Rekonstruktionen
von Bedeutungszuschreibungen |
5.1.1 Rekonstruktionen von Bedeutungszuschreibungen
Nach der Datenerhebung im untersuchten System befasste sich die Forschergruppe
mit der Rekonstruktion von Bedeutungszuschreibungen der untersuchten Gesprächspartner.
Dabei bildete sie zunächst Paraphrasen, diskutierte diese und formulierte
letztendlich kohärente Texte. Diese Schritte waren notwendig, um später
das empirische Datenmaterial auswerten zu können.
Die allgemeine Vorgehensweise für beide Erhebungsgruppen soll in diesem
Abschnitt näher erläutert werden. Eine Beschreibung dieses Vorgehens
anhand von Beispielen der jeweiligen Erhebungsgruppen erfolgt später im
Gliederungspunkt 5.1.2.2.
Bildung von Paraphrasen
Hierbei versetzten sich die Forscher in die Rolle des Zuhörers in der realen
Situation. Dadurch war es ihnen möglich, Paraphrasen über die Bedeutungszuschreibungen
zu bilden, die die eigentlichen Zuhörer vornehmen. Genauer gesagt, wie
die Zuhörer die Aussagen des Sprechers verstanden haben könnten. Ziel
dabei ist es, zahlreiche Verständnismöglichkeiten, so genannte Paraphrasen,
des Textes zu bilden und festzuhalten. Dies ist möglich, weil procredi
davon ausgeht, dass auch den tatsächlichen Zuhörern das sichere Wissen
darüber fehlt, was der Sprecher zu jenem Zeitpunkt meint. Das heißt,
der Status der Rekonstruktionen der Forschergruppe unterscheidet sich kaum von
denjenigen der Annahmen der authentischen Zuhörer.
Außerdem kommen die Paraphrasen, die die Erhebungsgruppen formulieren,
unter der Voraussetzung eines sozialen Standpunktes und einer sozialen Perspektive
zustande. Dies bedeutet, dass sich bei der Rekonstruktion nur auf einen rollentypischen
Standpunkt der Beteiligten gestellt wurde. Deswegen scheiden von vornherein
Paraphrasen aus, die in anderen Kommunikationssituationen vielleicht möglich
gewesen wären. Jedoch ist aufgrund der Anzahl der Forscher und deren möglichen
unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen, von vornherein mit mehreren Paraphrasenalternativen
zu rechnen.
Diskussion der Paraphrasenalternativen
Die Beteiligten der Originalsituation, in diesem Falle die Agenturmitglieder,
haben während des Gesprächs die Möglichkeit, ihre Annahmen auszusprechen
und dadurch mit dem möglichen Sprecher in eine Aushandlung der Bedeutung
seiner Aussagen zu treten. Die Forschergruppe muss in ihrer Diskussion um die
Paraphrasenalternativen nun die Reaktionen der Betroffenen im Fortgang des Gesprächs
abwarten, um zu sehen, welche Paraphrasen an Wahrscheinlichkeit gewinnen und
welche ausgeschlossen werden können.
Formulierung kohärenter Texte
Ziel dieser Vorgehensweise ist es nun, Komplexität zu reduzieren. Das heißt,
die Anzahl der möglichen Paraphrasen zu verringern. Dann werden kohärente
Texte formuliert, die jeweils eine Lesart verdeutlichen. Dabei können verschiedene
Perspektiven und Paraphrasen im Vordergrund stehen und andere vernachlässigt
werden. Es ist auch möglich die Reihenfolge der Paraphrasen zu verändern.
Durch die Bildung kohärenter Texte, sind die Forscher in der Lage, das
Interaktionsverhalten der Beteiligten so gut es geht nachzuzeichnen und die
Gesprächsdynamik der ursprünglichen Situation zu verstehen. Auf diese
Weise können Hypothesen generiert werden.
Quelle: procredi (2006): Wissens- und Forschungsstandbericht: Glauben Sie mir... Eine Untersuchung zur Glaubwürdigkeit.S. 72-74