Olfaktorische Informationssysteme und Kommunikationsmedien

 
Doris und David Jonas (1) zeichnen in ihrem Buch das Bild einer Spezie, denen der Geruchssinn einen evolutionären Vorteil gebracht hat. Sie nennen diese Lebewesen ,Olfaktoren' und führen dann aus:
"So wie wir die uns umgebende Welt mit Bäumen, Flüssen, Bergen, Tieren, Gebäuden, Wahrzeichen, Schlamm, Sand, Gesichtern usw. sehen, und sich in uns ein geistiges Bild zuerst über den Gesichtssinn formt, so nehmen jene Lebewesen diese Dinge in erster Linie über den spezifischen Geruch der Dinge wahr. Die übrigen Sinne dienen dem Test, dem Beweis, der Bestätigung, der Ablehnung oder der Modifikation des über den Geruchssinn erhaltenen Eindrucks.
Geruch verströmende Chemikalien bedeuten dieser Spezies das gleiche wie uns die Druckerschwärze. Wir bringen mit Druckerschwärze und mit Farbe abstrakte Linien oder Kurven auf Papier oder auf Leinwand, so daß andere diese Symbole sehen und interpretieren können. In vergleichbarer Weise übermitteln Tiere höher entwickelter Arten ihre Informationen in der ihnen eigenen Art, indem sie beispielsweise Markierungen mit Urin, Fäkalien oder Drüsenabsonderungen an gewissen Orten hinterlassen.'' (22/23)
Eine exemplarische Gattung dieser Olfaktoren sind die Wölfe. Sie markieren ihr gesamtes Revier mit Geruchssignalen. Diese ,duftenden Signalpfosten' informieren andere Tiere darüber, wer sich in diesem Bereich aufgehalten hat, "ob es ein persönlicher Freund war oder ein Gegner, ob ein Weibchen auf der Suche nach einem Partner, ob es junges oder altes, krankes oder gesundes, hungriges oder gejagtes oder sattes Tier war." (23) Der Wolf und auch alle anderen Olfaktoren nehmen diese Düfte nicht nur wahr und verarbeiten sie, sondern sie müssen sie auch irgendwie speichern. Dies ist schon eine Grundbedingung für das 'Wiedererkennen'. Diese Speicherung bedient sich anderer Programme und Codes als jene der Menschen oder anderer eher visuell orientierter Gattungen.
Sobald für uns Gerüche gesellschaftlich relevant werden, unterziehen wir sie ja einer Analyse mit unseren Augen, versuchen sie sichtbar zu machen und ihnen Namen in unserer auf den visuellen Informationen aufbauenden Sprache zu geben. Wenn wir dann über diese Gerüche kommunizieren wollen, dann reproduzieren wir nicht sie, sondern schreiben Formeln und nennen Namen. Natürlich können auch wir olfaktorisch kommunizieren, aber im Prozeß der Zivilisation hat sich die Tendenz herausgebildet, olfaktorisch Informationen in andere Medien zu transformieren. Unsere ,Sprache' ist nicht aus dem Bestreben hervorgegangen, ,Duftpartikel' zu kodieren. Wäre sie es, dann sähe sie gewiß ganz anders aus.
Nun gibt es, wie D. und D. Jonas bemerken, "auf unserer Erde viele komplexe und wunderbare Lebensformen, die auf dem Geruchssinn beruhen .. aber sie alle hier auf Erden werden durch jene Lebensformen übertroffen, deren Informationsaufnahme und deren Intelligenz sich auf den Gesichtssinn stützen. Wollen wir, ''so schließen sie deshalb," uns ein Bild von den hypothetischen Olfaktoren und ihren Entwicklungsverlauf machen, dann müssen wir uns vorstellen, daß deren lntelligenz zumindest dem Niveau unserer gegenwärtigen, auf dem Gesichtssinn basierenden Intelligenz entspricht" (26) In diesem Sinn versuchen sie dann die Leistungen der bekannten, auf der Erde anzutreffenden ,Olfaktoren' zu extrapolieren.

"Unsere visuellen Symbole sind im Grunde aus geraden und gebogenen Linien hervorgegangen. Aus diesen sehr einfachen, von unserer Netzhaut aufgenommenen Elementen erkennt unser Gehirn Kombinationen, die es in visuelle Muster und Worte umsetzt. Bei der Farbe ist der Vorgang ähnlich. Wenn auf die Netzhaut ein Lichtstrahl mit einer Wellenlänge zwischen 635 und 640 Nanometern auftrifft, dann interpretiert das Gehirn dies derart, daß wir rot sehen. '' (33/34)
''Das Vokabular der ersten intelligenten und olfaktorisch orientierten Lebewesen muß aus den in der Luft umherschwirrenden Partikeln einer unzähligen Vielfalt von chemischen Substanzen bestehen, ähnlich wie wir eine Vielfalt von Linien und Kurven in unterschiedlichen Farben, Längen und Kombinationen um uns sehen. Das Gehirn interpretiert dann diese chemischen Partikel zu einem olfaktorischen Ganzen, .. verfügten die Olfaktoren über eine Lautsprache, würden sie dem olfaktorischen Ganzen, der speziellen Kombination von Gerüchen, einen Namen geben, so wie in uns das Wort ,Palme' ein ganz spezifisches Bild von einer bestimmten Kombination sichtbarer Formen entstehen läßt." (34)
Während wir die Düfte, die wir bei einem Spaziergang durch einen Garten wahrnehmen, sogleich wieder an die sichtbaren Formen der Pflanzen und Früchte binden, würden die Olfaktoren umgekehrt die Formen, die sie mit ihren Augen ebenfalls wahrnehmen könnten, an die unterschiedlichen, aus Düften aufgebauten Begriffen binden.
Sie hätten gewiß auch "Verfahrensweisen gefunden, ihre Duftbotschaften auf geeigneten Oberflächen aufzubewahren, genauso wie wir unsere mit den Augen aufzunehmenden Botschaften auf Papier drucken und bewahren." (60) Intelligente Olfaktoren, so fantasieren die beiden Autoren, ''identifizieren gewisse grundlegende Duftelemente durch bestimmte Laute oder Worte und errichten auf diese Weise ein System olfaktorischer Begriffsträger, das ihnen ebenso gut dient wie uns das geschriebene Wort. Ein Olfaktoren-Drucker tunkt in verschiedene Fläschchen mit standardisierten Duftchemikalien und überträgt sie manuell oder maschinell auf ein Blatt." (60/61)
Dahinter steht die folgende einfache ,sprachtheoretische' Überlegung: "Alles, was man für eine symbolische Sprache ähnlich der unserigen benötigt, ist ein System von fünfundzwanzig bis dreißig unterscheidbaren Elementen beliebiger Art, die über Berührung, Geruch, Elektrizität oder auf anderen Wegen erfaßt und in verschiedenen Zusammenstellungen arrangiert werden können, vergleichbar mit den Buchstaben unseres Alphabets." (234)
Diese Elemente brauchen also weder graphische Zeichen (Kurven) noch chemische Duftsubstanzen oder Laute zu sein, es können auch taktile Zeichen, also zum Beispiel ,Gesten' oder Geschmacksqualitäten sein.

 

(1) Doris und Davis Jonas: Other Senses, Other Worlds. London 1976. Hier nach der deutschsprachige Fassung mit dem Titel: Die Außerirdischen - Leben und Intelligenz auf fremden Sternen. Zürich 1977, S. 29.
 



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