Excerpt Lernende Organisation (Chr. Argyris)
   
Aus: Chris Argyris: „Wissen in Aktion“. Eine Fallstudie zur lernenden Organisation.
Klett-Cotta, Stuttgart. 1997.
S. 58-72
2. Abwehrverhalten, das Lernen erschwert
Der erste Schritt zur Reduzierung von Abwehrverhalten besteht darin zu erklären, wie es sich entwickelt. Schließlich gehört es nicht zur formalen Managementtheorie oder Praxis, auch wird es nicht an Universitäten oder in Weiterbildungsprogrammen für Führungskräfte gelehrt. Trotzdem ist es allgegenwärtig. Warum?
Eine noch verwirrendere Frage wird durch die Organisation veranschaulicht, die wir in diesem Buch untersuchen. Wir haben eine Gruppe von sieben Direktoren und Eigentümern, die andere Organisationen wegen dieses Abwehrverhaltens verließen und eine Beratungsfirma schaffen wollten, in der nur minimales Abwehrverhalten auftritt; die sich dann aber in einer Organisation wiederfanden, die genau die Eigenschaften aufwies, die sie ablehnten. Wie ist es zu erklären, daß Menschen in einer neuen Organisation ein Abwehrverhalten entwickeln, obwohl sie es eigentlich ablehnen?
 
Ein Grundgerüst für das Lernen
Das Grundgerüst, das ich verwenden will, um diese Fragen zu beantworten, umfaßt Lernen auf individueller, Gruppen- und Organisationsebene. Lernen entsteht, sobald Fehler entdeckt und korrigiert werden. Ein Fehler ist jede Fehlanpassung zwischen Absicht und tatsächlichen Konsequenzen, zum Beispiel eben die Fehlanpassung, die die Direktoren zwischen ihrer ursprünglichen Absicht (eine Organisation mit wenig Abwehrverhalten) und der aktuellen Lage (eine Organisation mit reichlich Abwehrverhalten, das sich selbst zu verstärken und auszubreiten scheint) entdeckten.
Meiner Meinung nach ist es nur ein erster Lernschritt, eine Fehlanpassung zu entdecken. Als zusätzlicher Schritt kommt hinzu, daß der Fehler korrigiert wird, und zwar so, daß die Korrektur Bestand hat. Außerdem gibt es zumindest zwei Möglichkeiten, einen Fehler zu korrigieren (Abb.): zum einen durch eine Verhaltensänderung (zum Beispiel indem man weniger lästert oder andere diffamiert); diese Art der Korrektur erfordert lediglich Einzelschleifen-Lernen. Die zweite Möglichkeit, Fehler zu korrigieren, besteht in der Veränderung des zugrundeliegenden Hauptprogramms, das Individuen dazu veranlaßt, andere zu diffamieren, selbst wenn sie behaupten, daß sie das nicht beabsichtigen. Das ist Doppelschleifen-Lernen (Argyris & Schön, 1974). Wenn man Aktionen verändert, ohne die zugrundeliegenden Hauptprogramme zu verändern, die Menschen anwenden, um zu agieren, wird die Korrektur entweder gleich mißlingen oder nicht lange halten.
 
Aktionstheorien
Hauptprogramme kann man auch als Aktionstheorien betrachten, welche die Akteure über die Strategien informieren, die die Akteure anwenden sollten, um ihre beabsichtigten Konsequenzen zu erreichen. Aktionstheorien werden von mehreren Wertvorstellungen beherrscht, die das Gerüst für die gewählten Aktionsstrategien liefern. So ist der Mensch ein gestaltendes Wesen. Er erzeugt, speichert und ruft Entwürfe ab, die ihm raten, wie er agieren soll, wenn er seine Absichten erreichen und im Einklang mit seinen Leitwerten agieren will.
 

Abb. Einzelschleifen- und Doppelschleifen-Lernen

 
Diese Entwürfe oder Theorien von Aktionen sind der Schlüssel zum Verständnis von menschlichem Handeln.
Schon zu Beginn unserer Forschungen haben meine Kollegen und ich gelernt, daß es zwei Typen von Aktionstheorien gibt. Für die eine traten die Menschen ein; sie umfaßte ihre Überzeugungen, Haltungen und Werte. Die zweite Theorie war ihre handlungsleitende Theorie, also die Theorie, die sie tatsächlich anwendeten. Wir erwarten nicht, daß Menschen für gewöhnlich eine handlungsleitende Theorie entwerfen und implementieren würden, die sich deutlich von der unterschied, für die sie eintraten; auch erwarteten wir nicht, daß sie sich der Widersprüche zwischen der einen und der anderen Theorie gar nicht bewußt waren. Deshalb war es eine große Überraschung – angesichts unserer Meinung von Menschen als gestaltenden Organismen – zu entdecken, daß es häufig grundsätzliche, systematische Fehlanpassungen zwischen den vertretenen und den handlungsleitenden Theorien gibt. Es war außerdem verwirrend, herauszufinden, daß Menschen Theorien entwickeln, um sich der Fehlanpassung nicht bewußt zu werden. Und sie tun das alles, wenn die Sachverhalte peinlich oder bedrohlich sind, genau dann, wenn effektives Lernen entscheidend ist (Argyris & Schön, 1974; Argyris, 1982).
Die zweite große Überraschung war, daß es kaum Unterschiede bei den handlungsleitenden Theorien gab, obwohl die Theorien, für die man eintrat, sich stark voneinander unterschieden. Wir fanden zum Beispiel dieselbe handlungsleitende Theorie in Nordamerika, Europa, Südamerika, Afrika und dem Fernen Osten. Wir fanden auch, daß es dieselbe war, ob die Personen nun jung (zwölf Jahre alt) oder alt; arm oder reich, männlich oder weiblich, schwarz, gelb oder weiß waren.
Ich sollte mein Ziel etwas verdeutlichen. Das Verhalten der Personen variierte stark, aber die Theorie, die sie gebrauchten, um es zu gestalten und zu implementieren, variierte nicht. Das Verhalten, das man „das Gesicht wahren“ nennt, ist zum Beispiel sehr verschieden. Aber der Vorschlag oder die Regel, der man folgt, um das Gesicht zu wahren, bleibt das gleiche: Wenn man auf Peinlichkeiten oder Bedrohungen stößt, weicht man ihnen aus und vertuscht das Ausweichen.
Wenn es also in der ganzen industrialisierten Welt nur wenige handlungsleitende Theorien gibt, sollte es viel leichter sein als angenommen, anderen beim Verstehen und Lernen zu helfen. Eine zweite wichtige Folge betrifft das Produzieren von in Aktion umsetzbarem Wissen. In der Einführung wurde aktionsfähiges Wissen als Information definiert, die Akteure verwenden könnten, um zum Beispiel Gespräche in Gang zu bringen, die die beabsichtigen Inhalte transportieren. Aktionsfähiges Wissen muß spezifizieren, wie man Bedeutungsinhalte produziert, dem Akteur aber die Freiheit läßt, die spezifischen Worte auszuwählen. So ist die handlungsleitende Theorie, die dazu bestimmt ist, das Gesicht zu wahren, ein Beispiel von in Aktion umsetzbarem Wissen. Es definiert die Aktionsstrategien (Ausweichen und Vertuschen) und überläßt es dem Akteur, die Worte auszuwählen, die tatsächlich verwendet werden.
 
Das Modell I der handlungsleitenden Theorie
Dieses Modell ist der Entwurf, den wir überall in der Welt finden. Es besitzt vier Leitwerte:
1. Erreichen Sie Ihren beabsichtigten Zweck.
2.
Maximieren Sie den Gewinn und minimieren Sie den Verlust
3.
Unterdrücken Sie negative Gefühle
4. Verhalten Sie sich nach vernünftigen Gesichtspunkten
Die geläufigsten Aktionsstrategien, die aus Modell I hervorgehen, sind die folgenden:
1. Verteidigen Sie Ihre Position
2.
Bewerten Sie die Gedanken und Aktionen anderer (und Ihre eigenen Gedanken und Aktionen)
3. Suchen Sie bei allem, was Sie verstehen wollen, nach Ursachen.
 
Diese Aktionen müssen so durchgeführt werden, daß Sie Ihre Leitwerte zufrieden stellen – das heißt, Sie erreichen zumindest Ihr akzeptiertes Mindestniveau, wenn es darum geht, unter Kontrolle zu sein, zu gewinnen, oder ein Ergebnis zustande zu bringen. Mit anderen Worten, das Modell I schreibt Ihnen vor, Ihre Positionen, Beurteilungen und Zuschreibungen so herbeizuführen, daß sie von anderen Menschen nicht untersucht oder getestet werden können. Die Folgen dieser Modell
I-Strategien sind Abwehrverhalten, defensives, mißverständliches Verhalten sowie Prozesse, die eine eigene Dynamik entwickeln und sich selbst versiegeln (Argyris, 1982, 1985b).
 
