Projektgruppe KI.KA LIVE - Darstellung von Ablaufsschemata
Studie zum Thema: Einflüsse auf Moderatoren in Unterhaltungsformaten mit Talk-Teil
Projektgruppe KI.KA. LIVE
(Michael Nicolai, Anja Loewecke, Claudia Groh, Anne Voigt, Jan Hollitzer, Sandra Löser, Sabine Herzberg)
Bei der Produktion einer Fernsehsendung handelt es sich um ein komplexes System von
ineinandergreifenden Prozessen verschiedener Arbeitsbereiche. Hierbei nimmt der Moderator
als Vermittler zwischen dem geschlossenen System der Sendung und den Zuschauern eine zentrale
Rolle ein. Da er als Schnittstelle zum Publikum das Endprodukt einer umfangreichen Planungs-
und Umsetzungsphase präsentiert, wirken auf ihn zahlreiche Faktoren, die sein Verhalten
beeinflussen. Trotz der offensichtlich großen Bedeutung der Moderatorentätigkeit innerhalb
einer Fernsehproduktion, ist dieses Feld bisher wenig kommunikationswissenschaftlich
erforscht. Im Rahmen der Projektstudienphase 2004/05 an der Universität Erfurt versuchte daher
die studentische Forschergruppe KI.KA LIVE, bestehend aus Claudia Groh, Sabine Herzberg,
Jan Hollitzer, Anja Loewecke, Sandra Löser, Michael Nicolai und Anne Voigt, eine
Grundlage auf diesem Forschungsgebiet zu schaffen. Im Fachbereich Kommunikationswissenschaft
untersuchten die Studenten die Einflüsse auf Moderatoren in Unterhaltungsformaten mit Talk-Teil.
Die wissenschaftliche Betreuung seitens der Universität Erfurt übernahm Professor Michael
Giesecke. Gegenstand der Untersuchung war in Abstimmung mit dem Projektpartner KI.KA -
Kinderkanal von ARD & ZDF - die Moderation der Sendung KI.KA LIVE (2004) durch zwei Moderatoren.
Nach ersten Beobachtungen im Studio des Kinderkanals entwickelte die Gruppe ein Triadisches
Modell (Abb. 1), dass die relevanten Einflüsse auf den Moderator während der Live-Situation
erfasst. Dieses Modell berücksichtigt sowohl die Person des Moderators, als auch die ihn
umgebende Soziale Organisation und die direkte Beeinflussung durch die Interaktion in der
Live-Situation berücksichtigt. Die Interaktion gliedert sich hierbei in die möglichen
Interaktionspartner, welche den Moderator während seiner Arbeit beeinflussen können - die
Studiogäste (Hauptinteraktionspartner), das Studiopublikum, sowie das disperse Publikum vor den
Fernsehbildschirmen. Letzteres wurde außerdem nochmals in Kamera, Lautsprecher und Screen
unterteilt, da einerseits das Publikum über die Kanäle Lautsprecher und Screen mit dem Moderator
in Kontakt tritt und ihn somit in seinem Agieren beeinflussen kann. Andererseits wird die
Moderation über den Kanal der Kamera an das disperse Publikum gerichtet, wodurch der Moderator
bestimmte technische Vorgaben beachten muss. Im Hinblick auf die Soziale Organisation, die das
Selbstbild des Senders und die institutionelle Organisation der Sendung widerspiegelt, erfolgte
eine Ausdifferenzierung in Sendeablaufplan/ Briefing, Regieanweisungen und Format/ Coaching.
Durch diese strukturierenden Faktoren werden dem Moderator Vorgaben hinsichtlich seines Agierens
auferlegt. Die Person wurde nach Biografie, professionelle Karriere und Rolle differenziert, da
es sich hierbei um wesentliche, den Moderator und somit sein Agieren während der Live-Sendung
prägende, Faktoren handelt.
Abb.1 - Einflussfaktoren auf Moderatoren in Live-Sendungen
Triadisches Modell - Projektgruppe KI.KA LIVE
Das Ziel der Studie war die empirische Überprüfung und Weiterentwicklung des Triadischen Modells
sowie die möglichst genaue Untersuchung der Interaktionssituation in der Sendung KI.KA LIVE, um
so die Steuerungsprozesse, die auf einen Moderator wirken, transparent zu machen. Damit eröffnete
sich die Möglichkeit eventuelle Problemfelder aufzuzeigen, um die Abläufe während einer Sendung
mit Talk-Teil anhand konkreter Verbesserungsvorschläge optimieren zu können.
