Thesen

 

 
Menschen, Tiere und Pflanzen haben viele ähnliche Sinne und sie nutzen auch ähnliche Kommunikationsmedien.
Jede Art hat jedoch bestimmte Sensoren, Verarbeitungstypen und Medien besonders ausgeprägt und modifiziert die Informationsverarbeitung so, daß sich arttypische Überlebensvorteile ergeben.
Da die Sinne, Botenstoffe, Speichermedien und andere hardware-Komponenten die Modelle determinieren, die die Lebewesen von ihrer Umwelt haben, leben die verschiedenen Arten auch in verschiedenen Welten: Other senses - other worlds.
Jede ökologische Nische, die von bestimmten Arten besetzt ist, hat ihre Beschreibung von dieser Art - und umgekehrt. Andere Lebewesen können diese Nischen weniger gut erkennen. (Sie nutzen sie ja auch weniger.)
Dies setzt naturwissenschaftlicher Erkenntnis Grenzen. Was der Biologe mit seinen Augen klassifiziert, wird nicht die relevante Information für z. B. tierische Olfaktoren sein.
(Termiten wundern sich nicht, wenn ihre Artgenossen dicke Käfer genauso füttern und pflegen wie ihre ganz anders aussehende eigene Brut. Sie finden die visuellen Informationen irrelevant im Vergleich zu dem Geruch. Und da die Käfer die gleichen Pheromone aussenden wie die Termitenbrut, ordnen sie sie der eigenen Art zu. Sie sind Teil des Kommunikationssystems der Termiten, weil sie das prämierte Medium in ähnlicher Weise nutzen.)
Sinne, Speicherungs- und Kodierungsformen, Vernetzungswege zwischen den Prozessoren und Darstellungsmedien hängen selbstverständlich auch bei den Tieren voneinander ab. Je einfacher die Lebewesen, desto stärker dürfte der Input den Output determinieren. (Desto geringer die Flexibilität der Verarbeitung.) Ameisen senden den gleichen Duftstoff aus, den sie von ihren Artgenossen, die vom Futterplatz auf dem Heimweg sind, aufgeschnüffelt haben.
Nur so können sie Wege (Kommunikationsbahnen) erhalten und verstärken.
Die Menschen verfahren im Prinzip ähnlich, wenn sie visuelle Gestaltwahrnehmungen in Bilder übersetzen.
Schwieriger ist die Frage zu beantworten, in welchem Medium oder in welchen Medien und Kodes die Tiere ihre Umweltinformationen speichern: Pheromone, die wahrgenommen (Sensor) und später wieder als Botenstoffe (Effektor) genutzt werden, transformiert (Prozessor) das Tier ja zunächst in ein anderes Medium (Speicher). (Die Karte ist nicht das Territorium!) Aber in welches und nach welchem Kodierungssystem? Nur neuronal? Neuronal und psychisch? Hormonell?
(Bekannt ist z. B., daß bei höheren Tierarten die Informationen von Pheronomen im Kleinhirn verarbeitet werden und relativ direkt dorthin gelangen. Es finden hormonelle, also biochemische Veränderungen statt.)
Grundsätzlich muß man auch bei Tieren von einer multimedialen und -prozessoralen Informationsverarbeitung ausgehen.
Die Schaltwege zwischen den Sinnen und den verschiedenen neuronalen Prozessoren (und dann den Effektoren) sind bei den verschiedenen Lebenwesen jedoch unterschiedlich direkt und schnell. I.d.S. ist bspw. die Reaktion des Menschen auf Gerüche unwillkürlicher und direkter als auf die gehörte oder gelesene Sprache.
Wenn es um die multimediale Entwicklung menschlicher Fähigkeiten geht, kann ein Blick auf die Tierwelt neue Perspektiven auf die bislang vom Menschen vernachlässigten Sinne und Medien eröffnen.
Für die Entwicklung multimedialer Erkenntnis-, Speicher- und Darstellungstheorien ist die Beschäftigung mit animalischen Informations- und Kommunikationssystemen unverzichtbar.
Sie ist auch sinnvoll für die Entwicklung von Visionen über die globale Informationsgesellschaft. Diese läßt sich ja als das umfassende, alle Individuen der menschlichen Art einbeziehende Kommunikationssystem verstehen. Wie die Informationsverarbeitung in diesem System verbessert werden kann, dazu mag ein Vergleich z. B. mit den staatenbildenden Insekten hilfreich sein: Es zeigt sich dann, daß die Intelligenz dieses Staates den der einzelnen Termiten bei weitem übersteigt. Bei der Gattung ‚Mensch' ist es eher umgekehrt, wie nicht zuletzt kriegerische Auseinandersetzungen zeigen, die der einzelne Mensch zwar für unvernünftig hält, die aber als Gemeinschaftsleistung trotzdem emergieren.
Wenn es gelänge den kombinatorischen Gewinn, der in der Informationsverarbeitung von Termiten entsteht, auch auf der Ebene menschlicher Gemeinschaften zu erreichen, wäre dies ein großer evolutionärer Schritt.
Augenblicklich wird noch zuviel Aufwand in Richtung auf die Verbesserung individueller Informationsverarbeitung betrieben.
Außerdem ist auffällig, daß die bisherige Technisierung meistens an den Organen ansetzt, die sowieso schon recht gut entwickelt bzw. gesellschaftlich prämiert sind. So geht es zum Beispiel um die ,Verstärkung' des Sehens, der Handfertigkeiten, kognitiver Klassifikationsleistungen usf., alles Bereiche, in denen der Mensch im Vergleich zu vielen anderen biologischen Arten schon sehr weit fortgeschritten ist. Möglicherweise eröffnen sich alternative Richtungen für die Technisierung und überhaupt für die Entwicklung der Informationsverarbeitung, wenn wir uns mit grundlegend anderen Informationsverarbeitungssystemen beschäftigen, Schmetterlinge z.B., Tiefseefische oder Termiten.
   




www.kommunikative-welt.de Theorie ©Michael Giesecke