Begrenzte Lernsysteme in Organisationen
Eine Organisation wird durch die Gedanken und Aktionen von Personen lebendig, die als Repräsentanten dieser Organisation agieren und die Verhaltenswelt erzeugen, in der die Arbeit verrichtet wird. Wenn die meisten das Modell I anwenden, entstehen Verhaltenswelten, die mit Modell I übereinstimmen und dafür sorgen, daß es verwendet werden darf. Ich nenne diese Welten oder begrenzte Lernsysteme Modell OI. Diese Behauptung geht davon aus, daß Menschen nur so agieren können, wie es die handlungsleitende Theorie vorsieht. Wenn gezeigt werden kann, daß Personen Aktionen entwerfen und implementieren können, die über ihre jeweilige handlungsleitende Theorie hinausgehen, dann würde diese Behauptung nicht bestätigt werden.
Die Direktoren der Organisation, die zum Studienfall für dieses Buch wurde, traten für eine Organisation ein, die Doppelschleifen-Lernen und Veränderungen in den herrschenden Wertvorstellungen der Organisation belohnten, weil sie glaubten, Lernen sei notwendig, wenn man immer auf dem neusten Stand der Entwicklung sein wolle. Wie wir jedoch sehen werden, stimmten ihre handlungsleitenden Theorien mit Modell I überein. Deshalb war es nicht überraschend, daß sie keine Verhaltenswelt erzeugen konnten, die Doppelschleifen-Lernen förderte. Statt dessen verleiteten ihre Modell I-Theorien sie dazu, Modell OI-Verhaltenswelten zu erzeugen, die begrenztes Lernen belohnten. Diese begrenzten Lernsysteme entsprechen dem Abwehrverhalten in Organisationen.
Wie wir sehen, ist ein Abwehrverhalten in einer Organisation jede Aktion, Strategie oder Praxis, die Angehörige dieser Organisation davor schützt, Peinlichkeiten oder Bedrohungen zu erfahren und sie gleichzeitig davor bewahrt, deren Ursachen aufzudecken. Ein Abwehrverhalten in Organisationen wie das Modell I verhindert Doppelschleifen-Lernen und überbehütet die Mitarbeiter und die Organisation.
Wir können nun die Frage beantworten, mit der wir das Kapitel begonnen haben. Das Abwehrverhalten in einer Organisation wird durch einen zirkulären, sich selbst verstärkenden Prozeß verursacht, bei dem das Modell I jedes einzelnen individuelle Strategien des Ausweichens und des Vertuschens produziert, die in Ausweichen und Vertuschen auf Organisationsebene resultieren und wiederum die handlungsleitende Theorie dieser Personen verstärken. Deshalb ist die Erklärung des Abwehrverhaltens in Organisationen sowohl auf individueller als auch auf Organisationsebene zu suchen. Das bedeutet, daß es nicht möglich sein sollte, Routinen in Organisationen zu verändern, ohne individuelle Routinen zu verändern und umgekehrt. Jeglicher Versuch, nur das eine zu tun, wird scheitern oder führt bestenfalls zu einem zeitweiligen Erfolg.
Wenn das Gesagte über diesen Selbstverstärkungsprozeß zutrifft, dann haben es Forscher und Intervenienten zumindest mit zwei Aufgaben zu tun, wenn sie sowohl den Individuen als auch den Organisationen helfen wollen, Doppelschleifen-Lernende zu werden. Die erste Schwierigkeit besteht darin, daß das Gefühl jedes einzelnen für Kompetenz, Selbstvertrauen und Selbstwert sehr stark von ihrem Modell I und dem Abwehrverhalten abhängt. Wenn jemand Doppelschleifen-Lernen herstellen will, sind die Folgen wegen dieser Abhängigkeit geradezu unweigerlich auf routinierte Weise kontraproduktiv, denn das Modell I wird nicht zulassen, daß die von Modell I beherrschten Werte verändert werden. Kurz, die Menschen sind auf routinierte Weise inkompetent (Argyris, 1986). Diese Tatsache wird man nicht gerade mit Freude aufnehmen. Sie könnte tatsächlich zusätzliche Peinlichkeiten und Bedrohungen heraufbeschwören. So wird eine der ersten Informationen, die für die Umerziehung notwendig sind, gerade das Abwehrverhalten auslösen, das der Intervenient verändern soll. Der Forscher und Intervenient darf dieses Dilemma nicht ignorieren, sondern muß es als eine Chance für das Leben auf der Grundlage der jetzt und hier verfügbaren Daten betrachten. Bis jetzt reagierten die meisten, mit denen meine Kollegen und ich gearbeitet haben, tatsächlich defensiv, als sie diese Mitteilung hörten, aber die meisten haben aus ihrer Abwehrhaltung gelernt (Argyris, 1982).
Das zweite Problem ist, daß die Individuen die handlungsleitenden Theorien so verinnerlicht haben, daß sie für selbstverständlich erachtet werden. Sie existieren stillschweigend, weil sie routiniert angewendet werden. Wir nennen Verhalten routiniert, wenn es funktioniert, den Anschein von Mühelosigkeit macht und automatisch hergestellt wird, ohne daß man dem Vorgang viel Aufmerksamkeit schenkt.
Darüber hinaus definieren die Menschen in aller Regel soziale Werte wie Mitgefühl, Unterstützung und Integrität als mit Modell I übereinstimmend. Das bedeutet, daß sie die kontraproduktiven Konsequenzen von Modell I nicht erkennen. Um ihnen zu helfen, ihre routinierte Blindheit gegenüber Modell I zu erkennen, muß der Intervenient das Modell II der handlungsleitenden Theorien einführen. Modell II-Theorien sind grundsätzliche Theorien, für die man eintritt. Die Aufgabe besteht nun darin, den Menschen zu helfen, die Theorien, für die sie eintreten, in ihre eigenen handlungsleitenden Theorien umzuformen, indem sie neue Routinen und neue Leitwerte lernen. Da viele Leute für Modell II-Werte und -Routinen eintreten, sind diese nicht völlig neu für sie. Aber erfahrungsgemäß können nur wenige die Werte und Routinen umsetzen, für die sie eintreten; doch häufig sind sie sich dieser Begrenzung gar nicht bewußt.
 
Modell II der handlungsleitenden Theorie
Die Leitwerte von Modell II sind relevante Information, informierte Entscheidungen und aufmerksame Überwachung der Implementierung der Entscheidungen, damit Fehler entdeckt und korrigiert werden. Wie im Fall von Modell I sind die drei auffälligsten Verhaltensweisen Verteidigung, Beurteilung und Zuschreibung. Im Gegensatz zu Modell I-Verhaltensweisen sind Modell II-Verhaltensweisen in Aktionsstrategien eingearbeitet, die offen veranschaulichen, wie die Akteure zu ihren Beurteilungen oder Zuschreibungen kamen und wie sie sie herbeiführten, damit andere sie untersuchen und überprüfen können. Folglich wird Abwehrverhalten, das lernfeindlich ist, auf ein Minimum reduziert, und Doppelschleifen-Lernen wird gefördert. Peinlichkeiten und Bedrohungen werden nicht umgangen und vertuscht, sondern angepackt (Argyris & Schön, 1974; Argyris, 1982, 1985b).
Das geht so weit, daß Personen, die Modell II-Theorien verwenden und nicht nur dafür eintreten, das Abwehrverhalten in der Organisation unterbrechen und Lernprozesse und Systeme schaffen, die das Doppelschleifen-Lernen so fördern, daß es Bestand hat. Diese Prozesse und Systeme werden Modell OII-Lernsysteme genannt (Argyris & Schön, 1978).
 
Defensives und produktives Argumentieren
Um besser verstehen zu können, wie das Abwehrverhalten beibehalten wird, müssen wir untersuchen, wie die Menschen argumentieren. Im Alltagsleben haben Argumente die Funktion, eine Basis für eine Meinung, einen Glauben, eine Haltung, ein Gefühl oder eine Aktion zu erzeugen. Durch Argumentieren erklärt man Fakten. Durch den Vorgang des Argumentierens können Menschen von Überzeugungen und Aktionen, die sie bereits kennen, zu neuen Überzeugungen und Aktionen gelangen.
Im Laufe meiner wissenschaftlichen Untersuchungen habe ich festgestellt, daß jeder Mensch im Alltagsleben defensiv und produktiv argumentiert.
Wenn man seine Aktionen auf diese Weise entwirft und implementiert, dann sind die Prämissen, die man entwickelt, um seine kausalen Erklärungen zu untermauern, unausgesprochen. Der Prozeß, durch den man von seinen Prämissen zu seinen Schlußfolgerungen gelangt, ist ebenfalls unausgesprochen. Und die Daten, die man verwendet, um seine Prämissen zu erzeugen, sind weich. Weiche Daten sind relativ direkt beobachtbare Daten wie Gespräche, deren Bedeutungen schwer zu verstehen sind, vor allem von Personen mit unterschiedlichen Meinungen. Harte Daten sind relativ direkt beobachtbare Daten, deren Bedeutungen verstanden werden können, aber von Personen mit einer gegenteiligen Meinung nicht unbedingt akzeptiert werden. Zum Beispiel sind Bandaufnahmen harte Daten; weiche Daten sind die Berichte über das, was gesprochen wurde.
Eine weitere Eigenschaft von defensivem Argumentieren ist, daß Personen Schlußfolgerungen ziehen und behaupten, daß sie richtig seien, dabei aber sicherstellen wollen, daß die einzige Möglichkeit, diese Schlußfolgerungen zu überprüfen, darin besteht, ihre eigene Logik zu verwenden. „Vertrau mir, ich weiß wovon ich spreche. Der Soundso meinte in Wirklichkeit, daß er nicht einverstanden war, als er sagte, ‚Ich bin einverstanden’“ – das ist ein Beispiel für diese Eigenschaft.
Es handelt sich hierbei um eine Form der Selbstbedienung, es ist lernfeindlich und überbehütend – das heißt, es besitzt dieselben Eigenschaften, die das Modell I und das Abwehrverhalten belohnen. Mit defensivem Argumentieren sorgt man dafür, daß das Modell I und das Abwehrverhalten verfestigt und belohnt werden.
Während der Intervention, die in diesem Buch beschrieben wird, befaßte ich mich vor allem mit der Überprüfung von defensivem Argumentieren. Um die Direktoren zu veranlassen, ihre eigenen Denkprozesse zu überprüfen, forderte ich sie auf, die Basis für ihre Schlußfolgerungen mit relativ direkt beobachtbaren Daten zu veranschaulichen. Ich forderte sie außerdem auf, ihre Prämissen zu formulieren oder zu beschreiben, wie sie ihre Schlußfolgerungen überprüfen, indem sie eine Logik verwendeten, die nichts mit ihrer eigenen Logik zu tun hatte, und Daten, die man als gültig akzeptieren kann, auch wenn man gegenteiliger Meinung ist. (Ein detailliertes Beispiel für die Diagnose von defensivem Argumentieren bei Praktikern in Organisationen bei Argyris, 1987)
Ich versuchte, produktiv zu denken, um meine Intervention zu entwickeln, und empfahl den Direktoren, dasselbe zu tun. Wenn Menschen produktiv denken und argumentieren, liefern sie relativ direkt beobachtbare Daten, um die Grundlage des Arguments, das man darauf folgert, zu veranschaulichen; sie machen alle Schlußfolgerungen explizit und entwickeln sie so, daß andere sie verwerfen können.
 
