Wenn man sich den Menschen als informationsverarbeitendes System vorstellt,
so fällt sofort seine große interne Komplexität auf. Er verfügt über verschiedene
Sinnesorgane und kann seine Erfahrungen in vielfältigen Medien ausdrücken.
Darüber hinaus verfügt er aber auch über unterschiedliche Möglichkeiten,
die gesammelten Erfahrungen zu bearbeiten und auszuwerten. Die Theorien
über diese unterschiedlichen Prozessoren und deren Zusammenwirken sind
nicht sehr gut entwickelt. Im Alltag unterscheiden wir zwischen Gefühl
und Verstand, der Neurologe kennt Groß-, Zwischen- und Kleinhirn,
Freud unterschied die Instanzen Ich, Es und Über-lch usf. Der kleinste
gemeinsame Nenner der meisten Ansätze, die sich mit dieser Frage beschäftigt
haben, scheint der zu sein, dass man mindestens mit drei unterschiedlichen
Klassen interner Prozessoren zu rechnen hat, die dann selbst wieder noch
vielfach zu differenzieren sind.
Es gehört zu den großen Eigentümlichkeiten der neuzeitlichen europäischen
Kultur, dass sie diese Komplexität drastisch reduziert: wenn von psychischer
Informationsverarbeitung die Rede ist, dann wird zunächst an den Verstand
gedacht. Die Philosophen beschäftigen sich mit Vernunft und Geist, die
Pädagogen vermitteln rationales Wissen, und Intelligenz gilt allgemein
als hohes Wertkriterium. Erst in neuerer Zeit wandelt sich das Bild. Es
erscheinen Bücher über die 'Intelligenz der Gefühle', über 'Emotionales
Management', und man beginnt dem Affekt als kognitiver Verarbeitungsleistung
eine positive Werfschätzung entgegenzubringen.
Beispielhaft für mehrere modelltheoretische Vorstellungen über nichtrationale
Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Informationsdarstellung soll
folgender Ansatz aus der Schule des Neurolinguistischen Programmierens,
entwickelt von Leslie Cameron-Bandler und Michael Lebeau in ihrem Buch
<Die Intelligenz der Gefühle - Grundlagen der 'Imperative Self Analysis'>
(Paderborn 1991), stehen. Es werden acht Bestandteile der Gefühle stichwortartig
erläutert:
1. Zeitrahmen
"Wenn wir von Zeitrahmen sprechen, meinen wir Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft. Fast alle Gefühle haben einen Bezug auf die Vergangenheit,
Gegenwart oder Zukunft." (S. 83)
Für zahlreiche Gefühle ist die Einordnung in einen solchen Zeitrahmen
konstitutiv.
2. Modalität
"Wenn Ihre subjektive Erfahrung Ihnen etwas als notwendig, möglich,
unmöglich oder wünschenswert erscheinen lässt, befinden Sie sich in einem
Bezugsrahmen, den wir Modalität nennen." (S. 86)
Worte wie 'brauche', 'muss', 'sollte', 'hätte', 'könnte', 'kann', 'vielleicht',
'müsste', 'will', 'werde' und 'werde nicht' sind Indikatorworte, die Hinweise
darauf geben, was eine Person für notwendig, möglich oder wünschenswert
hält.
"Und diese modalen Glaubenssätze tragen in starkem Maße dazu bei,
die genannten Gefühle hervorzurufen." (S. 89)
3. Beteiligung
Die Beteiligung kann aktiv oder passiv sein. Dabei geht es nicht
um das Verhalten, sondern um das Gefühl, "instrumentell an der Herbeiführung
eines Zustands beteiligt zu sein"..."oder sich den Ereignissen
machtlos ausgeliefert zu sehen". (S. 91)
4. Intensität
Emotionen können mehr oder weniger intensiv sein, affektive Bewertungen
entsprechend mehr oder weniger stark erlebt werden. Intensität stellt
ein Kontinuum dar, dass sich verstärken und verringern lässt.
