Pflanzen als Medium kultureller Kommunikation - der Spiegelungsansatz

 

 
In den Naturwissenschaften wird die informationstheoretische Perspektive auf Pflanzen gegenwärtig bevorzugt. Sie erscheinen als informationsverarbeitende Systeme und als Informationsmedien.
Man kann genauso gut in der strukturellen Dimension ansetzen und sich mit den Vernetzungsmechanismen und der Frage, wie sich die Pflanzen untereinander synchronisieren beschäftigen. (Vgl. das Phänomen des ‚Bambussterbens') Die dritte, spiegelungstheoretische Dimension, die mit der Theorie morphogenetischer Felder von R. Sheldrake bislang nur am Rande berührt wurde, findet sich auch in kulturwissenschaftlichen Arbeiten. Ich werde diese Sichtweise auf die Beziehung der Pflanzen zur menschlichen Kultur anwenden.
Resonanz oder Wechselwirkung ist das mindeste was aus kommunikationstheoretischer Sicht erforderlich ist, um von einer kommunikativen Beziehung zu reden. Und das Ergebnis einer solchen Beeinflussung ist immer die Schaffung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Wir imitieren das Verhalten unserer Mitmenschen um zu lernen. Wir hoffen, daß unsere Beschreibungen in dem Mitmenschen ähnliche Vorstellungen hervorrufen, wie wir sie selbst entwickelt haben. Der Umgang mit Pflanzen verändert unseren Körper und unsere Psyche. Wir stellen uns auf den Rhythmus von Säen, Pflanzenwachstum und Ernte ein und gestalten unser Leben entsprechend. Andererseits bedeutet jede Kultivierung der Natur deren Zurichtung auf unsere Sinne, Verdauungsorgane, Verhaltensmöglichkeiten usf. Die kultivierten Pflanzen spiegeln uns Menschen.
Pflanzen werden seit altersher in das kulturelle System aufgenommen - aber nicht alle und nicht alle in der gleichen Weise. Die ‚Kultivierung' der Pflanzen hängt (u.a.) von den Gemeinsamkeiten ab, die die Menschen in der kulturellen Selbstbeobachtung zwischen sich und den Pflanzen feststellen können. Wie bei allen Spiegelungsverhältnissen müssen wir zwischen positiven und negativen Spiegelungen unterscheiden, also zwischen Ähnlichkeiten und Verkehrungen, Symmetrien und Asymmetrien.
Kulturen haben also die Möglichkeit in der Beziehung Mensch : Pflanze die Gemeinsamkeiten oder aber die Unterschiede zu betonen. In der Vor- und Frühgeschichte hat man ganz generell die Gemeinsamkeiten hervorgehoben. Mit der zunehmenden Verstädterung, Industrialisierung, Demokratisierung, also im Prozeß der Zivilisation sind die Unterschiede stärker hervorgetreten.1 In unserer Gegenwart eröffnet sich die Möglichkeit, das Entweder-Oder-Denken durch ein Sowohl-Als-Auch-Denken abzulösen.
Diese entwicklungsgeschichtliche Hypothese stellt die nachfolgende Abbildung dar:
 
Pflanzen und Technik im Spiegel der Kulturgeschichte 2

 
In den archaischen Gesellschaften der Sammler und Jäger und dann der Ackerbauern waren bzw. sind Pflanzen unverzichtbarer Bestandteil der kulturellen Kommunikationsgemeinschaft und zwar sowohl als Kommunikatoren als auch als Kommunikationsmedium. Man redete bzw. redet mit Pflanzen, sprach bzw. spricht ihnen menschliche Fähigkeiten zu, machte bzw. macht sie zum Ausdrucksmedium göttlichen Willens oder vergottete bzw. vergottet sie selbst. Zugleich nutzten die Menschen Pflanzen und Samen in Opferhandlungen von sich aus als ein Medium der Kommunikation mit der Natur und mit transzendentalen Mächten. Die mehr oder weniger reichliche Ernte zeigte ihnen, ob das Gespräch mit den verschiedenen Naturgewalten erfolgreich war oder nicht.
Dieses Konzept setzt voraus, daß die Menschen eine große Ähnlichkeit zwischen sich und den Pflanzen erkennen. Anthropologen und Ethnologen sind solche Gemeinsamkeiten in den sogenannten 'einfachen Kulturen' schon immer aufgefallen und sie haben dies als Anthropomorphismus oder Animismus beschrieben: Die Pflanzenwelt (und natürlich auch die Tiere) werden vermenschlicht, u. U. auch beseelt, so ist ihre These.
3 (Vgl. Abb. 21) Man kann es natürlich auch umgekehrt sehen: Der Mensch wird botanisiert. Er betrachtet sich als Teil der Vegetation, sieht sein Wachsen, Reifen und Sterben als Teil des Naturkreislaufs und betont damit die Gemeinsamkeit zwischen sich und den Pflanzen.
Zuwenig beachtet wird häufig der ambivalente Charakter des Vergleichens: Es schafft sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Die Beteiligten und der Betrachter haben prinzipiell die Möglichkeit entweder den Aspekt der Identifizierung, also das Feststellen von Gemeinsamkeiten oder jenen der Abgrenzung, also der Feststellung von Unterschieden zu betonen.
Und diese Möglichkeit haben die Kulturen im Laufe der Geschichte genutzt, auch im Hinblick auf die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Mensch und Pflanzen: Es spricht alles dafür, daß man bis zum Beginn der Neuzeit vor allem die Gemeinsamkeiten betont hat.