Die Schlußfolgerungsleiter
Am defensiven und produktiven Denken und Argumentieren erkennt man, daß die Herstellung von Schlußfolgerungen eine Schlüsselaktivität beim Entwurf und der Implementierung von Aktion ist. Es ist wichtig zu lernen, Schlußfolgerungen explizit zu machen und ihre Gleichgültigkeit extern zu testen. Eine solche Leiter ist ein hypothetisches Modell darüber, wie man Schlußfolgerungen herstellt. Man beginnt damit, einige relativ direkt beobachtbare Daten wie zum Beispiel Gespräche zu sammeln. Das ist Spross eins der Leiter. Man macht Schlußfolgerungen über die Bedeutungen der Worte (Sprosse zwei). Man tut das oft innerhalb einer Tausendstelsekunde ohne Rücksicht darauf, ob man mit den Bedeutungen einverstanden ist. Dann zwingt man den Aktionen, von denen man glaubt, daß andere Personen sie beabsichtigen, seine Bedeutungen auf (Sprosse 3). Zum Beispiel schreibt man den Aktionen Gründe oder Ursachen zu. Man mag die Aktionen auch als effektiv oder ineffektiv beurteilen. Schließlich stimmen die Zuschreibungen oder Beurteilungen, die man macht, mit der handlungsleitenden Theorie über effektive Aktionen überein (Sprosse 4).
Wenn dieses Modell eine richtige Darstellung davon ist, wie Menschen ihre Alltagswelt verstehen, dann sollte es relevant für den Entwurf und die Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen sein.
Ich verwendete sowohl diese Modell und argumentierte produktiv, um das ganze Projekt und seine verschiedenen Teile, von einem Zweitagesseminar bis zu Interventionen, die nur ein paar Minuten dauerten, zu entwerfen und durchzuführen. Ich konnte zum Beispiel damit beginnen, relativ direkt beobachtbare Daten der Aktionen der Direktoren zu sammeln. Ich konnte außerdem ihre Meinung über die kulturellen Inhalte der Daten und die Inhalte, die sie auf Sprosse 2 des Modells folgerten, erfragen. Daraus schloß ich auf ihre handlungsleitende Theorie.
Während einer Kurzintervention forderte ich häufig einen Direktor auf, seine Zuschreibung darzulegen. Oder ich fragte ihn, ob er sie überprüft habe. Wenn ja, bat ich ihn, den Test zu schildern. Wenn nicht, fragte ich ihn, was die anderen getan hatten, um ihn dazu zu bringen, seine Zuschreibung nicht zu testen.
Als Forscher überprüfte ich die Schlußfolgerungen, die ich zusammen mit ihnen zog. Als Intervenient versuchte ich ihnen zu helfen, dieselben Fähigkeiten zu entwickeln, die ich verwendete, damit sie als Führungskräfte das Doppelschleifen-Lernen fördern konnten.
 
Kausalitätskonzepte
Im Mittelpunkt empirischer Forschung stehen Kausalitätskonzepte. Sie sind auch für das Alltagsleben von zentraler Bedeutung. Shoham (1990) stellt fest: „Zwar ist es geläufig, im wissenschaftlichen Denken kausal zu argumentieren, aber auch im Alltagsdenken ist es ausgesprochen dominant. Man muß nur eine populäre Zeitschrift überfliegen, um festzustellen, daß diese kausalen Begriffe – verursachen, verhindern, ermöglichen, mit sich bringen, heraufbeschwören, zur Folge haben, veranlassen, beeinflussen, ein Ende machen und so weiter – ständig darin auftauchen“ (Seite 214).
Mein Ziel ist es, ein wirksames Wissen zu erzeugen, das im Alltagsleben in Aktion umsetzbar und überprüfbar ist. Dieses Ziel wird leichter zu erreichen sein, wenn die Konzepte der Kausalität, die vom Forscher und Praktiker verwendet werden, einander zumindest entsprechen, wenn nicht gar ähnlich sind. Je größer die Kluft zwischen den Kausalitätskonzepten der Forscher und der Praktiker ist, desto größer ist auch die Kluft zwischen Wissen und effektiver Aktion.
Die Kausalitätskonzepte, die ich zur Verwendung vorschlage, um die Lücke zwischen Wissen und Aktion zu verkleinern, ergeben sich aus der bereits beschriebenen Prämisse I: daß Menschen ihre Aktionen entwerfen und kraft dieses Umstandes sich um Kausalität und kausale Schlußfolgerungen kümmern. Sie formulieren Absichten und streben danach, diese beabsichtigten Konsequenzen zu erreichen. Folglich hängt ihre Alltagspraxis von dem ab, was ich Entwurfskausalität nenne, das ist die Kausalität, die implizit in den kausalen Verbindungen zwischen Absichten und Aktionen im Alltagsleben bestehen. (Simon, 1969). Diese Art der Kausalität ist von Olafson (1967) als „Ursache durch Grund“ und durch Von Hayek (1967) als „ausreichender Grund“ beschrieben worden. Sie ist der tatsächliche Grund für eine Aktion – das Denken und Argumentieren, das unmittelbar dazu führt, im Unterschied zu dem Argumentieren, durch das es gerechtfertigt werden könnte (Schick, 1991).
Was Von Hayek (1967) „effiziente Ursache“ nennt, ist ebenfalls ein Aspekt der Entwurfskausalität. Eine effiziente Ursache ist die Kausalverbindung zwischen Aktion und ihren Konsequenzen, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt und zwischen den primären Konsequenzen einer Aktion und allen weiteren. Ein zweites Kausalitätsprinzip entsteht aus meiner Prämisse, daß jeder einzelne auch die gesellschaftlichen Systeme, in denen er arbeitet, mitgestaltet. Für all seine gestaltenden Aktionen verwendet er dabei seine handlungsleitenden Theorien. Gesellschaftssysteme entstehen aus der Summe der Konsequenzen (zum Beispiel begrenzte Lernsysteme), die durch die handlungsleitenden Theorien der Beteiligten produziert werden.
Alle Entwürfe zusammen bilden ein einzelnes größeres Muster der Kausalität; dementsprechend nenne ich dieses zweite Konzept Musterkausalität. Ich behaupte, daß jeder einzelne ursächlich für die Schaffung systemischer Muster direkt verantwortlich ist, die Doppelschleifen-Lernen und jede Veränderung der Leitwerte verhindern. Wenn ein Muster erst einmal eingeführt ist, wirkt es zurück und veranlaßt jeden einzelnen, es zu erhalten und zu verstärken. Wir haben einen zirkulären Prozeß der Kausalität vom Individuum zum System und zurück zum Individuum. Das ist der Prozeß, der in der hier betrachteten Organisation ablief.
Lieberson (1991) stellt fest, daß Sozialwissenschaftler grob gesagt, zwei Typen der Kausalität verwenden; deterministische Kausalität (wenn A, dann B) und probalistische Kausalität (Wenn A, dann B mit der und der Wahrscheinlichkeit). Wie ich im Laufe meiner Untersuchung veranschaulichen werde, kann Musterkausalität sowohl deterministisch als auch probalistisch sein. Auf der einen Seite können wir voraussagen, daß Akteure, die das Modell I der handlungsleitenden Theorien verwenden, Doppelschleifen-Lernen verhindern. Wir werden sehen, daß diese Voraussage der deterministischen Kausalität in der Fallstudie eintrifft, auch wenn die Direktoren Doppelschleifen-Lernen gar nicht verhindern wollen; sie traf sogar dann ein, als sie gelernt hatten, wie Modell I funktioniert; und sie traf ein, nachdem sie versprochen hatten, ihr Modell und ihr Verhalten zu ändern (schließlich wurden sie von ihrer eigenen handlungsleitenden Theorie geleitet, und ihnen gehörte die Organisation).
Auf der anderen Seite kommt probalistische Kausalität ins Spiel, wenn wir die spezifischen Aktionsstrategien voraussagen, die bestimmte Leute verwenden, oder wenn wir voraussagen, was geschehen wird, wenn eine Person auf einen Akteur reagiert, der mit einer Strategie anfängt. Hier können wir nur einen bestimmten Grad an Wahrscheinlichkeiten voraussagen.
Wir brauchen noch weitere Untersuchungen, um frühzeitig alle Bedingungen spezifizieren zu können, unter denen jeder Kausalitätstyp relevant sein wird. Nur eins scheint sicher zu sein, daß Individuen und die Verhaltenswelten, die sie schaffen, sowohl der deterministischen als auch der probalistischen Kausalität unterliegen.
Die wissenschaftlichen Untersuchungen, die ich zusammen mit meinen Kollegen angestellt habe, sollen dazu dienen, lernfeindliche Aktionen zu reduzieren und das Lernen fördernde Aktionen unterstützen. Deshalb suchen wir nach Möglichkeiten, sowohl die deterministischen als auch die probalistischen zirkulären Kausalmuster zu unterbrechen. Eine Möglichkeit wäre, das systemische Muster zu verändern. Das wird funktionieren, wenn jeder einzelne die Fertigkeiten hat, die neuen Anforderungen zu implementieren, die er mit Hilfe des neuen Musters erstellt hat.
Unsere Theorie behauptet – und die empirischen Daten, die wir bis jetzt gesammelt haben, bestätigen diese Behauptung–, daß der einzelne zwar für Modell
II-Aktionsstrategien eintritt, aber nicht in der Lage ist, sie zu produzieren. Er kann das Modell II nicht implementieren. In unserer Organisation waren Umschulungsprozesse und Experimente, die den Prozessen folgten, notwendig, um Modell II von einer vertretenen Theorie in eine ständig praktizierte Theorie umzuwandeln. Diese Umwandlung wiederum veränderte dann allmählich auch das Abwehrverhalten der Organisation.
Die Folgerung aus unserer Forschung und unseren Studien der Literatur über Kausalität ist, daß menschliche Entwürfe auf individueller oder systemischer Ebene das Verhalten verursachen, auf das wir uns als Forscher und Intervenienten konzentrierten. Das hat wichtige weitere Folgerungen für die Durchführung unserer Untersuchungen, wie man aktionsfähiges Wissen zur Veränderung des Status quo produziert.
Die Folgerungen werfen Fragen über die Grenzen des derzeit geltenden wissenschaftlichen Kausalitätskonzepts auf. Sie lassen vermuten, daß Musterkausalität für bestimmte Forschungen geeigneter ist als die Varianzkausalität. (Mohrs Konzept der Prozeßanalyse, 1982, ist der Musterkausalität ähnlich, obwohl er möglicherweise sein Konzept nicht für so grundlegend erklärt, wie ich das tue.)
Das bedeutet nicht, daß die anerkannten wissenschaftlichen Kausalitätskonzepte ganz und gar verworfen werden müssen. Zum Beispiel ist es ein zentraler Punkt meines Forschungsansatzes, Forschungsvorschläge zu testen, indem man sie bestätigt oder verwirft. Das bedeutet, ich bin Anhänger einiger Aspekte des Positivismus. Allerdings glaube ich auch, daß jeder, der effektiv handeln will, ein „neues“ Kausalitätskonzept gebraucht, solange es Aspekte enthält, die mit den humanwissenschaftlichen, deutenden und ethnographischen Ansätzen übereinstimmen. Möglicherweise kann ein Mensch sogar in seinen Voraussagen und Aktionen im Alltagsleben viel genauer sein, wenn er ein Kausalitätskonzept verwendet, das Positivisten als zu gefühlsbetont und diffus für die wissenschaftliche Arbeit einschätzen.
Leider sind positivistische und deutende Perspektiven in der Literatur unnötigerweise und kontraproduktiv polarisiert worden. Im Anhang versuche ich zu zeigen, daß in dem Moment, da man ernsthaft in Erwägung zieht, aktionsfähiges Wissen zu produzieren, die Unterschiede zwischen objektiver und subjektiver Forschung verschwinden, wie auch die Behauptungen, daß humanwissenschaftliche Forscher enger an ihren Forschungsobjekten daran sind und sie besser verstehen als „objektive“ Forscher.
 
