit Frau H., der 52 jährigen Inhaberin eines Gemüsestandes die ihre Waren auf drei Wochenmärkten und dem Großmarkt verkauft, seit dem Tod ihres Mannes vor 1 Jahr den 130 Morgen großen landwirtschaftlichen Betrieb mit ihrer Tochter weiterführt. |
Ergebnisse: |
Im gesamten Interview identifiziert sich Frau H. bewusst als Bäuerin:"wir sind Bauern von je her" (S.IV, Z. 2) und "wir sind immer Bauern geblieben" (S.IX, Z. 7) "deshalb sind wir im Grunde genommen keine Geschäftsleute gewesen mein Mann und ich" und: "also ich bin lieber wenn ich ganz ehrlich bin aufm Feld" (S. II, Z. 36) Frau H. distanziert sich deutlich von den anderen Händlern auf dem Markt, die 'nur' verkaufen und erläutert, dass die Kunden auf den Märkten zu ihr ein ganz besonderes Verhältnis, eher privater Natur haben und führt dies darauf zurück, dass Sie Bäuerin ist. "Ja bei uns kommt das nu aber zustande weil wir Bauern sind" (S. III, Z. 15). Diese expliziten Selbstbeschreibungen stehen allerdings im Widerspruch zum 'Tun' von Frau H. und ihrer Familie. Sie befährt mindestens drei Wochenmärkte und den Großmarkt - ist also, wenn man Verpacken etc. mit einberechnet, über die Hälfte ihrer Zeit mit 'Handeln' beschäftigt und bestreitet offenbar den größten Anteil ihres Unterhalts mit dem Verkaufen von selbstgezogenem und zugekauftem Gemüse. Von 130 Morgen Land bewirtschaften sie mit 16 Morgen nur knapp über 10% des eigenen Landes, von 'Landwirtschaft' im Wortsinne lebt diese Familie also mit Sicherheit nicht mehr. Auch die Aussage "wir suchen immer ne Möglichkeit Geld irgendwie aufzutun" (S. IV, Z. 7) wirkt eher wie das Lebensmotto eines Händlers. Die Forschungsgruppe empfand denn diese Selbstbeschreibung von Frau H. zunächst als 'schizophren', sie erlebten das bis hierhin ermittelte Identitätskonzept als unstimmig. Da Frau H. aber einen sehr 'gesunden' und selbstbewussten - eben gar nicht 'zerrissenen' Eindruck machte, wurde im nächsten Schritt erarbeitet, welche Bedeutungen 'Bauer' und 'Händler' für Frau H. haben, diese sind in der folgenden Tabelle aufgeführt. |
Abb. Bauer vs. Händler |
Bauer | Händler | |
Seinszustand, als solcher ererbt, unabhängig davon, womit Geld verdient wird | Beruf, die Betätigung, der man nachgeht um Geld zu verdienen, ein ‚Tun‘ | |
Aufgabe: | Eine Lebensaufgabe, erhalten und vermehren von Land und Gehöft | Ware verkaufen, Gewinn machen, Geld im Umlauf halten |
Zweck: | Vererbung, Besitz in der Familie halten | Profit |
Bedeutung von Geld | Mittel zum Zweck, um Hof zu erhalten und zu vergrößern; Geld an sich ohne Bedeutung, alles wird in Hof investiert | Geld, dessen Vermehrung ist Selbstzweck |
Selbstverständnis | Ererbt, Bauer sein, Selbstbewusst, Definition über Land / landwirtschaftliche Erzeugnisse | Abhängig von anderen Händlern und Kunden, kein Selbstbewusstsein aus sich heraus |
Anhand der Gegenüberstellung wird deutlich, dass für Frau H. letztlich gar kein Konflikt zwischen ihrem Selbstverständnis als Bäuerin und ihrer Arbeit als Händlerin besteht. Für sie ist Bauer ein Seinszustand, der relativ unabhängig von dem ist, womit letztlich Geld verdient wird, es ist für sie also kein Beruf - wie der des Händlers. Vielmehr dient Frau H. die Arbeit als Händlerin dazu, Bäuerin zu sein und bleiben zu können, seit der Hof nicht mehr genügend Geld erwirtschaftet hat. " Wir waren ein Großbetrieb und dann kamen wir mit den Preisen nicht mehr zurecht und hatten keinen Absatz und da standen wir vor dem Problem den Betrieb aufzugeben oder eh irgendwo arbeiten zu gehen und da sind wir den Wochenmarkt ausgewichen" (S.I, Z. 20) Letztlich haben Frau H, und ihre Familie mit dem auf den Märkten erworbenen Geld es sogar geschafft, den Hof auszubauen und noch 10 Morgen dazuzukaufen - da das Land sowieso nicht bebaut wird, aus ökonomischer und nicht 'landwirtschaftlicher'Sicht ein völlig unlogisches Verhalten. Offenbar liegt für Bauern in dem Sprichwort "was Du ererbst von Deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen" mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. |