Die methodische Vorgehensweise kann an dieser Stelle nur ansatzweise und überblicksartig
wiedergegeben werden. Als Datenmaterial der Studie dienten die Aufzeichnungen der KI.KA LIVE
Sendungen vom 3. und 10. Dezember 2004. Diese wurden zur Erfassung des Gesagten zwischen
Moderator und Studiogästen transkribiert, um auf diese Weise mögliche Beeinflussungen durch die
Interaktions-partner auf den Moderator herauszufiltern. Die nichtsprachlichen Signale wurden in
Form einer ausschnittsweisen Codierung des nonverbalen Verhaltens von Moderator und Studiogästen
dokumentiert. Hierzu entwickelte die studentische Forschergruppe für grundlegende Bewegungen
spezielle Symbole (Codierschema), mit denen das Verhalten in ausgewählten Sequenzen
viertelsekundengenau abgebildet wurde. Außerdem wurden die Regieanweisungen, Briefings und
Ablaufpläne der jeweiligen Sendungen sowie allgemeine Format- und Coachingvorgaben mit dem
tatsächlichen Sendeablauf in Beziehung gesetzt und ausgewertet. Zusätzlich erfolgten in
Anlehnung an das Triadische Modell qualitative Interviews mit beiden Moderatoren, die unter
anderem Aufschluss darüber gaben, wodurch sie sich in ihrem Agieren während der Sendung
eingeschränkt fühlen. Alle Faktoren konnten zudem in einer multidimensionalen Partitur zur
Erfassung und Beschreibung der Einflüsse auf die Moderatoren zusammengeführt werden, die es
ermöglicht, das konkrete Verhalten des Moderators in einer bestimmten Situation einer genauen
Ursache zuzuordnen.
Grundsätzlich wurde festgestellt, dass die Interaktion während einer Live-Sendung ein sehr
komplexes System ist, welches sich nicht in nur einem Modell darstellen lässt. Das bereits
aufgeführte Triadische Modell diente also zunächst als Grundlage der Untersuchung und als
grafische Zusammenfassung der als relevant betrachteten Einflussfaktoren. Die Auswertung der
Transkriptionen und nonverbalen Codierungen der beiden KI.KA LIVE Sendungen ergab in Verbindung
mit dem Datenmaterial der Faktoren-Trias Soziale Organisation, dass sich bei nahezu jeder
Äußerung der Moderatoren nachvollziehen lässt, auf welchen Faktor der Triaden-Trias diese
zurückzuführen ist. So ließ sich anhand verschiedener Beispiele belegen, dass der Moderator
innerhalb der Sendung abwechselnd mindestens vier Standpunkte einnahm (Abb. 2).
Abb. 2)
Modell der Standpunkte eines Moderators - Projektgruppe KI.KA LIVE
Um ein guter Gesprächspartner zu sein und seinem Studiogast möglichst viele Informationen
entlocken zu können, benötigt er eine natürliche Interaktionskompetenz, die auch in
Alltagsgesprächen zur Anwendung kommt. Das Ich verkörpert "die individuelle Persönlichkeit [...]