Die Rolle der Gefühle
Auch wenn die Positivisten zunächst glauben mögen, daß unser Ansatz gefühlsbetont ist, halten ihn andere vielleicht sogar für zu verstandsbetont. Wenn man nach ihrer Ansicht so viel Gewicht auf Konzepte wie „handlungsleitende Theorie“, „Aktionsstrategien“ und „Argumentieren“ legt, kann es zu einer Perspektive verleiten, die den Anteil der Gefühle im menschlichen Verhalten vernachlässigt. Ist die Perspektive zu kopflastig? Es gibt mehrere Gründe, warum das nicht der Fall ist.
Die Prämisse meiner Perspektive ist, daß man produktiv argumentieren muß, um Aktionen zu planen und zu implementieren, die effektiv sind und gleichzeitig Doppelschleifen-Lernen anregen. Diese Prämisse halten die meisten Untersuchungsteilnehmer für sinnvoll. Aber wenn ich mit meinem Team ihnen helfe zu begreifen, daß ihre Denkprozesse größtenteils defensiv sind, daß sie Doppelschleifen-Lernen verhindern, während sie vom Gegenteil überzeugt sind, und daß sie die Diskrepanz einfach nicht sehen, dann sind sie häufig verwirrt, peinlich berührt oder fühlen sich sogar bedroht.
Da unser Ansatz also Gefühle hervorruft, müssen die Teilnehmer diese Gefühle auch zum Ausdruck bringen, und wir müssen sie respektieren. Mit Gefühle respektieren meine ich, daß wir uns in sie hineinversetzen und wirklich verstehen, warum sie entstanden sind. Unser Respekt bedeutet nicht, wir glaubten ebenfalls, daß die Gefühle der Teilnehmer begründet seien in dem Sinne, daß sie aus einer korrekten Sicht der Realität entstehen. Aber wir wissen, daß echte Gefühle häufig aus höchst subjektiven Ansichten über Ereignisse herrühren. Es geht uns nicht darum, mit diesen Gefühlen heimlich zu sympathisieren, auch die Teilnehmer sollten das nicht tun, wenn wir ihnen beim Lernen helfen sollen.
Deshalb besteht unser nächster Schritt darin, den Teilnehmern zu helfen, die Gründe für ihre Gefühle zu erforschen. Während sie dies tun, begreifen sie in vielen Fällen, daß die Gefühle entstanden sind, weil sie defensive Überlegungen angestellt haben. Im Gespräch überprüfen sie nach und nach, ob ihre Gefühle begründet sind und warum. Wenn sie zum Beispiel überzeugt sind, daß eine andere Person absichtlich ihre Ansichten verdreht, manipuliert oder zurückweist, dann können sie jetzt feststellen, ob andere diese Behauptungen bestätigen oder nicht. Wenn sie glauben, mitfühlend, sensibel und kollegial zu agieren, meinen das dann andere auch? Diese Art der Untersuchung kann zu Erfahrungen mit neuen Entwürfen und neuen Aktionen führend und diese wiederum zu weiteren neuen Entwürfen und neuen Aktionen. Auch zu neuen Fehlern kann sie verleiten, die eine neue Grundlage für weiteres Lernen liefern.
Die meisten Personen, mit denen wir gearbeitet haben, können ihre Gefühle einsetzen, um sich für das Doppelschleifen-Lernen kompetent zu machen. Einige haben allerdings Schwierigkeiten damit. Sie beschuldigen andere oder das Umfeld und sprechen sich insofern vom Lernen frei. In dem hier gezeigten Fallbeispiel hat keiner so reagiert. Aber in anderen Untersuchungen ist es vorgekommen, und ich habe ein Modell vorgeschlagen wie man mit einer solchen defensiven Haltung umgeht (Argyris, 1982, Seite 163).
Ironischerweise machte ich die meisten Erfahrungen mit diesen Abwehrhaltungen bei Fachleuten für Organisationsentwicklung. Vielleicht entwickeln sie sogar Interventionstheorien und nehmen sie zum Vorwand, um anderen vorzuwerfen, sie hätten defensiv argumentiert. Die typische Strategie scheint zu sein, eine Untersuchung ihrer Denkprozesse als „zu kognitiv“ oder „zu rational“ zu bezeichnen. Vor einiger Zeit untersuchte ich Bandaufnahmen von drei verschiedenen Treffen mit führenden Experten und kam dabei auf seltsame Resultate (Argyris, 1990b). Zunächst einmal konnten sie nicht definieren, was „zu rational“ ist, obwohl sie von anderen erwarteten, daß sie ihre Meinungen als richtig akzeptierten. Sie beharrten so vehement auf ihrer Rationalität, daß jede Überprüfung ihrer Behauptung nur gemäß der Logik dieser Experten erlaubt gewesen wäre.
Zweitens behaupteten sie, es sei für jeden zu bedrohlich, seine eigenen Argumente zu überprüfen; sie waren für mehr Sicherheit. Wie ein Experte sagte: „Sie müssen dem einzelnen etwas Freiraum gewähren.“ Ich gebe zu, daß es wichtig ist, einen gewissen Freiraum oder Sicherheit zu haben. Aber ich glaube auch, daß es wichtig ist zu beobachten, was der einzelne mit dieser Sicherheit anfängt. In den Fällen, von denen ich spreche, nutzten die Experten den Freiraum, um der Überprüfung ihrer Denkprozesse auszuweichen.
So machten zum Beispiel ein Experte von Weltruf und ich einige Rollenspiele. Ich agierte als CEO und er als Berater. Ich erinnere mich an meinen Eindruck, daß er mich sehr rücksichtsvoll behandelte und sich nach meinen Gefühlen und Meinungen erkundigte. Als wir danach das Rollenspiel untersuchten, erzählte er mir und den anderen in der Gruppe, der CEO sei eindeutig defensiv und manipulativ gewesen. Ich antwortete, seine Kommentare kämen für mich wirklich überraschend, denn es gab keinen Hinweis darauf, daß er mich während des Rollenspiels so beurteilte. Ich fragte ihn dann, was ich denn gesagt oder getan hätte, das ihn veranlaßte, sein Urteil geheim zu halten. Er wurde sehr aufgeregt, weil er meinte, das Wort geheim bedeute eine Verurteilung und Bestrafung. Darauf sagte ich, es sie mir nicht bewußt gewesen, daß dieses Wort eine solche Wirkung auf ihn haben könnte. Ich fragte, wie ich meine Untersuchung hätte durchführen sollen, ohne ihn aufzuregen und gleichzeitig von ihm zu lernen. Er antwortete tatsächlich: „Hier werden Sie einfach zu rational. Ich kann nicht richtig denken, wenn ich so aufgeregt bin.“ Er bat um eine Pause, die wir auch gewährten. Er kam nicht zurück und zeigte mir also nicht, wie ich mein Gespräch hätte anlegen sollen. Das passierte noch zweimal (im Laufe von mehreren Monaten).
Meiner Meinung nach schließt dieses Ausweichen ein Lernen aus, und zwar in einer Art und Weise, die es mir unmöglich macht, meine Behauptungen als richtig zu überprüfen (daß das Ausweichen einen Lernprozeß verhindert). Aber auch er kann seine Behauptung (daß er nicht lernen kann, wenn er aufgeregt ist) nicht überprüfen. Als Fachmann strebe ich danach, andere dazu anzuregen, daß sie ihre Gefühle aussprechen und zu diesen Gefühlen stehen oder zugeben, diese Gefühle zu haben, damit das Lernen für alle in der Gruppe leichter wird.
 
