Die Kommunikationswissenschaft als Kulturwissenschaft

Das Konzept der ‘Kulturwissenschaft’ und der ‘Kultur’ bietet die Chance, die im Zuge der Arbeitsteilung getrennten Natur-, Technik-, Sozial- und Geisteswissenschaften wieder miteinander in Kontakt zu bringen. Dies geht aber nur, wenn Kultur sowohl als natürliches als auch als technisches und als soziales Phänomen begriffen wird. In diesem Falle haben die Sozial- und Geisteswissenschaften allerdings auch keinen gegenüber den Naturwissenschaften und den Technikwissenschaften bevorzugten Zugang zur Kultur. Die Kulturwissenschaften sind keine Abteilung der Sozial- und/oder Geisteswissenschaften. Oder anders: Kultur ist kein nur soziales Phänomen.
Insbesondere macht es keinen Sinn von ‘Kulturwissenschaft’ zu reden, wenn man damit ‘Sozialwissenschaft’ meint – oder keine klaren Unterschiede zwischen sozialen und kulturellen Phänomenen benennen kann. Das gleiche gilt natürlich auch für die Sprach- und Literaturwissenschaften. Auch sie sollten sagen, was sie anders sehen, wenn sie die Welt anstatt als Ansammlung von Zeichen und Texten, als kulturelles Phänomen betrachten.
Will man unter Kultur ein integratives, 'mehrdimensionales' Phänomen verstehen – und nur dann scheinen m. E. kulturwissenschaftliche Anstrengungen sinnvoll – wird man Abschied von dem Ideal eines homogenen Objektbereiches nehmen müssen, welches für die traditionellen Einzelwissenschaften konstitutiv ist. Wir werden es mit Objekten zu tun haben, die ganz unterschiedlicher Art sind, auf unterschiedlichen Ebenen emergieren und wir werden der Versuchung wiederstehen müssen, diese Unterschiede wieder einzuebnen. Eine Spezifik der Kultur liegt darin, dass sie inhomogen ist. Diese Inhomogenität ist auch für den Objektbereich der Kommunikationswissenschaft konstruktiv.
Einschlägige Erfahrungen mit den Tücken inhomogener Objekte haben gerade die Kommunikationswissenschaften. Sie sind sowohl mit Kommunikatoren als auch mit Medien, sowohl mit Informationen als auch mit informationsverarbeitenden Systemen, sowohl mit Soft- als auch mit Hardware befasst. Wie die Aufgliederung in Medien- und Kommunikationswissenschaften schon zeigt – von der Abspaltung der Informatik gar nicht zu reden – hat bislang die Sehnsucht nach einem homogenen Objektbereich die Schaffung einer kulturwissenschaftlichen kommunikations- oder/und medienwissenschaftlichen Disziplin verhindert. Ambivalenzen und Widersprüche werden nicht als solche modelliert, sondern durch wissenschaftliche Arbeitsteilung ‘aufgelöst’. Abhilfe scheint mir nur möglich, wenn es gelingt, dem Objektbereich dieser Disziplin Parameter zu geben, die unterschiedliche Klassen von Objekten zulassen.
Erfolgreiche Strategien für den Umgang mit artverschiedenen Objekten (z. B. Natur, menschliche Gesellschaft, Technik) und einem inhomogenen, interdisziplinären wissenschaftlichen Objektbereich hat die Ökologie entwickelt. Ihre Erkenntnisse lassen sich nutzen, wenn man Kulturen als ökologische Netzwerke begreift. Eine Theorie kultureller Kommunikation bzw. eine kulturwissenschaftliche Fundierung der Kommunikationswissenschaft wird sich in diesem Sinne an das ökologische Paradigma anschließen.
   
  vgl. Kultur als Perspektive in Modul 03
   

 
 
 

 

www.kommunikative-welt.de Theorie ©Michael Giesecke