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Walther von der Vogelweide - ein Vordenker triadischer Weltsicht |
Gedicht (mhd.) "Ich saz ûf eime steine" | aus:
Der Reichston (1198 - 1201) |
Übersetzung: |
![]() und dahte bein mit beine. dar ûf satzt ich den ellenbogen. ich hete in mîne hant gesmogen daz kinne und ein mîn wange. dâ dâhte ich mir vil ange, wie man zer welte solte leben. deheinen rât kond ich gegeben, wie man driu dinc erwurbe, der keinez niht verdurbe. diu zwei sint êre und varnde guot, daz dicke ein ander schaden tuot: daz dritte ist gotes hulde, der zweier übergulde. diu wolte ich gerne in einen schrîn: jâ leider desn mac niht gesîn, daz guot und weltlich êre und gotes hulde mêre zesamene in ein herze komen. stîg unde wege sint in benomen: untriuwe ist in der sâze, gewalt vert ûf der strâze, fride unde reht sint sêre wunt. diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden ê gesunt. |
Walther von der Vogelweide (ca. 1170 - 1230) |
![]() und schlug ein Bein über das andere. Darauf stützte ich den Ellenbogen. Ich hatte in meine Hand geschmiegt das Kinn und meine eine Wange. So erwog ich in aller Eindringlichkeit, wie man auf dieser Welt zu leben habe. Keinen Rat wußte ich zu geben wie man drei Dinge erwerben könne ohne daß eines von ihnen verlorenginge. Zwei von ihnen sind Ehre und Besitz, die einander oft Abbruch tun; das dritte ist die Gnade Gottes, weit höher geltend als die beiden andern. Die wünschte ich in ein Gefäß zu tun. Aber zu unserm Leid kann das nicht sein, daß Besitz und Ehre in der Welt und dazu Gottes Gnade zusammen in ein Herz kommen. Weg und Steg ist ihnen verbaut, Verrat lauert im Hinterhalt, Gewalttat zieht auf der Straße, Friede und Recht sind todwund: bevor diese beiden nicht gesunden, haben die Drei keine Sicherheit. |
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Aus: Karl Otto Conrady (Hg.): Der neue Conrady. Das große deutsche Gedichtbuch von den Anfängen bis zur Gegenwart. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf und Zürich 2001. |