S. 183-199
 
9. Neue Team-Führung
Wie man die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Sachzwängen bewältigt
Bei dem Fallbeispiel in diesem Kapitel handelt es sich um ein gedankenreiches Gespräch zweier Berater über mehrere langjährige Probleme beim Management eines Projektteams. Es ging darum, wie man einen neuen Projektleiter schult, wie man Mißverständnisse, die durch schlechte Kommunikation unter Zeitdruck entstehen, ebenso vermindert wie Unterstellungen, der Partner sei nicht beeinflußbar, und das Vertuschen solcher Unterstellungen. Außerdem sprachen sie darüber, daß der neue Projektleiter (und andere) zwar gut analysieren kann, aber nicht fähig ist, Analysen zu erläutern und zu lehren, und daß grundsätzlich keine Note Eins für Leistung vergeben wird, aber die Person, die bewertet wird, das Gefühl hat, sie sei gescheitert, weil sie keine Note Eins bekommt.
Die beiden Berater gehörten zur Firma und hatten erst vor kurzem an einem Fall-Diskussionsseminar teilgenommen. Obwohl sie sich noch wenig mit Modell II beschäftigt hatten, war ihr Gespräch über die genannten Themen ausgesprochen ergiebig. Ich mußte nicht intervenieren, um sie daran zu hindern, daß ihre Unterredung sich im Kreise drehte oder in eine Sachgasse geriet. Statt dessen bezogen sich die meisten Interventionen darauf, ihnen zu helfen, defensives Denken und Handeln aufzudecken, wenn sie nicht selbst darauf kamen. Außerdem gelang es mir, sie zu ermutigen, über ihre bisherigen Lernerfolge hinaus auch nach unserer gemeinsamen Sitzung weiterzulernen.
Bei dem speziellen Fall geht es um einen leitenden Berater, der zum erstenmal als Projektleiter auftreten sollte. Ich werde ihn hier Greg nennen. Zu seinen Aufgaben gehörte die eigentliche fachliche Führung des Teams; er sollte die Kundenkontakte begleiten, die Teammitarbeiter unterstützen und dem vorgesetzten Projektleiter die Arbeit leichter machen.
Greg war von seiner neuen Aufgabe begeistert, aber seiner Meinung nach verhielt sich der vorgesetzte Projektleiter Steve so, daß Greg mit seinen neuen Verpflichtungen nur schwer nachkam. Greg glaubte, Steve lege es mitunter sogar darauf an, ihn zu verunsichern.
Greg teilte Steve mit, er wolle die Probleme gerne mit ihm durchsprechen.
Er bat auch mich, als Intervenient anwesend zu sein, außerdem den Kollegen, der den Projektteams die Aufgaben zuteilte. Steve stimmte zu. Beide hatten die ersten Phasen des kontinuierlichen Verbesserungsprogramms durchlaufen. Zu Beginn der Sitzung erinnerte Greg an seine Einführung in seine Funktion als neuer Projektleiter.
 
Das Gespräch /   Beobachtungen des Intervenienten
     
Greg: Bei unserem ersten Treffen hat Steve alles detailliert und flüssig dargestellt, und zuerst dachte ich, daß Steves Arbeit so gründlich durchdacht war, daß ich nur noch für die Ausführung verantwortlich wäre. Ich setzte meine Arbeit in diesem Sinne fort, erkannte aber, daß ich in Schwierigkeiten kommen könnte, als Steve sagte, er habe überhaupt keine Zeit mehr, sich über diese Angelegenheit weiter Gedanken zu machen, und daß er von mir erwarte, daß ich die fachliche Führung übernehme. In Ordndung, aber ich bin nie bei den wichtigen Kunden eingeführt worden. Ich dachte, es sei an Steve, dafür zu sorgen, daß ich die Kunden kennenlerne.
Ich fühlte mich in die Enge getrieben und suchte das Gespräch mit Steve. So wie er einige Male reagierte, hatte ich den Eindruck, er glaubte, ich suchte nur nach einer Gelegenheit, um mich bei den Kunden in den Vordergrund zu drängen. Darum ging es aber nicht. Ich wollte die Kunden treffen, um mir ein besseres Bild von der Arbeit machen zu können.
  Gregs Ratlosigkeit, wie er agieren sollte, paßt in das Muster des Aktions-programms. Er wollte seiner Führungs-
aufgabe gerecht werden, glaubte aber, daß Steve ihn behinderte, weil er ihn nicht mit den Kunden bekanntmachte. Greg umging und vertuschte diese Ansicht, weil er annahm, Steve könnte es, falls er seine Ansichten offen aussprach, so interpretieren, Greg wolle „vor den Kunden eine Show abziehen.“ Greg hatte aber nicht nachgeprüft, ob diese Vermutung richtig war.
     
Steve: Darf ich dazu meine Meinung sagen? Es war mir nicht ganz wohl dabei, als ich Ihnen diese Aufgabe zuwies, weil ich wußte, daß sie schwierig ist. Ich wollte
nicht alles auf Sie abladen, weil ich dachte, Sie würden darunter zusammenbrechen. Inzwischen sehe ich ein, daß das, was ich getan habe, um Ihnen zu helfen, alles andere als hilfreich war. Es stimmt, daß ich mit einem anderen Berater enger zusammengearbeitet und Sie dabei umgangen habe, weil ich ihn kannte. Rückblickend muß ich sagen, daß das nicht richtig war. Wenn ich mich recht entsinne, haben wir nicht miteinander darüber gesprochen. Das war ein Fehler. Dann wurde es mir zuviel und ich wälzte die Aufgabe auf Sie ab. Meine Direktiven waren nicht eindeutig genug. Sie haben meine Ansprüche wahrscheinlich überschätzt. Ich war mit Ihrer Arbeit absolut zufrieden, aber ich habe wahrscheinlich den Eindruck erweckt, daß ich viel mehr von Ihnen erwarte.
  Auch Steve handelte in Übereinstimmung mit den im Diagramm beschriebenen defensiven Aktionsstrategien. So vermutete er zum Beispiel, die Angelegenheit sei für Greg schwierig, prüfte dies aber nicht mit ihm zusammen nach. Dann handelte er rational, indem er einen anderen Berater hinzuzog. Das verwirrte Greg, weil er dachte, Steve sollte als vorgesetzter Projektleiter, mit ihm, dem zuständigen Projektleiter, zusammenarbeiten, aber er sprach nicht mit Steve darüber.
Den erhalten wir Einblick in Steves Überlegungen, als er merkte, daß es ihm zuviel wurde. Er wälzte die Aufgabe auf Greg ab. Er machte sich nicht die Mühe, klare Direktiven zu geben, denn das hätte zu viel Zeit gekostet – und er konnte ihm notfalls später aus der Patsche helfen. Das verschwieg er natürlich, ebenso seine Befürchtung, Greg könnte Steves Ansprüche zu hoch einschätzen.
     
Intervenient: Wann ist Ihnen dies alles, was Sie schildern, aufgefallen?
Steve: Eigentlich erst jetzt. Ich dachte, ich hätte Sie wissen lassen, daß Sie Ihre Arbeit sehr ordentlich machen. Wenn ich nun zurückschaue und Ihnen zuhöre, dann weiß ich, daß ich nichts dergleichen gesagt habe. Ich kann mich nur entschuldigen. Was Sie vermuteten, war nicht das, was ich meinte. Aber ich habe auch nicht genau gesagt, was ich meinte.
  Die Antworten von Greg und Steve sind anschauliche Beispiele für die routinierte Unwissenheit, die sich bei den Aktivitäten des Projektteams bemerkbar machte. Beide handelten spontan und hatten damals keine Ahnung, wie kontraproduktiv ihr Verhalten war.
     
Greg: Rückblickend wird mir jetzt klar, daß die Art, wie ich fragte, sehr ungeschickt war.
Steve: Was mir gerade durch den Kopf schießt: Sie haben mir nicht geglaubt, als ich „sehr ordentlich“ sagte.
Intervenient: (zu Greg) Können Sie seine Vermutung bestätigen, daß es schwierig für Sie war, ihm zu glauben, als er „sehr ordentlich“ sagte?
Greg: Ja, denn „sehr ordentlich“ ist wie eine Zwei, aber keine Eins.
Steve: Das ist wichtig. Sprechen wir darüber. Mein alter Mentor in dieser Firma sagte immer zu mir: „Besser, als ich erwartet habe“; darüber habe ich mich wahnsinnig geärgert. Ich wäre am liebsten an die Decke gegangen. Und er sagte: „Schauen Sie, es nicht so gut, wie ich es machen könnte, Nein, es ist keine Eins“.
Wenn Sie mich dazu bekommen wollen, daß ich sage, Ihre Arbeit ist eine Eins, werde ich es nicht tun. Es ist gute Arbeit. Absolut akzeptabel und kompetent.
Greg: Aber ich glaube, ich kann mehr als nur kompetent arbeiten.
Steve: Da gibt es einen Unterschied. Sind Sie fähig? Ja. War es eine erstklassige Leistung? Nein.
  Steve wendet das Gelernte an und reflektiert darüber, was in dieser Diskussionssitzung vor sich geht. Er vermutete, Greg würde ihm nicht glauben, wenn er „sehr ordentlich“ sagte, aber anstatt die Vermutung für sich zu behalten, prüfte er nach, ob er recht hatte.
Steve stellte nicht nur fest, daß er recht hatte; er begriff auch, wie ein Projektleiter (ACTL – acting – case – team –leader) über solche Zensuren dachte. Dies wiederum zeigte, in welches Dilemma Steve bei Greg und anderen geriet, das er wiederum nicht diskutierte. Das Dilemma bestand darin, daß er hart und ehrlich in seinem Urteil sein wollte, damit aber möglicherweise einen ACTL aus der Fassung brachte.
     
Intervenient: (Zu Greg) Wenn ich Sie wäre, hätte ich gefragt: „Was ist der Unterschied zwischen einer Eins und einer Zwei?“ Ist das fair?   Ich intervenierte, weil ich Greg helfen wollte, Steves Überlegungen bei seinen Zensuren nachzuvollziehen.
Ich wollte, daß Greg das begriff, bevor er antwortete.
     
Greg: Ja, das ist eine gute Frage.
Steve: Ja, das ist fair.
Greg: Um ehrlich zu sein, ich weiß ziemlich genau, wie ich eine Eins bei dieser Arbeit bekommen hätte, aber ich brauchte ein paar Informationen über den Kunden, und die habe ich nicht erhalten. Wenn ich Sie also gefragt hätte, wie man eine Eins bekommt, wäre das unfair, weil ich annahm, daß ich es wußte.
(Später) Als ich über das nachdachte, was der Intervenient sagte, wurde mir klar, daß meine Arbeit zwar akzeptabel, aber nicht hervorragend war. Ich glaubte nicht, daß es Eins war.
...Deshalb schob ich Ihnen die Schuld zu.
Intervenient: Und Sie haben nicht mit ihm darüber gesprochen?
Greg: So ist es.
Steve: Wenn ich es mir recht überlege, habe ich Ihnen nicht gesagt, was ich vermutete, warum Sie den Kunden sehen wollten, Das war von meiner Seite aus nicht fair.
  Greg bringt ein schwieriges Problem zu Sprache, das durch den folgenden Gedankengang veranschaulicht werden kann: Ich weiß, wie ich eine Eins bekomme, und ich hätte sie bekommen können, wenn Steve mich bei den Kunden eingeführt hätte; es ist unfair, meine Vermutungen zu überprüfen, weil ich weiß, daß ich recht habe.
Das ist ein Beispiel für selbstreferentielles Denken, das in einer Sackgasse landet. Er „prüft“ seine Vermutung mit Hilfe seiner eigenen Logik, deren Gültigkeit von ungeprüften Vermutungen abhängt. Dieses Denken macht es für ihn logisch, die Verantwortung auf Steve zu schieben. Wenn er Steve nicht verantwortlich machte, müßte er seinen Verdacht wegen dem unterbliebenen Kennenlernen der Kunden öffentlich überprüfen lassen.
     
