Menschliche Informationsverarbeitung
Lineare Phasenmodelle vs. kybernetische Regelkreise
In psychologischen und pädagogischen Lehrbüchern und in den verschiedenen
Handbüchern zu Trainings, Beratung, Organisationsentwicklung findet man
mehr oder weniger explizite Phasenmodelle der Informationsverarbeitung.
Üblich sind Unterscheidungen der folgenden Phasen: Wahrnehmung, kognitive
und emotionale Verarbeitung von Umwelterfahrungen (Denken, affektive Reaktionen),
Speichern und Vergessen, Darstellen von Erfahrungen (Sprechen) und Handeln.
Mit dem Überprüfen von Handlungserfolg und/oder Wahrnehmungen beginnt der
Kreislauf erneut.
Die Modelle unterscheiden sich nach der Anzahl bzw. der Ausdifferenzierung
dieser Phasen und nach der Art der Linearisierung/Hierarchisierung: Wird
zwischen Selbst- und Umweltwahrnehmung, zwischen Verstand und Gefühl, zwischen
instrumentellem und symbolischem Handeln unterschieden?
Mit welcher Phase beginnt das Modell? Handeln, Wahrnehmen, Denken oder Denken,
Handeln, Wahrnehmen oder Wahrnehmen, Denken, Handeln usf. Zur Begründung
der jeweiligen Reihenfolge werden Theorien und Glaubenssätze herangezogen:
Rationalismus für das Primat des Denkens, Pragmatismus für das Primat des
Handelns, Sensualismus/Empirismus für das Primat des Wahrnehmens.
Das ökologisch-kybernetische Konzept geht grundsätzlich davon aus, dass
die Informationsverarbeitung kreisförmig geschlossen ist. Es gibt keinen
Anfang und kein Ende, nur einen ewigen Kreislauf, der allerdings immer wieder
unterbrochen wird (
Paradoxie). Zweitens geht das kybernetische Konzept davon aus, dass die
Informationsverarbeitung durch Selbstwahrnehmungsprozesse gesteuert wird.
Im einfachsten Fall durch einfache Sensoren mit Reglerfunktion, im Falle
menschlicher - und anderer komplexer - Informationsverarbeitungssysteme
kann auch diese Wahrnehmung nochmals wahrgenommen und geregelt werden. Diese
Wahrnehmung der Selbstwahrnehmung wird gelegentlich als Reflexion
bezeichnet. Im Prinzip kann diese Ineinanderverschachtelung von Informationssystemen
beliebig fortgesetzt werden (vgl. das Modell der komplexen informationsverarbeitenden
Systeme). 
Die empirische Erfahrung zeigt, dass es keine einheitliche Linearisierung
der Informationsverarbeitung bei beliebigen Systemen gibt, sondern vielfältige
'Interpunktionen' der Kreisläufe sowohl durch die einzelne Person als auch
durch deren Beobachter und die Umwelt möglich sind.
Genaue Auswertungen von menschlichen Informationsverarbeitungsprozessen
in Übungen belegen, dass keineswegs jeder die gleiche Sequenzierung der
Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse vornimmt - und auch die Ausgangspunkte
weder bei den verschiedenen Personen noch bei unterschiedlichen Anlässen
bei derselben Person die gleichen sind.
Manche nehmen sich viel Zeit für eine genaue Beobachtung, andere beginnen
sofort mit Bewertungen des (vermeintlich) Wahrgenommen, andere können Handlungsimpulse
kaum unterdrücken, und wieder andere sind sofort damit beschäftigt, Gründe
für Wahrnehmungen, Handlungsimpulse, Bewertungen usf. auszuführen.
Man kann sagen, dass sich die Individualität von Personen (und von Organisationen)
gerade auch darin zeigt, welche Phasen prämiert werden. Das Training
ermöglicht die
Erkenntnis der eigenen bevorzugten Linearisierungs- bzw. Prämierungsstrategien,
die
Erkundung der Vor- und Nachteile dieser Strategie, das
Ausprobieren von Alternativen bzw. das Festigen von bislang wenig genutzten,
vagen Routinen. |