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Selbstwahrnehmung und Kongruenz |
Ziel psychotherapeutischen Handelns ist u. a. die Herstellung einer verlorenen Echtheit. Im Alltag und für die Alltagskommunikation ist es ein großer Gewinn, über Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion zu mehr echtem Selbstausdruck zu gelangen, denn Inkongruenz führt zu Kommunikationsstörungen. Selbstwahrnehmung bezieht sich zunächst auf die Wahrnehmung der körperlichen Sensationen (oft spüren wir körperlich, wenn etwas nicht stimmt, was wir sagen) und dann auf die Wahrnehmung der wahren Gefühle einem Sachverhalt oder Menschen gegenüber. Schulz von Thun spricht davon, dass wir mitunter dazu neigen, "uns etwas vorzumachen", wenn uns etwas scheinbar nicht "in den Kram" passt. Selbstwahrnehmung bezieht sich schließlich auch auf die Wahrnehmung der sprachlichen Gewohnheiten. Schulz von Thun unterscheidet zwischen Techniken der Selbstverbergung einerseits und Imponier- und Fassadentechniken andererseits. Beides sind "unechte" Kommunikationsweisen und dienen dazu, die wahren Gefühle und Einstellungen gerade nicht zum Ausdruck zu bringen.
Sprachliche Mittel der Selbstverbergung sind zum Beispiel:
Imponier- und Fassadentechniken sind z. B. eine schwer verständliche
Sprache oder die beiläufige Verpackung hochwertiger Botschaften:
Alle Autoren betonen, dass das Lernziel 'Selektive Authentizität oder Stimmigkeit' ein lebenslanger Weg sei, mehr eine Aufgabe als ein Ziel - auf dem Weg bleiben ist wichtig. Man sollte versuchen, auf eigene, persönliche Weise mit der paradoxen Spannung zu leben, einerseits danach zu streben, möglichst viel Echtheit und Selbstkongruenz zu verwirklichen, sich aber andererseits an Rogers zu erinnern, der, in Freundlichkeit mit sich selbst sagt: "Keiner erreicht diesen Zustand völlig." Zu Echtheit und Authentizität gehört es dann auch, in kritischen Situationen diese Spannung und Begrenztheit bewusst zu sehen und anzunehmen - und sie gerade nicht zu überspielen. |
Aus: Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden 1 - Störungen und Klärungen. Rowohlt TB, Reinbek 1981. |