Intervenient: (Zu Steve) Sie hätten noch eine andere Antwort geben können. Sie hätten zu Greg sagen können: „Ich verstehe, daß sie Eins lieber hätten. Was glauben Sie, wird von Ihnen verlangt, damit Sie eine Eins bekommen?“ Sie könnten mehr darüber lernen, wie man seiner Ansicht nach eine Eins bekommt.
Steve: Sehr richtig.
  Ich intervenierte, um Steve zu bitten, Gregs Ansichten über Leistungszensuren zu erfahren. Dadurch konnte Greg deutlich machen, warum er seiner Meinung nach keine Eins bekommen würde. Jetzt erkennt er, daß diese Überlegung falsch ist. Dies veranlaßte Steve, über Bewertungen und Vermutungen zu sprechen, die er über Gregs fachliche Leistungen abgegeben, aber Greg damals nicht mitgeteilt hatte.

Greg: Richtig. Zum Beispiel dachte ich bei mir, daß ich deshalb keine Eins bekommen würde, weil ich nicht ernster und bestimmter auftrete. Nun sehe ich, daß diese Unterstellung nicht fair ist.
 
Steve: Ich denke da einen gemeinsamen Flug. Ich erinnere mich, zu Ihnen gesagt zu haben, was hier fehle sei die Frage: Was ist das Wesentliche des Wettbewerbs? Durch die weitere Diskussion kam ich zu dem Schluß, daß sie nichts verstanden hatten. Sie können die Frage nur nach dem Lehrbuch beantworten. Aber Sie können nicht den nächsten Schritt zur Beantwortung der Frage tun: Was bedeutet das alles? Deshalb gebe ich Ihnen keine Eins. Ich habe Ihnen das damals nicht gesagt, doch genau das ist mir durch den Kopf gegangen.
 
Greg: (Später) Mit meiner Forderung nach mehr Kundenkontakt wollte ich Sie zwingen, sich mehr Zeit für mich zu nehmen. Wieviel Zeit haben Sie sich für mich genommen?
 
Steve: Sehr wenig. Ich sehe jetzt ein, ich habe Ihr Versagen vorprogrammiert. Ich wußte, ich sollte aufhören und viel Zeit mit Ihren Fragen verbringen.
(Später) Ein anderes Problem war, daß der Kunde mir erzählte, er wolle aus persönlichen Gründen mit mir allein zusammenarbeiten. Ich stimmte zum, und das war ein weiterer Grund, warum ich Sie nicht dazu einlud.
 
Intervenient: Wenn Ihnen das wieder einmal passiert, würde ich vorschlagen, daß Sie zu dem Kunden so etwas sagen wie: „Ich verstehe Ihre persönlichen Gründe. Ich hoffe allerdings, daß das nicht bedeutet, ich soll unseren Projektleiter ausschließen. Es ist unwahrscheinlich, daß ich mich an alles erinnern und ihm alles genau wiedergeben kann, was passiert ist. Darunter dürfte der Auftrag und damit auch Sie selbst leiden.“   Meine Intervention sollte dazu dienen, Steve und Greg zu zeigen, wie man in Zukunft in ähnlichen Situationen eine Zwangslage umgehen kann, die ein Kunde herbeiführt, indem er etwas verlangt, das den Projektleiter und den zuständigen Projektleiter in Konflikt miteinander bringt. Danach berichtet Steve, warum der Auftrag seiner Meinung nach verloren ging. Ich schlug ihm Möglichkeiten vor, wie er seine Begründung öffentlich machen könnte.

 
Steve: Das ging mir durch den Kopf. Aber ich hatte Angst, es zu sagen. Im Grunde hatte ich Angst, den Auftrag zu verlieren; so sagte ich ja. (Lacht.) Und fühlte mich schlecht dabei.
 
Intervenient: Diese Angst ist durchaus berechtigt. Aber Sie könnten dem Kunden antworten: „Wenn Sie mir sagen, daß das eine Verkaufsbedingung ist, dann halte ich mich daran. Aber um für Sie die erwartete Wertschöpfung zu erreichen, müssen wir einen Weg finden, den zuständigen Projektleiter auf dem laufenden zu halten.“
 
Steve: Das ist ausgesprochen fair.
Ich kann jetzt nicht mehr dazu sagen, als daß ich innehalten und mein gesamtes Verhalten überdenken muß.
Aber ich bin ehrlich. Ich bezweifle, daß ich die Note Eins gebe, bevor der Betreffende nicht alles kann, was ich kann und sogar noch besser. Ich lehne den Standard ab, den Greg vorgibt, aber ich muß darüber nachdenken.
 
Intervenient: Sie meinen also, wenn Greg alles nach Handbuch macht, und es hat wirklich Hand und Fuß dann würden Sie ihm trotzdem keine Eins geben?
Steve: Genau darüber möchte ich nachdenken. Ich weiß es nicht. Wenn es ein Teil des Problems ist, daß ich mich bedroht fühle, will ich darüber nachdenken.
Intervenient: Und die Bedrohung besteht darin, daß er es schneller erledigen könnte als Sie?
Steve: Ja.
  Ich versuchte, Steve zu veranlassen, mehr darüber zu sagen, woher seine Zweifel und seine eben erwähnte Ratlosigkeit wegen der Zensuren kam. Seine Antwort, er fühle sich möglicherweise bedroht, war eine wichtige Reaktion, die öffentlich geäußert werden mußte. Wenn er das tat, so vermutete ich, wäre es für ihn in der Zukunft leichter, mit Greg und anderen darüber zu sprechen. Auch für Greg wäre es demnächst einfacher, darüber zu sprechen. Tatsächlich brachte Greg anschließend weitere Beispiele von Problemen, über die er mit Steve nicht gesprochen hatte.

 

 
Greg: Wenn ich darf, würde ich gerne ein anderes Beispiel nennen, wo ich in Schwierigkeiten geriet. Nach dem --- Treffen sagten Sie mir, wir würden neue Gebiete erschließen. (Greg und sein Team hatten eine Präsentation vorbereitet, die Steve dann dem Kunden in einer Konferenz vorstellte, an der das Team aber nicht teilnehmen durfte.) Sie erklärten auch, was wir besser machen könnten. Ich unterrichtete das Team mündlich und teilte ihnen mit, ihre Leistung sei „exzellent“ gewesen. Steve habe sich sehr gefreut und wolle uns morgen treffen.
Bei dieser Gelegenheit sagten Sie zu ihnen, ihre Präsentation sei in Ordnung gewesen, aber Sie würden niemals aufstehen und diese Präsentation machen. Das war ein Widerspruch. Es tat mir leid für das Team.
 
Steve: In Ordnung. Sprechen wir aus meiner Perspektive darüber. Ich kann Ihren Standpunkt sehr gut verstehen.
 
Greg: Moment, lassen sich mich zu Ende erzählen. Ich kam zu Ihnen und sagte, daß ich es sehr bedauerte, bei dem Team einen falschen Eindruck erweckt zu haben. Waren Sie wirklich nicht zufrieden? Lag der Fehler bei mir?
 
Steve: Ich will versuchen, das zu erklären. Mit dieser Bewertung wollte ich eigentlich sagen, daß die Information, die in der Präsentation enthalten war, sehr wertvoll war. Aber ich wollte auch klarstellen, daß es aus fachlicher Sicht eine schlampig zusammengestellte Präsentation war; sie war einfach zu unpräzise. (Er erläutert)
Bei einem sehr kritischen Kunden hätte ich sofort eine Bauchlandung gemacht. Bei diesem Kunden hatte ich Glück.
Ich mag es überhaupt nicht, wenn ein Projektteam mich im Regen stehen läßt, ohne mir zu erklären, was die entscheidenden Punkte sind. Und es gab mehrere.
 
Greg: Und wenn ich bei der Präsentation anwesend hätte sein können, hätte ich Notizen darüber machen und dem Team mitteilen können, wo wir Ihnen die Sache schwer gemacht haben.
Ich beobachtete das --- Treffen und fand es nützlich. Aber ich wußte nicht, wie ich es Ihnen sagen sollte, damit Sie es auch verstehen.
 
Intervenient: Was war an Ihrem Verhältnis zu Steve so störend, daß Sie nicht das vorbringen konnten, was Sie jetzt eben geschildert haben?   Jedesmal wenn jemand einem anderen sehr allgemeine Antworten gibt, versuche ich, ihn zu veranlassen, konkreter zu werden. Greg kam sofort auf bestimmte Angewohnheiten zu sprechen, etwa daß Steve ihm ständig ins Wort fiele.
     
Greg: Na ja, es sind einfach seine Angewohnheiten ... (Zu Steve) Sie unterbrechen mich so oft.
Intervenient: Das möchte ich gerne genauer wissen. Hat Steve Sie jemals in irgendeiner Form wissen lassen, daß er Ihre Vorschläge nicht hören will?
  Als ich Greg bat, Beispiele aufzuzählen, bei welchen Gelegenheiten Steve so handelte, wie Greg es ihm unterstellte, war er endlich in der Lage, sein Problem zu formulieren. Er hatte Angst, triviale Vorschläge zu äußern.
Als Begründung dachte er zuerst: Steve hat vor, mich zu unterbrechen, und als nächstes dachte er: Ich unterstelle Steve, daß er nicht zuhören will, besonders wenn ich glaube, daß meine Vorschläge trivial sind.
 
Greg: Nein. Ich hatte Angst, triviale Dinge zu sagen. Vor allem wenn ich dachte, es sei offensichtlich. Es war mir noch nie passiert, daß ich keinen Zugang zum Kunden hatte. Jetzt wird mir klar, warum mich Steve übergangen hat.
 
