Theoriediskussion Individuum und Gruppe (D. Sandner)
 
Wie verstehen Gruppenanalytiker die Beziehung zwischen Individuum und Gruppe?

"Wenn wir eine Arbeitsgruppe als emotionales Kraftfeld auffassen, in dem bestimmte Feldkräfte wirken, so empfiehlt es sich zu allererst, die vermuteten Hauptkräfte zu identifizieren. Meiner Meinung nach lassen sich vier solcher Kraftbündel unterscheiden:

   
 1.   die individuelle Eigenart der einzelnen Gruppenmitglieder mit ihrer spezifischen Psychodynamik;
   
 2.  der Gruppenleiter mit seiner spezifischen Charakterstruktur, seinen Zielen, seinen Wertvorstellungen, kurz mit seiner gesamten Persönlichkeit;
   
 3.  das Arbeitsziel der Gruppe, derentwegen die Gruppenteilnehmer überhaupt als Arbeitsgruppe sich zusammen gefunden haben, und
   
 4.  die Eigendynamik der Arbeitsgruppe, die durch das jeweils spezifische Ineinander aller bisher genannten Kräfte entsteht und ihrerseits als 4. Kraftbündel auf diese zurückwirkt.
 
Das Verhalten der Mitglieder einer Gruppe wird nur zu einem Teil von dem bestimmt, was die Gruppenmitglieder in die Gruppe mitbringen. Ein gut Teil des Verhaltens hängt in Gruppen von der Konstellation ab, die in ihnen rasch durch das Thema, den Stil des Leiters und die anderen Gruppenmitglieder entsteht. Zwei Dinge scheinen dabei besonders bedeutsam:
 
 1.  Einmal, dass sich in einer beginnenden Gruppe die verschiedenen genannten Faktoren zu einem Gesamtkraftfeld, zu einer Gestalt zusammenfügen.
   
 2.  Diese Gestalt wirkt ihrerseits auf die einzelnen zurück; die Gruppenmitglieder haben dann häufig das Gefühl, unfreier zu sein als außerhalb der Gruppe. Es entsteht der Eindruck, eben einer Gruppe und nicht einzelnen gegenüberzustehen."
   

 
 
Aus: Dieter Sandner: Gruppenanalyse - Theorie, Praxis, Forschung. Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo 1986, S. 101-102 und 108.
Excerpt: Wie verstehen Gruppenanalytiker die Beziehung zwischen Individuum und Gruppe?


www.kommunikative-welt.de WaKoTraining ©Michael Giesecke