"Beispiele für strukturell ähnliche, aber in ihrer relativen Intensität
verschiedene Emotionen sind u. a. (nach zunehmender Intensität geordnet):
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enttäuscht |
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traurig |
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gramerfüllt |
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zufrieden |
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glücklich |
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begeistert |
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ekstatisch |
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besorgt |
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beunruhigt |
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ängstlich |
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hysterisch |
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neugierig |
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interessiert |
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angeregt |
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begierig |
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besessen |
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ablehnend |
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ärgerlich |
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wütend." (S. 95) |
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5. Vergleich
Unser emotionaler Apparat vergleicht eingehende Informationen mit gespeicherten
emotionalen Erfahrungen. Dabei kann es hinsichtlich bestimmter Gefühle,
Situationen, Personen usf. entweder eine Tendenz zur Übereinstimmung
oder zur Nichtübereinstimmung geben.
"Wenn Sie nur auf Übereinstimmungen achten, werden Sie vor allem
die Dinge wahrnehmen, die Ihrem persönlichen Standard ähnlich sind ...
Wenn Ihr Sohn den Rasen gemäht hat und Ihnen nur die ungemähten Kanten
auffallen, Sie aber übersehen, daß der Rest des Rasens tadellos aussieht
... dann achten Sie allein auf die Nichtübereinstimmung." (S. 97/98)
6. Tempo
"Unsere Erlebnisse haben ein Tempo. Tempo ist eine der Eigenschaften
unseres Erlebens, die nur sehr selten wahrgenommen wird, obwohl sie fast
immer ein unabdingbarer Aspekt unseres augenblicklichen Erlebens ist.
...Tempo ... scheint unsere sämtlichen Emotionen zu durchdringen. Emotionen,
denen ein schnelles Tempo zugrunde liegt, sind z. B. Erregung, Panik,
Unruhe, Ungeduld, Angst und Wut. Ein langsames Tempo bestimmt Emotionen
wie Langeweile, Einsamkeit, Apathie, Entmutigung, Geduld, Akzeptanz und
Zufriedenheit." (S. 99/100)
7. Kriterien
Gefühle können bewertet werden. Das dabei zugrunde gelegte Relevanzsystem,
das, "was Sie für wichtig halten", ist das Kriterium.
"Kriterien sind die Standards (Maßstäbe), die Sie in einer bestimmten
Situation verwenden." (S. 103)
"Ähnlich wie Tempo, Zeitrahmen, Modalität, Beteiligtsein, Intensität
und Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung/Vergleich sind Kriterien
Elemente Ihres emotionalen Erlebens, durch die Sie die Qualität Ihrer
Erfahrung dramatisch beeinflussen können." (S. 105)
8. Chunkgröße
Das Gefühl analysiert genauso wie der Verstand die Umweltwahrnehmung.
Dabei kann das Detaillierungsniveau dieser Sequenzierung unterschiedlich
sein.
"Die Chunkgröße gibt an, wieviel von dem, was in einer bestimmten
Situation grundsätzlich wahrnehmbar ist, Sie in Ihrer Erfahrung tatsächlich
bewußt wahrnehmen." (S. 106)
So kann man etwa Aufgaben in kleinere Teilaufgaben zerlegen, die dann
nacheinander abzuarbeiten sind, oder man erlebt die Aufgabe als Ganzes,
als Berg, den zu bewältigen die eigene Kraft kaum auszureichen scheint.
Der Grundgedanke der 'Imperative Self Analysis' ist, dass wir alle die
Möglichkeit haben, die wesentlichen Parameter unserer Gefühle, die eben
aufgelistet wurden, zu verändern. Beispielsweise lässt sich das Tempo
oder die Chunkgröße variieren, mit dem ein bestimmtes Ereignis erlebt
wurde.
"Sobald Sie die Struktur einer Emotion kennen, können Sie auch verstehen,
warum Sie die Ihnen vertraute Wirkung auf Ihr Erleben und Verhalten hat.
Wenn Sie um die entscheidenen Komponenten wissen, durch die eines Ihrer
Gefühle erzeugt wird, haben Sie die Möglichkeit, dieses Gefühl in ein
anderes zu verwandeln, das befriedigender oder nützlicher für Ihre augenblickliche
Situation ist." (S. 121)
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