Intervenient: Halten Sie ihn eigentlich für unansprechbar oder unbeeinflußbar?
 
Greg: Ich glaube, es liegt daran, daß er mich ständig unterbricht. Jedesmal wenn er das tat, dachte ich, jetzt geht er in Verteidigungsstellung, und ich sollte lieber vorsichtig sein.
 
(Später zu Steve) Ich erinnere mich, daß Sie zu mir gesagt haben, Sie verstehen nicht, warum ich so einen Wirbel darum mache, daß mein Name nicht erwähnt wird. Und dann sagten Sie, daß Sie versprechen, meinen Namen öfter zu erwähnen, wenn es mich glücklich macht. Mir war klar, daß Sie das überhaupt nicht verstanden. Aus diesem Grund und weil ich glaubte, ich hätte keine gute Arbeit geleistet, habe ich mich zurückgezogen.
 
Intervenient: (Später) Glauben Sie, daß Steve jetzt versteht, was Sie meinen?
 
Greg: Ich weiß nicht.
 
Intervenient: Was würden Sie gern von Ihm hören, oder was wollen Sie ihn fragen, damit er Ihren Standpunkt wirklich vesteht?
 
Greg: (Fragt)
 
Steve: Also, ich will versuchen zu antworten, aber ich fürchte, es wird eine ziemlich komplizierte Antwort. Ich könnte die Arbeit genauso gut selbst tun, anstatt sie nur auszubessern. Ich bin absolut überzeugt, daß man Ihnen keinen normalen Kunden gelassen hat. Wenn der Druck hoch wurde, habe ich die Aufgaben unwillkürlich mir selbst zugewiesen. Ich weiß nicht, ob das richtig war. Ich weiß nur, daß es eine unwillkürliche Reaktion ist.
Wenn Sie mich fragen, warum ich das getan habe, dann kann ich nur antworten, daß es unglaublich wichtig für mich war. Mein Verhaltensmuster war schon immer so: Wenn du willst, daß es richtig wird, tue es selbst. So habe ich das erreicht, was ich heute bin. Wenn es Probleme gab, bin ich jede Nacht aufgestanden und habe mich darum gekümmert. Loslassen ist sehr schwierig. Ich denke da an den Fall, den Sie vorhin erwähnt haben. Ich habe nie angenommen, daß Sie sich bei dem Kunden in den Vordergrund drängen wollen. Aber ich konnte Ihnen einfach nicht sagen, daß Sie mich das allein machen lassen müssen, weil ich mir deswegen Sorge machte.
Ich sagte etwas anderes. Was es auch gewesen sein mag, es hat nicht gestimmt. Sie haben versucht, danach zu handeln. Und die Angelegenheit wurde immer merkwürdiger. Der eigentliche Grund war wohl, daß ich mir große Sorgen deswegen machte. Wenn Sie das so verstanden haben, daß ich Sie aus dem Fall heraushalten wollte, dann war das nicht beabsichtigt, böswillig jedenfalls nicht. Ich bin nicht stolz darauf. Ich hoffe, daß Sie das verstehen.
  Steve begann, genauer zu erklären, welche Gründe ihn bewogen hatten, so zu handeln: Jedesmal wenn ich mich unter Druck fühle, reiße ich die Aufgabe an mich. Wenn ich will, daß etwas erledigt wird (was bis jetzt nie meinen Erwartungen entsprach); tue ich es selbst. Ich sage anderen nichts davon. Steve legte seine Gründe offen und gab uns damit die Gelegenheit, zu untersuchen, woher dieses Abwehrverhalten kam.
 
Intervenient: Finden Sie das überzeugend, was Steve vorgebracht hat?
 
Greg: Ja, aber ich bin zu dieser Unterredung gekommen, weil ich dachte, auch ich trüge eine gewisse Verantwortung.
 
Intervenient: In Ordnung. Aber glauben Sie denn, daß diese Erklärung ihm helfen wird, in der nächsten Zeit sein Verhalten zu ändern?
 
Greg: Absolut nicht – oder vielleicht doch...
 
Intervenient: Steve will damit wohl sagen – und lassen Sie mich das überprüfen –, er habe etwas gelernt, und er wolle sich bemühen, sein Fehlverhalten zu korrigieren.
 
Steve: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, ich verstehe nun, daß es mein natürliches Verhalten ist.
 
Intervenient: Wollten wir nicht über Verbesserungen sprechen?
 
Steve: Ich weiß nicht. Ich verspreche nicht, daß ich etwas über Nacht abstellen kann, das mir jahrelang sehr nützlich war. Das wäre verlogen.
 
Intervenient: Greg könnte daraus schließen, daß diese Diskussion in der nächsten Zeit nichts ändern wird. Aber ich finde es gut, daß Sie keine Versprechungen machen wollen, die Sie nicht halten können.
Aber wie wäre es damit? Das nächste Mal, wenn Sie ein Projektteam beginnen, könnten Sie doch darauf hinweisen, daß sie in Streßsituationen leicht zu Widersprüchen neigen. Sie können (wenn Sie glauben, es nützt) hinzufügen, daß Sie es erfahren wollen, wenn es wieder soweit ist, daß Sie aber nicht für eine Veränderung garantieren. Sie geben sich Mühe, aber es ist nicht einfach.
  Ich wollte allen deutlich machen, daß Greg sich Gedanken macht, wie es bei Steves Einstellung weitergehen soll. Ich hätte dann ein Gespräch als Rollenspiel machen können, damit er aufrichtig sein und die Lektion aus dieser Sitzung auf andere Kontexte übertragen konnte.
     
Steve: Ja, das erscheint mir sinnvoll. Aber ich möchte eins noch erwähnen. Ich bin mir bewußt, daß ich zu übermäßiger Kontrolle neige. Deshalb habe ich in einem anderen Projektteam den Leuten viel Spielraum gegeben, aber dieses Team war nicht sehr produktiv. Vor einer Woche habe ich ihnen das gesagt. Dann habe ich ihnen einige Vorschläge gemacht. Ich gebe zu, daß ich allzu gern die Führung an mich reiße. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, wie ich davon loskommen soll. Es hat mir gut gedient.   Steve fand meine Empfehlung sinnvoll, aber er befürchtete, solche Ankündigungen würden die Projektteam-Mitglieder dazu verleiten, sie auszunutzen.
     
Intervenient: Ich glaube, Sie haben den Ruf, ihn Ihrem Fach ein erstklassiger Analytiker zu sein. Aber soweit ich sehe, gibt es keinen Beweis, daß es Ihnen als Teamleiter etwas nützt.   Ich intervenierte, um zu bestätigen, daß Steve eine Ruf als erstklassiger Analytiker hat. Trotzdem war ich der Ansicht, daß er bei dieser Gelegenheit so handelte, daß er sich selbst keinen Gefallen damit tat. Damit meinte ich, daß er in der Frage der richtigen Führung des Projektteams keine Lernfortschritte erkennen ließ.
 
Steve: Es ist eine Katastrophe. Und ich habe immer allein um eine Antwort gekämpft.
 
Intervenient: Lassen Sie es sich doch einmal durch den Kopf gehen, ob Sie nicht Greg oder andere Personen bitten sollen, bei diesem Kampf mitzumachen. Auf der einen Seite könnten sie Ihnen mitteilen, wann Sie sich in Widersprüche verstricken.
 
Andererseits wollen Sie auch die Möglichkeit haben, dasselbe zu tun. Wenn die Kollegen Sie um etwas Freiraum bitten, und Sie geben ihn, aber ohne sichtbaren Erfolg, dann verhalten sich auch die Kollegen widersprüchlich.
 
Steve: Ja...das verstehe ich...Ich versuche es...aber es nicht einfach.
(Er berichtet von einem Versuch, mehr Freiraum zu geben und für mehr Kontakt zu Kunden zu sorgen.)
 
Greg: Ich habe einen Vorschlag. Ich würde gern mitverfolgen, wie Sie die Veränderungen vornehmen. Das ist besser, als wenn Sie weggehen und irgendwann mit dem fertigen Ergebnis zurückkommen. Ich möchte Sie einfach beobachten, wie Sie die Korrekturen durchführen, damit ich mir vorstellen kann, wie es gemacht wird. Das ist der schnellste Weg, wie ich lernen kann...
 
Steve: Es tut mir leid. Ich muß Sie unterbrechen. Sie haben mich gebeten, die ganze Zeit dabei zu sein. Das Problem ist, daß ich keine klare Vorstellung habe, wie ich das jedesmal einrichten soll. Ich zermatere mir den Schädel wegen irgend etwas, und plötzlich kristallisiert es sich heraus. Ist es besser für Sie, wenn Sie mitkriegen, wie ich mir den Kopf zerbreche, oder nicht?   Dieses Gespräch beschreibt ein grundlegendes Problem, das ich bis heute nicht verstehe. Das Problem besteht darin, denen zu helfen, die den analytischen Verstand haben, andere zu lehren, ihre Leistungen zu verbessern. Steve reagiert, indem er sich von Greg zurückzieht. Er will nicht, daß Greg ihm über die Schulter schaut. Es ist unwahrscheinlich, daß er sich ändert. Darüber hinaus weiß er vielleicht nicht, wie er die richtige Frage stellen soll, um selbst zu lernen und gleichzeitig dazu beizutragen, daß Greg lernt.
 
Greg: Ich würde Sie gerne beobachten und begreifen, wie Sie denken. Einige Leute denken linear, andere nicht. Ich kann lernen, wenn ich Sie beobachte. Ich sehe, was Sie tun und wie Sie denken und wie sich die Lösung manchmal plötzlich einstellt. Wenn Sie aber weggehen und mit einer fertigen Antwort zurückkehren, dann bin ich restlos enttäuscht. Es sieht dann so aus, als hätten Sie längst gewußt, was Sie wollten, und die Arbeit des Teams war reine Zeitverschwendung.
 
Steve: Kann ich hier unterbrechen? Ihr erster Entwurf ist immer wertvoll für mich, auch wenn er im Papierkorb landet.
Ich setze mich hin und denke, er gefällt mir nicht. Was gefällt mir nicht daran? Ihr Vorschlag hilft mir beim Nachdenken. Ich hätte zuerst vielleicht genau dasselbe getan wie Sie. Deshalb halte ich Ihren Entwurf für verwertbar. Halten Sie ihn nicht für verwertbar?
 