mit einer einzigartigen Biografie" (Giesecke/ Rappe-Giesecke 1997: 351f) und ist immer
Bestandteil der Interaktion mit den Studiogästen, da der Moderator zusätzlich zu seiner
festgelegten Rolle auch immer als Person mit charakteristischen Eigenheiten auftritt. Dennoch
wird das Ich normalerweise von der Rolle, die der Moderator zu erfüllen hat, in den Hintergrund
gedrängt und tritt überwiegend in Krisensituationen hervor. Es wird aber ebenso deutlich, wenn
der Moderator aus persönlichem Interesse Fragen stellt und auf eigenes Wissen zurückgreift,
welches in den zur Verfügung gestellten Sendeunterlagen nicht enthalten ist. Der Standpunkt Du
vertritt ein "anwesendes Gegenüber, dass unmittelbar sinnlich erfahren wird" (ebd.) und ist
neben dem Ich ein notwendiger Bestandteil einer gelungenen Interaktion. Er wird immer dann
eingenommen, wenn sich der Sprecher auf die Position des Zuhörers begibt und seine eigenen
Aussagen beziehungsweise die Fragen des Publikums paraphrasiert, um dem Gast das Verständnis zu
erleichtern. Neben diesen beiden alltäglichen Interaktionskompetenzen erfordert die spezielle
Rolle des Moderators, dass er mindestens zwei weitere relevante Perspektiven einnimmt: die der
Sozialen Organisation und die des Publikums. Diese ergeben sich aus der Verpflichtung des
Moderators, einerseits den Vorgaben der Redaktion und der Regie gerecht zu werden und
andererseits als Vermittler zwischen den Zuschauern und seinen Interaktionspartnern zu
fungieren. Da beide Positionen der Rolle des Moderators zugehörig sind, werden sie unter dem
Standpunkt Er - "eines [...] nicht anwesenden Dritten" (ebd.) - zusammengefasst. Auf den
Standpunkt Er - Soziale Organisation versetzt sich der Moderator, wenn er die Vorgaben und
Anweisungen der Redaktion umsetzt. Der Standpunkt Er - Publikum symbolisiert eine weitere
grundlegende Aufgabe des Moderators: die Publikumsansprache. So ging aus der Beschreibung der
Sendung KI.KA LIVE hervor, dass der Sender von seinen Moderatoren verlangt, sich vor allem
während der Gespräche mit Studiogästen oder Anrufern in die Lage der Kinder hinein zu versetzen,
um eine gewisse Nähe zur Zielgruppe zu erreichen. Daher paraphrasieren oder erklären die
Moderatoren die Äußerungen der Gesprächspartner und versuchen so den Zuschauern das Thema
verständlich zu vermitteln, damit diese der Sendung jederzeit problemlos folgen können.
Anhand der beschriebenen Standpunkte wurde deutlich, dass die Moderation das emergente Produkt
dreier Kommunikationssysteme darstellt. Hieraus ergab sich ein weiteres Modell (Abb. 3) - aus
Massenkommunikation, Organisationskommuni-kation und einem einfachen Interaktionssystem - das
der Beschreibung der überkomplexen Interaktionssituation dient.
Abb. 3)
Modell der Kommunikationssysteme - Projektgruppe KI.KA LIVE
Auf Grundlage der beschriebenen Arbeit der Projektstudienphase 2004/05 zum Thema Einflüsse auf
Moderatoren in Unterhaltungsformaten mit Talk-Teil erfolgte die Ausarbeitung der Normalform der
Sendung KI.KA LIVE. Im Zuge der Normalformanalyse wurde ein Ablaufschema der Sendung erstellt.
Dessen einzelne Phasen sind am empirischen Material deutlich nachvollziehbar.
Abb. 4)
Ablaufschema der Sendung KI.KA. LIVE - Sabine Herzberg
In den Sequenzen,
die unterschieden werden können, zeigten sich verschiedene Aufgaben für den Moderator, die
Regie und natürlich die Gesprächsgäste. Bereits das oben stehende Schema weist die Moderation
als emergentes Produkt aus Massenkommunikation mit dem Publikum, der einfachen Interaktion mit
dem Gast und der Organisationskommunikation mit der Regie und der Redaktion aus. Im Verlauf der
Sendung befindet sich der Moderator wechselnd in einem oder mehreren dieser Systeme. Anhand der
Aufgabenverteilung unter den an der Sendung Beteiligten konnten nun zwei Hauptfunktionen des
Moderators herausgestellt werden, die sich auch in den Kommunikationssystemem äußern, in denen
er sich befindet. So dient er zum einen der Organisation (in Form des Senders mit der Regie und
der Redaktion) und zum anderen der einfachen Interaktion mit dem Gast. Daraus ergibt sich ein
starker Rollenkonflikt, da der Moderator so stets zwischen den Bedürfnissen der Interaktion und
dem Willen der Organisation steht.