 

Das Verhältnis Mensch-Pflanze: Ein zerbrochener Spiegel?
In verschiedenen Schüben, begünstigt zunächst durch die wachsende Bedeutung von Viehzucht und Tieren, dann durch Technisierung, monotheistische Religionen usf. hat sich die Akzeptanz von Pflanzen als Kommunikationspartner und - medium in Europa drastisch verringert. Kulturhistoriker beschreiben diese Zurückdrängung als Zivilisation, Entmystifizierung, Säkularisierung, Aufklärung u.ä.
Den letzten nachhaltigsten Anstoß zur Ausgrenzung von Pflanzen erleben wir seit der frühen Neuzeit. Während die Christen bis zur Glaubensspaltung Pflanzen als ein Medium göttlicher Verkündigung allgemein akzeptierten, hat der Protestantismus mit seiner strikten Reduktion der göttlichen Informationsmedien auf die Heilige Schrift (Sola scriptura) auch auf diesem Felde ein monomediales, ausschließlich auf den Menschen bezogenes Kommunikationskonzept durchgesetzt.4
 
Die Verzauberung der Technik

Mit der sogenannten Entzauberung der Pflanzen und Tiere ging und geht gleichzeitig in den Industriegesellschaften Europas eine Verzauberung der Technik einher. Deutlich kann man dies z. B. an der Schlüsseltechnologie der Buchkultur, dem Buchdruck, zeigen. Sie wird mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit vermenschlicht, ihr wird die Fähigkeit Wissen zu speichern und zu vermitteln, aufklärend zu wirken, Demokratie zu schaffen usf. schon seit den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts zugeschrieben.
 
Mit der Nutzung der elektronischen Datenverarbeitung in den 50er Jahren werden an den Maschinen nicht nur Ähnlichkeiten mit den psychischen Speicherleistungen sondern auch mit der menschlichen Gehirntätigkeit erkannt. Das 'Elektronengehirn' kann denken. Dieser Vergleich ging vielen allerdings zu weit und es sind in der Zwischenzeit eine Reihe von Beiträgen erschienen, die belegen wollen, "warum Computer nicht denken" können.
Man kann demnach die Entwicklung wie folgt zusammenfassen: Der Ausgrenzung der Pflanzen als Kommunikationspartner und -medium entspricht auf der anderen Seite die Einbeziehung der Technik in die menschlichen Kommunikationssysteme und ihre zunehmende Sozialisierung und Psychologisierung. Dieses Verdrängungsverhältnis, daß also die kulturelle Bedeutung der technischen Medien und Kommunikatoren nur auf Kosten der anderen, pflanzlichen erreicht werden kann, hat letztlich zu der Frage geführt, ob wir eine gestörte Beziehung zu den Pflanzen haben.

 

 

1 Ähnliches gilt auch für die Beziehung Mensch : Tier. Allerdings sind hier schon in der 2. Hälfte des 19. Jhs. Wiederannäherungen zu beobachten, vor allem ausgelöst durch Charles Robert Darwins
2 Ich nehme dabei eine eurozentristische, ziemlich teleologische Sichtweise ein. Würde man asiatische Entwicklungslinien berücksichtigen, sähe dies natürlich anders aus. Ebenso kommt man zu anderen Ergebnissen, wenn man Kulturen untersucht, die die typischen Stadien der Demokratisierung, Industrialisierung und Aufklärung nicht durchschritten haben. Da es aber auf dieser Tagung in erster Linie darum geht, sich mit der Situation der Gartenbauwissenschaften und -praxis in Deutschland zu befassen, mag diese kulturell und geographisch eingeschränkte Sichtweise akzeptabel sein.
3 Eine sehr schöne Fallstudie über die 'Beseelung' von Bäumen bei den Nyamaropa in Ost-Zimbabwe hat Alois Mandondo 1997 veröffentlicht. (Trees and spaces as emotional and norm laden components of local ecosystems in Nyamaropa land, Nyanga District, Zimbabwe. In: Agriculture and Human Values (Dordrecht), Vol. 14, No. 4, Dec. 1997, p. 353-372.
4 Vgl. Peter Tompkins/Christopher Bird: The Secret Life of Plants. Harper & Row, Publishers, New York 1973




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