Greg: Nein. Wenn Sie alles abändern, ist es keine Weiterentwicklung. Es ist etwas völlig anderes.
 
Intervenient: Hätten Sie den Mut, Steve beim nächsten Mal darauf hinzuweisen?
 
Greg: Ich könnte es versuchen. Aber ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ohne daß es nach Verteidigung klingt. Es klingt dann vielleicht so, als würde ich mir wegen meiner eigenen Leistung Sorgen machen...und Steves Antwort ist dann: „Reg dich nicht auf, reg dich nicht auf, der Vorschlag ist gut.“
 
Intervenient: Das hilft Ihnen nicht?
 
Greg: Überhaupt nicht.
 
Steve: Wahrscheinlich wäre es gut für Sie, mir zu sagen, daß Sie nicht verstehen, wie ich auf die Lösung komme. Wenn Sie das sagen könnten, das wäre sehr schön. Nicht gut wäre es, wenn Sie mir immer wieder mitteilen, daß Sie sich geirrt haben und daß Sie ein Versager sind.
Die Leute glauben mir einfach nicht, daß ich viel lerne, wenn ich ihre Berichte abändere.
 
Greg: Was glauben sie denn?
 
Steve: Sie glauben genau dasselbe wie Sie, sie glauben, daß ich Ihre Arbeit kritisiere.
Als ich Ihnen zuhörte, habe ich mir überlegt, warum das so bedrohlich ist. Häufig fange ich falsch an, manchmal auch nicht. Aber manchmal tappe ich doch völlig im dunklen. Und Sie beobachten mich, wie ich viermal meine Meinung ändere. Und das vor den Augen des Projektteams? Zum Selbstschutz kann ich nach Hause gehen und mir dort den Kopf zerbrechen, und dann komme ich zurück und mache einen klugen Eindruck.
 
Intervenient: Wie würden Sie sich dabei fühlen, wenn Sie mitbekommen, wie er seine Meinung ändert? Würde es Ihnen die Laune verderben?
 
Greg: Nein, weil der Auftragsleiter es vor seinem zuständigen Projektleiter tun würde und nicht vor dem ganzen Team.
 
Intervenient: Warum nicht vor dem ganzen Projektteam?
 
Greg: Weil einige der Berater nicht erfahren genug sind, um jemandem zu folgen, der zehn verschiedene Richtungen einschlägt.
 
Intervenient: Also haben Sie genauso viele Bedenken wegen der Berater wie Steve Ihretwegen?
 
Steve: Ja, genauso ist es.
 
Greg: Nein (überlegt). In Ordnung, ich sehe ein, es ist dasselbe.
 
Intervenient: (Später) Eins verstehe ich nicht. Warum schneiden Sie die anderen Projektteam-Mitglieder vom Lernen ab? Wie kommen Sie darauf, den fünf Projektteam-Mitgliedern zu mißtrauen?>
 
Greg: Ich mißtraue ihnen nicht. Ich würde es gerne eine zu eines machen.
 
Intervenient: Wie wäre es mit eins zu fünf?
 
Greg: Nein, weil es in einer Gruppe nicht effizient durchgeführt werden kann.
 
Intervenient: Ich würde Ihnen beiden und anderen gerne helfen, damit zu experimentieren. Man muß es nicht ständig tun. Aber eine oder zwei tiefergehende Erfahrungen könnten für die Entwicklung eines effektiven Projektteams hilfreich sein.
 
Steve: Und ich befürchte, daß sie fünf verschiedene Versionen von mir hören und dann nicht in der Lage sind, das Richtige herauszusuchen.
 
Intervenient: Und Greg bestätigt Ihre Befürchtungen. Ich würde Sie gern dabei unterstützen, die Bedingungen für regelmäßige, eingehende Projektteam-Diskussionen über diese Punkte festzulegen. Aber dazu müßten Sie und die anderen noch viel lernen. (Er erläutert, wie man regelmäßige Verbesserungsprogramm-Sitzungen dazu verwenden könnte.)
(Später) Wie fühlen Sie sich bis jetzt?
 
Greg: Nach diesem Auftrag damals unterstellte ich Steve negative Beweggründe. Ich wurde sehr ärgerlich. Diese Sitzung hat mir geholfen, viel davon abzubauen. Ich begreife es jetzt besser. Ich habe eine neue Perspektive.
Aber ich bin nicht sicher, was ich weiterhin tun werde. Steve hat zum Beispiel gesagt, daß er die Arbeit dem Team wegnimmt und sie selbst tut, wenn er unter Druck steht und der Auftrag wichtig für seine eigene Karriere ist. Wann ist ein Auftrag nicht so wichtig?
 
Steve: Sehr häufig. (Führt Beispiele an.)
 
Intervenient: Ich möchte verschiedene Schritte vorschlagen. Erstens, Greg, Sie haben gesagt, Sie verstehen Steve jetzt besser. Das bedeutet, daß Sie nicht mehr so enttäuscht oder ärgerlich sind wie zuvor. Das kann sehr hilfreich sein.
 
Greg: (Nickt zustimmend)
 
Intervenient: Zweitens würde ich Ihnen und Steve gerne helfen, eine Beziehung aufzubauen, bei der Sie beide mehr riskieren können. Steve könnte zum Beispiel genauer untersuchen, warum er jedesmal unzweckmäßig handelt, wenn er ängstlich wird. Und Sie, Greg, könnten Ihre Enttäuschung offener zeigen, wenn Steve sie übergeht. Zum Beispiel sagten Sie zu dem Kollegen, der die Projektteams zusammenstellte, Sie wollten nie wieder mit Steve zusammenarbeiten. Sie beklagten sich auch bei einem der Direktoren.
Ich würde Ihnen und anderen gerne helfen, Bedingungen wie diese herzustellen, damit Sie Ihre eigenen Urteile und Unterstellungen überprüfen können, bevor Sie zum Leiter der Team-Zuteilung oder zu einem Direktor gehen.
 
Steve: Ich weiß, das würde mir helfen. Noch einmal, ich will nicht versprechen, daß ich leicht lerne. Ich verspreche, daß ich lernen will.
(Später) Bis zu dieser Sitzung hätte ich den Teufel getan, solche Dinge zu sagen, wie ich sie hier gesagt habe. Ich wußte ja gar nicht, wie manche Leute darauf reagieren.
 
Greg: Ist es nicht gut für Steve oder irgendeinen von uns, sich zu privaten Sitzungen zu treffen?
 
Intervenient: Doch. Aber ich würde empfehlen, daß wir den Einsatz erhöhen, und daß Sie es jetzt, da Sie nun weniger Angst haben, in der Gruppe versuchen. Wenn Sie sich zum Beispiel beide für einen neuen Auftrag zusammen täten, könnte dies reichlich Gelegenheiten für eine Gruppensitzung bieten.
 
 
Zusammenfassung
Im Dialog zwischen Greg und Steve kommen mehrere Probleme zur Sprache, die typisch für das Projektteam-Management sind. Zunächst geht es um die Ausbildung eines neuen zuständigen Projektleiters. Diese Aufgabe war auch deshalb schwierig, weil dieser Projektleiter nicht die erforderliche Zeit hatte, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Selbst wenn Steve mehr Zeit gehabt hätte, wäre es immer noch schwierig gewesen, weil er von Gregs Fähigkeiten nicht ganz überzeugt war und glaubte, daß er das nicht sagen dürfe.
Gleichzeitig vermutete Greg, Steve nehme seine Arbeit oder seine Lernfähigkeiten nicht ernst, und diesen Verdacht hielt er für nicht diskutierbar. Solche Probleme entstehen häufig durch gestörte Kommunikation. Man empfiehlt gewöhnlich, beide Beteiligten sollten sich um mehr effektive Kommunikation bemühen. Obwohl beide von solch einer Schulung profitieren könnten, bleibt unklar, ob es überhaupt angemessen oder erforderlich ist. Wie die Transkriptionen belegen, konnte sich beide Parteien in diesem Fall schon ziemlich erfolgreich verständigen. Ihre größte Schwierigkeit war, daß jeder mit Vorurteilen kam, die einem ergiebigen Gespräch im Weg standen und diese Behinderung vertuschten.
Dieser Fall veranschaulicht auch das „ewige“ Problem, wie man den Auftragsteamleitern, die exzellente Analytiker sind, helfen soll, ihre Kenntnisse weiterzugeben. Soweit ich feststellen konnte, wußte Steve, was eine gute Analyse ist, aber er konnte die Grundzüge seiner eigenen soliden Analysen nicht erläutern und konkretisieren. Darüber hinaus widersetzte er sich dem Vorschlag, Greg zu erlauben, ihn bei der soliden Analyse zu beobachten, für die er berühmt war, weil Greg erleben könnte, daß der Entstehungsprozeß mitunter unzusammenhängend und ungeordnet ist. Offensichtlich hatte Steve das Gefühl, er müsse gut organisierte, kohärente Denkprozesse vorführen, wenn ihn jemand dabei beobachtete.
Ich glaube, daß jüngere Berater von der Beobachtung profitieren würden, daß vollendete Form aus formlosen Aktivitäten entstehen kann. Bis jetzt konnte ich Steve nicht überreden, damit zu experimentieren. Als ich diese Zeilen schrieb, äußerte er allerdings schon mehr Interesse und guten Willen, aber er ist immer noch nicht ganz bereit.
Schließlich kam es mehrere Male vor, daß Steve und Greg deutlich zu erkenn gaben, daß sie lernten. Doch war es wie gesagt nicht sofort klar, vor allem nicht für Steve, ob er in einem neuen Kontext weiterlernen könnte. Mehrere Male mußte ich betonen, wie wichtig ständige Verbesserungen sind. Ich fragte dazu jede Partei, ob sie das Gelernte auch außerhalb des Kontextes der laufenden Diskussion verwenden wollte. Steve äußerte in bestimmten Bereichen offen seine Zweifel, versprach aber, über den Sachverhalt sorgfältig nachzudenken. Doch er scheint Fortschritte zu machen, weil er nun zuläßt, daß die Projektteam-Mitglieder über sein zögerliches Verhalten diskutieren.
 
nach oben

 

www.kommunikative-welt.de WaKoTraining ©Michael Giesecke