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Das Kurz- und Langzeitgedächtnis des behaarten Zweizahns |
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Anfang der 80er Jahre führte ein Team französischer
Pflanzenphysiologen am Bidens Pilosus L., dem behaarten Zweizahn, eine Reihe
von Untersuchungen durch, um zu überprüfen, 'ob sich Pflanzen
erinnern können'.1
Der Zweizahn bildet im frühen Stadium zwei Keimblätter symmetrisch
rechts und links vom Stengelansatz. Eines dieser Keimblätter durchstachen
die Wissenschaftler viermal. Fünf Minuten später schnitten sie
beide Keimblätter ab. Der Zweizahn wuchs weiter. Einige Tage später
wurde auch die Spitze abgeschnitten, worauf die Pflanze wie üblich
reagierte: Sie setzte ihr Wachstum an der Stelle, wo ursprünglich die
Keimblätter gewesen waren in die Breite fort. Nach zwanzig Tagen maßen
die Wissenschaftler die neugewachsenen Blätter aus. "An der Stelle,
wo einst die beiden Keimblätter gewesen waren, hatte der Zweizahn sein
Prinzip der Symmetrie durchbrochen: Auf der einen Seite, an der das Keimblatt
mit Nadelstichen malträtiert worden war, hatte er jetzt ein deutlich
kleineres Blatt gebildet, als an der unverletzten Seite. Der Zweizahn hatte
sich an jene fünf Minuten in der Vergangenheit erinnert, in denen das
unverletzte Keimblatt ruhig weiterwachsen konnte, während sich das
verletzte Blatt um seine Wunden kümmern mußte...... Etwa 1000
Zweizähne mußten sich die Nadelstiche gefallen lassen, bis die
französischen Pflanzenphysiologen wagten, der staunenden Fachwelt von
seinem Gedächtnis zu berichten....." (Kerner/Kerner, S. 89) Auch bei diesen Versuchen sollte man sich hüten, das neuzeitliche Verständnis des menschlichen Gedächtnis als einer im Großhirn eingebauten Vorratskammer für Worte und Bilder auf die Pflanzen zu übertragen. Noch weniger als es durch die neurophysiologischen Befunde gedeckt wird, paßt es für nicht-psychische Systeme. Wir benötigen hier einen allgemeineren Begriff nicht nur von Wahrnehmung, sondern auch von Informationsbearbeitung und -speicherung. Im Falle des Zweizahns können mindestens drei Formen von Informationsspeicherung unterschieden werden: Die genetischen Informationen, die das 'normale' Wachstum der Pflanze regulieren, ein Kurzzeit- und ein Langzeitgedächtnis. Um die beiden letzteren Formen der Speicherung zu unterscheiden, verfeinerten die französischen Wissenschaftler ihren Versuchsaufbau. Wie beim ersten Versuch wurde zuerst eines der beiden Keimblätter punktiert. Nach fünfzehn Minuten wurden dann jedoch beide Keimblätter nochmals viermal durchstochen und später wieder abgeschnitten. Nach zwanzig Tagen und der Kürzung der Spitze entstanden an den alten Schnittstellen zwei gleich große neue Blätter. Offenbar war die erste Verletzung des einen Keimblattes durch die zweite Verletzung überlagert. "In Erinnerung blieb lediglich, daß er an beiden Keimblättern verletzt worden ist. Folglich macht er auch keinen Unterschied, als die beiden neuen Blätter wuchsen, er blieb seinem Prinzip der Symmetrie treu." (Ebd. S. 91) Mit sorgfältigen Reihenuntersuchungen ermittelten die Wissenschaftler schließlich, daß etwa 10 Stunden zwischen der ersten und der zweiten Verletzung vergehen mußten, damit beim späteren Breitenwachstum Asymmetrien zu erkennen waren. Wenn man dieses Ergebnis in die psychologische Begrifflichkeit überträgt, könnte man davon sprechen, daß der Zweizahn ein eher schwaches Kurzzeitgedächtnis und ein gutes Langzeitgedächtnis besitzt. Genauso spannend ist natürlich die Frage, welche Umweltreize in dieser Weise von Pflanzen gespeichert werden können. Solche physikalischen Veränderungen, wie sie durch die Nadelstiche hervorgerufen werden, scheinen ja eher ein Extremfall zu sein. Temperatur, Windrichtung, Feuchtigkeit, Nährstoffzusammensetzung usf. dürften für den Adaptionsprozeß der Pflanzen an die Umwelt größere Bedeutung besitzen. |
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1Thellier,
M., Desbiez, M. O., Champagnat, P., Kergosien, Y.: Do memory processes
occur also in plants?, in: Physiol. Plant., 56, S. 281-284, Copenhagen
1982. |