Die selbstreflexive Erforschung der Arbeitswelt von Naturwissenschaftlerinnen an einer Universität

Regina Engelke, September 1995

Diese Arbeit sucht nach gemeinsamen Zielen und Strukturen im Bereich der Arbeitswelt der Wissenschaftlerinnen nachzugehen. Dabei sollen die Wissenschaftlerinnen als Persönlichkeit in ihrem kulturellen Kontext, ihrer Arbeitswelt, erforscht werden.

Auszug:
Die Frauen in den Naturwissenschaften haben sehr viel Zeit gebraucht, um sich zu öffnen, Nähe zu mir [als Forscherin] herzustellen. Diese Erfahrung gilt für alle Frauen, die ich kennengelernt habe. 
Die wesentliche Erkenntnis, die man aus den Gesprächen, [mit Annabell, der einen untersuchten Wissenschaftlerin] insbesondere dem letzten Gespräch, gewinnen kann, ist die, daß für Annabell die Motivation im wissenschaftlichen Bereich nicht im Erkenntnisgewinn liegt, sondern in einem abgesteckten Bereich "gut zu sein". Beste zu sein, steht für sie im Vordergrund, und nicht das Wissen, die Erkenntnis.

"R: [...]und dann sagt sie hier nach dem Absatz / ich möchte immer die Beste sein (.) ich war schon in der Schule ... da gibt sie zum ersten (-)
B: worin sie aber gut ist ihr im Grunde wurscht (
R: [...] ich war wie vor den Kopf gestoßen / weil ich dachte Physik (.) es geht ihr jetzt um den Erkenntnisgewinn der Physik ( (.) und hier stellt sich eben raus (.) es geht ihr überhaupt gar nicht um den Erkenntnis der Physik (.) sondern es geht ihr einfach nur darum (.) daß sie ne Sache macht die von Männern anerkannt ist (( (,)"

Der Bereich, in dem Annabell gut sein möchte, ist die Physik, ein von Männern anerkannter Bereich. Ihr Problem ist nun, daß sie erkennen muß, daß sie in dem von Männern anerkannten Bereich nicht die Beste ist. Vielleicht ist sie noch die Beste unter den Physikerinnen, aber nicht unter den Physikern und ersteres bedeutet ihr ja nicht viel.

"B: ich hatte irgendwie den Eindruck (.) so / sobald du der Außenwelt schon suggeriert hast / irgendwie du bist die Beste / und stellst dann für dich fest / daß du's nicht mehr bist(.) das das irgendwie so der harte Brocken ist / den den man dann gar nicht mehr bewältigen kann ( [...] und das ( dann irgendwie / wie son Teufelskreis / dann quasi ist (.) das man eben nicht mehr so diese Identität hat / von der man selbst glaubt ( daß man sie gehabt hat (,) 
R: ( hm

B. meint, daß die "äußere" Identität der Umwelt gegenüber in dem Moment , wo man erkennt, daß man nicht mehr die Beste ist, zusammenbricht. Die Erscheinung, das Verhalten stützen sich auf die Gewißheit, Beste zu sein. Fällt diese ÇSäule' weg, kann man sich nicht mehr selbstbewußt Verhalten. Als Folge kann das Geltungsbedürfnis nach Anerkennung von außen nicht mehr Çbefriedigt' werden. Die Çinnere' Identität beginnt zu wanken, da die Bestätigung von außen ausbleibt und andere Identifikationssäulen nicht Çin Sicht' sind.
Die Frage ist nun, warum Annabell die Beste in einem von Männern anerkannten Gebiet sein will. Ihr soll im Folgenden nachgegangen werden.
"R.: [...] warum ist ihr das so wichtig (.) daß sie das Beste (.) also das sie ehm in einem männlich dominierten Sektor Erfolg haben will / und ich denke das hängt mit ihrem Vater zusammen (.) das ist meine Hypothese (,) [...]
R.: [...] sie sagt irgendwann / das sie ne bessere Beziehung zum Vater hat und die auch immer schon hatte (,) [...] ich denke daß sie ein .. ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Mutter und zu ihrer Schwester hat ( (,) das sagt sie indem sie sagt daß ihre Schwester komisch ist also daß sie sie nicht versteht (,)( und genauso wenig versteht sie ihre Mutter (.) und deshalb distanziert sie sich (,) und sie hat sich dann offenbar.. oder fühlt sich dem Vater offenbar näher und vom Vater offenbar besser verstanden (.) [...] und aufgrund dieses guten Verhältnisses zum Vater denke ich auch /daß sie ehm .. das weit über die Pubertät hinaus ging (.) denke ich eben / daß sie vielleicht so ähnlich sein will wie der Vater (.) 
B.: oder daß ihr wichtig ist (.) das sie von Männern halt anerkannt wird (,) "

Es besteht die Hypothese, daß eine starke Nähe zum Vater dazu führt, daß sich Annabell mit ihm identifiziert und ihn später idealisiert. Das bedeutet, daß sie versucht, ihrem Ideal möglichst nahe zu kommen. Die Sozialisiationserfahrungen, die sie gemacht hat, bewertet sie bewußt und überwiegend unbewußt an den Wertmaßstäben ihres Vaters, dem sie ähnlich sein will. Für sie ist Technik nichts "Angsteinflößendes", sondern etwas Selbstverständliches und Faszinierendes. Gefühle, die sie zweifelsohne auch hat, scheinen für sie eher beunruhigend zu sein, und werden durch die "höher" bewertete Sachlichkeit und Rationalität verdrängt. Sie malt nicht "so wilde Sachen" wie ihre Mutter, sondern sachliche Motive mit Konturen.