![]() |
Gärtnerische Arbeit als Ausdrucks- und Kommunikationsmedium für unbewusste psychische Prozesse |
vgl. Neisemann, Carina/Sdun, Antje/Wittenberg, Frank: Gartenarbeit als Ausdrucks- und Kommunikationsmedium für unbewusste psychische Prozesse, Institut für Gartenbauökonomie, Abteilung für Kommunikationslehre, Universität Hannover 1997. |
Die Situation: Eine Studentengruppe, nachmittags
im Garten eines Kommilitonen, der in voller Blüte steht. Eine Studentin
hat sich aus der Vielfalt der Motive im Garten eine blaue Kornblume ausgewählt
und sie gemalt. Sie wird aufgefordert ihr Bild zu erläutern: "Also wenn ich sie angucke fällt mir als erstes so Wuschelkopf dazu ein/so wilde wilde Hermine/ja krauses Haar irgendwie/ungebändig/wild so bisschen auch/trotzdem/ja/trotzdem schön irgendwie. Sie hat einmal oben in den Blüten hat sie was wildes drin/und dann hat sie aber gleichzeitig in diesen Blütenköpfen bzw. Knospen so relativ regelmäßige auch gerade Strukturen. Ja sie vereinigt so mehrere Sachen in sich. Sie hat eigentlich sowohl Symmetrie/auch wenn man so vom Blattaufbau guckte/aber sie ist trotzdem halt nicht so ganz total gerade." (Text von mir geglättet) Zweite Situation: In einer geriatrischen Klinik sind ein Patient, der
sich von einem Schlaganfall erholt, und eine Ergotherapeutin dabei, den
Boden in einem Gartenstück aufzulockern und Unkräuter zu jäten.
Als der Patient auf Hopfenpflanzen stößt, entwickelt sich das
folgende Gespräch (hier leicht geglättet): |
|
Patient: | Ja das ist Hopfen/den lassen wir mal stehen |
Therapeutin: | Ah ja? Hm Woher kennen Sie den? Aus Urlaubsgebieten? |
Patient: | Aus meinem Garten (lachend) Wilder Hopfen |
Therapeutin: | Hat sich da auch selbst ausgesät? |
Patient: | Ja, den kriegt man kaum raus |
Therapeutin: | Aha, aber wir sollen ihn stehen lassen/und der verzweigt sich dann durch den ganzen Garten, oder? |
Patient: | Ja, dann sieht er wenigstens wild aus |
Therapeutin: | Na ich weiß ja nicht" |
Kurze Zeit später: | |
Patient: | Hier, das ist Hahnenfuß, der kommt immer wieder |
Therapeutin: | Ah, das möchte ich jetzt gern wissen/was Hahnenfuß ist/und ich glaube, jetzt hab ich 'ne Staude ausgehackt |
Patient: | Hier hier |
Therapeutin: | Das ist Hahnenfuß |
Patient: | Ja der blüht, blüht gelb |
Therapeutin: | Aha, aja und ich hab' 'ne Staude eben fast ermordet. Bin ich mir doch jetzt ziemlich sicher, da steckt noch mehr davon, die hat so'n Wurzelballen |
Zusammenfassend kommen die Diplomandinnen Refi Kahveci, Ellen Kuhnert und Frauke Thomsen, dass praktisch alle Redebeiträge des Patienten über die Pflanzen sich auf Wurzelunkräuter beziehen: Hahnenfuß, Hopfen und Ackerschachtelhalm. Diese "starke, kräftige und zähe" Pflanzen sind nur schwer auszurotten. Selbst wenn man ihnen einen Schlag versetzt, sie oben abhaut, so leben sie dennoch weiter. "Der Patient zeigt Parallelen hierzu "heißt es in der Diplomarbeit, "indem er sich z. B. für jünger und kräftiger gibt, als er ist" (S. 80) und weiter: "Bei der Beobachtung hinsichtlich seiner verbalen Äußerungen fällt uns auf, dass er häufig folgende Begriffe verwendet: 'wild' bzw. 'wilder' oder 'reiner wilder'. Auch sein Arbeitsstil weicht von der Normalform ab, ist sprunghaft und unregelmäßig. (Vgl. die Arbeitswege des Patienten in der Abb. B1 und B2) Diesem wenig normgerechten Verhalten bei der Gartenarbeit entspricht auch vieles in seinem sonstigen Leben. Trotz seiner 75 Jahre bevorzugt er Jeans, hat an der Universität ein Studium begonnen, isst in der Mensa usf.. Man kann also zumindest sagen: Der Patient verhält sich im Garten und Pflanzen gegenüber nicht anders als in seinem übrigen Leben auch, er identifiziert sich mit den Wildkräutern, die das wilde symbolisieren, erkennt in ihnen Gemeinsamkeiten während er sich von den Stauden eher abgrenzt, Unterschiede hervorhebt. Im Gegensatz zum Patienten hat die Therapeutin eine ausgeprägt positive Beziehung zu den Stauden. Während es ihr Freude macht, die Wildkräuter aus dem Boden zu ziehen und zu entsorgen, löst es bei ihr starke negative Affekte, ja Schuldgefühle aus, wenn sie, versehentlich, eine Staude ausreißt. Sie erlebt dies als 'Mord' an der Pflanze. Man kann hier beispielhaft sehen, wie sich das Phänomen Pflanze als Spiegelungsmedium differenziert, sobald man in die empirische Analyse konkreter Mensch - Pflanze - Beziehungen einsteigt. Die Diplomarbeit zeigt im weiteren wie es der Therapeutin gelingt, das
Interesse des Patienten für die Stauden zu wecken und einen ökonomischen
dem Alter angepassten Arbeitsstil zu entwickeln.
|