Handout
Kulturmodelle als Perspektive für die Beratung
 
Das Konzept der ‘Kulturwissenschaft’ und der ‘Kultur’ bietet die Chance, die im Zuge der Arbeitsteilung getrennten Natur-, Technik-, Sozial- und eisteswissenschaften wieder miteinander in Kontakt zu bringen. Dies
geht aber nur, wenn Kultur sowohl als natürliches als auch als technisches und soziales Phänomen begriffen wird. In diesem Falle haben die Sozial- und Geisteswissenschaften allerdings auch keinen gegenüber den Naturwissenschaften und den Technikwissenschaften bevorzugten Zugang zur Kultur. Die Kulturwissenschaften sind keine Abteilung der Sozial- und/oder Geisteswissenschaften. Oder anders:
Kultur ist kein nur soziales Phänomen, es ist aber kein bloßes mentales Modell. Ohnedies liegt auf allen Ideen der Fluch, mit Materie behaftet zu sein.(Marx)
   
Insbesondere macht es keinen Sinn von ‘Kultur’ (bzw. von ‘Kulturwissenschaft’) zu reden, wenn man damit ‘soziale Systeme’ (bzw. ‘Sozialwissenschaft’) meint – oder keine klaren Unterschiede zwischen sozialen und kulturellen Phänomenen benennen kann.
   
Will man unter Kultur ein integratives, 'mehrdimensionales' Phänomen verstehen – und nur dann scheinen mir kulturwissenschaftliche Anstrengungen sinnvoll -, dann wird man Abschied nehmen müssen von dem Ideal eines homogenen Gegenstandes von Beratung , wie dies für die meisten Beratungsschulen typisch ist. Wir werden es mit Objekten zu tun haben, die ganz unterschiedlicher Art sind, auf unterschiedlichen Ebenen emergieren und wir werden der Versuchung widerstehen müssen, diese Unterschiede durch die Entwicklung einer Makrotheorie wieder einzuebnen. Eine Spezifik der Kultur liegt darin, dass sie inhomogen ist.
   
Einschlägige Erfahrungen mit den Tücken inhomogener Objekte haben gerade die Berater. Sie sind sowohl mit Menschen als psychischen und leiblichen Wesen als auch mit sozialen Systemen unterschiedlichster Art, mit Technik und mit allerhand weiteren materiellen Medien befasst. Bislang hat die Sehnsucht nach einem homogenen Modell von Beratung dominiert. Ambivalenzen und Widersprüche werden nicht als solche modelliert, sondern durch Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Beratungskonzepten ‚aufgelöst’. Die Psychoanalyse stellt die Person in den Mittelpunkt, die Gruppendynamik die Gruppe, die OE soziale Organisationen usf.
   
Erfolgreiche Strategien für den Umgang mit artverschiedenen Objekten (z.B. Natur, menschliche Gesellschaft, Technik) und einem inhomogenen, interdisziplinären wissenschaftlichen Objektbereich hat die Ökologie entwickelt. Ihre Erkenntnisse lassen sich nutzen, wenn man Kulturen als ökologische Netzwerke begreift.
   
Die Spezifik kultureller Informationsverarbeitung und Vernetzung ergibt sich gerade daraus, dass unterschiedliche Typen von Kommunikatoren miteinander vernetzt werden. Die Komplexität unserer Kultur besteht nicht nur in einer Vielfalt in quantitativer Hinsicht (mehr vom Selben), sondern auch in qualitativer Hinsicht: Biogene, psychische, soziale, physikalische u. a. Medien und Systemtypen wirken zusammen. Genau um diesen inhomogenen Charakter gesellschaftlicher Netzwerke auszudrücken, empfiehlt sich der Begriff „Kultur“.

 


 

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