Abb. 5)
Modell der Funktionen - Sabine Herzberg
Ergebnisse und Optimierungsvorschläge
Aus dem Modell der Kommunikationssysteme geht hervor, dass ein Moderator mindestens drei
Interaktionsebenen beherrschen muss, um gut durch eine Live-Sendung führen zu können. Er sollte
gleichzeitig das Publikum mit seiner Persönlichkeit und als Moderator überzeugen, die
Interaktion mit den Studiogästen souverän gestalten und den Auftrag der Sozialen Organisation
erfüllen. Das Verhältnis der Kommunikationssysteme muss bereits bei der Konzeption der Sendung
festgelegt werden, da es bei einem unbeabsichtigten Ungleichgewicht zugunsten eines der Systeme
zu Komplikationen in der Sendungsgestaltung kommen kann. So ist beispielsweise - wie im Fall der
Sendung KI.KA LIVE - die Übergewichtung der Sozialen Organisation problematisch, da die
Interaktion während der Live-Situation geschwächt wird und die Sendung leicht zu einem
unflexiblen Sozialsystem wird. Einer der zentralen
Optimierungsvorschläge, die sich aus der
Studie ergaben, betrifft daher die Vorgaben durch die Redaktion, welche in ihrem Umfang und
Inhalt stärker am Konzept der Sendung ausgerichtet werden sollten. Zum Beispiel ist für eine
25-minütige Sendung mit zahlreichen Einspielern kein über 20 Seiten umfassendes Briefing
notwendig. Jedoch sollte eine Redaktion in der Lage sein, dem Moderator auch bei einem relativ
spontanen Austausch der Studiogäste einen Grundstock an Informationen zur Verfügung zu stellen.
In den Interviews bestätigten die befragten Moderatoren durch ihre Aussagen den Eindruck, dass
sie durch die Soziale Organisation zu stark eingeschränkt wurden. Sie unterschieden sich vor
allem in der Art, in der sie mit den Anforderungen der Organisation umgingen, die auf beide
gleichermaßen zukamen. Der eine ging hochselektiv mit den Regieanweisungen um und filterte die
für sich relevanten Informationen aus den zahlreichen Vorgaben der Sozialen Organisation heraus.
In dieser Auswahl kommt seine biografische Persönlichkeit zum Ausdruck, da er sich kritisch mit
der Arbeit der Redaktion auseinandersetzt. Der andere entwickelte weniger Eigenständigkeit
gegenüber der Soziale Organisation entwickeln, wodurch er einerseits leichter gesteuert werden
kann, seine Individualität aber andererseits in einer bis ins Kleinste durchstrukturierten
Sendung verloren geht.
Weitere Optimierungsvorschläge, die an dieser Stelle nur erwähnt werden können, betreffen die
Regieanweisungen, die Auswahl von E-Mails und Themen, das grundlegende Konzept einer moderierten
Live-Sendung mit Talk-Teil und die Notwendigkeit eines guten Zusammenspiels aller an der Sendung
Beteiligten. Alle Vorschläge zielen darauf ab, die Kommunikation während der Produktion einer
solchen Sendung zu verbessern und somit eine angemessene Berücksichtigung der Einflussfaktoren,
die auf einen Moderator wirken, zu erreichen. Sie dienen zur Orientierung und Vorbereitung des
Moderators auf die komplexen Anforderungen während der Interaktion in der Live-Sendung und zur
Verdeutlichung der somit von ihm geforderten Multitaskingfähigkeit. Eine Möglichkeit der
Visualisierung der verschiedenen Aufgaben des Moderators am empirischen Material wird
hier
gezeigt.Darin sind die Phasen gemäß des Ablaufschemas und die damit verbundenen Aufgaben
enthalten. Außerdem sind die Kommunikationssysteme, in denen sich der Moderator in konkreten
Situationen befindet, dargestellt und damit verbunden auch die Funktion, der er somit dient.
Die Studie, die in dieser Zusammenfassung nur überblicksartig dargestellt werden konnte, stellt
eine erste Annäherung an das Thema der Moderation im Fernsehen dar, das bisher meist nur aus
praxisbezogener, aber kaum aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet wurde. Sie bietet einerseits
Anknüpfungspunkte für weitere wissenschaftliche Untersuchungen auf diesem interessanten Gebiet
und stellt gleichzeitig eine Hilfe und Informationsgrundlage für Fernsehschaffende dar, die vor
der Aufgabe stehen eine solche Sendung zu planen und umzusetzen. Das zugrundeliegende Triadische
Modell sowie die weiteren zentralen Erkenntnisse der Arbeit sind auf jede moderierte Live-Sendung
mit Studiogästen (Interaktionspartnern) übertragbar und nicht auf Produktionen des
Kinderfernsehens beschränkt.
Literatur:
GIESECKE, Michael/ RAPPE-GIESECKE, Kornelia (1997): Supervision als Medium kommunikativer Sozialforschung.
Die Integration von Selbsterfahrung und distanzierter Betrachtung in Beratung und Wissenschaft.
Frankfurt am Main.