Die Reduktion der Komplexität von Medien durch Kodifizierung
Viele kulturellen Anstrengungen der Menschen gehen dahin, die Projektionsmöglichkeiten in die Medien zu reduzieren. Besondere Bedeutung erlangen in den Kulturen diejenigen Medien, deren Bedeutungsvielfalt gut zu kontrollieren ist. Dazu haben sich offenbar verschiedene Wege angeboten. Die beste Form, die Projektionsvielfalt der Menschen zu kanalysieren, ist es, die Medien künstlich, nach ausbuchstabierten Programmen zu schaffen. Was die Menschen selbst geschaffen haben, verstehen sie zumindest in dem Sinne am besten, dass sie den Entstehungsalgorithmus angeben können. Artikulierte Lautsprache, Tanzbewegungen, Werkzeuge, Bücher machen die Projektionen erwartbarer als jene in die nicht domestizierte Natur. So gesehen entspricht dem Aufschwung der Technik, der Zivilisation, eine Reduktion der Umweltkomplexität. Die Medien werden zunächst einfacher. Diese Entwicklung kippt allerdings in dem Maße und in den Bereichen, in dem bzw. in denen die Programme, die der Technik zugrunde liegen, selbst wieder unübersichtlich werden.
Generell lässt sich menschliches Verhalten und Erleben normieren, in dem es nach sozialen Regeln, die entweder habituell oder kodifiziert sind, ausgeführt wird. Das wichtigste Instrument zur Kodifizierung der Wahrnehmung ist in unseren Kulturen die Standardsprache. Je stärker das Verhalten sozial normiert und/oder sprachlich beschrieben ist, desto sicherer werden wir in der Bedeutungszuschreibung zu sozialen Medien. Nonverbales Verhalten gilt deshalb im Unterschied zur Rede und zu Schriftmedien als besonders interpretationsbedürftig. In den meisten Kulturen ist der Kode der Handschriften rigider als jener der Rede, jener der Druckschrift rigider als jener der Manuskripte. Falsch wäre jedoch die Annahme, sprachliches Verhalten sei von einer grundsätzlich anderen Qualität als das nonverbale, brauche etwa nicht ‘gedeutet‘ werden.1
Aus medientheoretischer Perspektive liegt die Besonderheit der menschlichen Sprache - i.S. der ‘langue’ - darin, dass sie als transmedialer Kode fungiert.2 Spätestens nach der Einführung des phonetischen Alphabets liegen der visuell wahrnehmbaren Schrift- und der hörbaren Lautsprache ähnliche Muster zugrunde. Zugleich gelten diese Muster sowohl für die Informationsverarbeitung von Individuen als auch von sozialen Gemeinschaften (psychisch und sozial). Ähnliche transmediale Gültigkeit wie die menschliche Sprache haben Zahlen
 

 
1 Das Verstehen von sprachlichen Äußerungen oder von Texten ist ‘nur’ ein Spezialfall von Wahrnehmung, allerdings ein recht komplexer von mehrfach hintereinandergeschalteten Wahrnehmungsprozessen auf mehreren Ebenen.
2 Vgl. dazu auch Christiane Heibach: Literatur im elektronischen Raum. Frankfurt/Main 2003, S. 24ff.

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