"In jeder Gruppe entwickeln sich nun bestimmte Rollenfunktionen,
die den unausgesprochenen Zielen der Gruppe dienen, damit diese ihre Arbeit
fortsetzen kann. Es lassen sich dabei deutlich eine Reihe von Rollen herauskristallisieren,
die sich aus der Bemühung des Einzelnen ergeben, das jeweilige, entstehende
soziale System einer Gruppe weiter zu entwickeln. Wir unterscheiden dabei
zwischen Aufgabenrollen und Erhaltungs- und Aufbaurollen
sowie einer Mischung aus beidem. Darüber hinaus gibt es jedoch auch dysfunktionale
Rollen, die gegen jede konstruktive Beteiligung an der Gruppenarbeit
gerichtet sind. Sie können verschiedene Gründe haben.
Unter Aufgabenrollen verstehen wir Funktionen,
die für die Auswahl und Durchführung einer Gruppenarbeit erforderlich
sind:
1. Initiative und
Aktivität
Lösungen vorschlagen, neue Ideen vorbringen, neue Definitionen eines
gegebenen Problems versuchen, neues In-Angriff-Nehmen des Problems,
Neu-Organisation des Materials. |
2. Informationssuche
Frage nach genauerer Klärung von Vorschlägen, Forderung nach ergänzenden
Informationen oder Tatsachen.
|
3. Meinungserkundung
Versuche, bestimmte Gefühlsäußerungen von Mitgliedern zu bekommen,
die sich auf die Abklärung von Werten, Vorschlägen oder Ideen beziehen. |
4.
Informationen geben
Angebot von Tatsachen oder Generalisierungen. Verbinden der eigenen
Erfahrung mit dem Gruppenproblem, um daran bestimmte Punkte und Vorgänge
zu erläutern. |
5. Meinung geben
Äußern einer Meinung oder Überzeugung, einen oder mehrere Vorschläge
betreffend, speziell eher hinsichtlich seines Wertes als der faktischen
Basis. |
6. Ausarbeiten
Abklären, Beispiele geben oder Bedeutungen entwickeln; Versuche, sich
vorzustellen, wie ein Vorschlag sich auswirkt, wenn er angenommen
wird. |
7. Koordinieren
Aufzeigen der Beziehungen zwischen verschiedenen Ideen oder Vorschlägen;
Versuch, Ideen und Vorschläge zusammenzubringen; Versuch, die Aktivität
verschiedener Untergruppen oder Mitglieder miteinander zu vereinigen. |
8. Zusammenfassen
Zusammenziehen verwandter Ideen oder Vorschläge; Nachformulierung
von bereits diskutierten Vorschlägen zur Klärung. |
9. Ermutigung
Freundlichsein, Wärme, Antwortbereitschaft gegenüber anderen; andre
und deren Ideen loben; Übereinstimmen und Annehmen von Beiträgen anderer. |
10.
Grenzen wahren
Versuch, einem anderen Gruppenmitglied einen Beitrag dadurch
zu ermöglichen, dass andere darauf aufmerksam gemacht werden, z. B.: "Wir
haben von X noch gar nichts zu diesem Thema gehört." Begrenzung der
Sprechzeit für alle, um damit allen eine Chance zu geben, tatsächlich
gehört zu werden.
11.
Regeln bilden
Formulierung von Regeln für die Gruppe, die für Inhalt, Verfahrensweisen
oder Entscheidungsbewertungen gebraucht werden sollen; Erinnerung der
Gruppenmitglieder, Entscheidungen zu vermeiden, die mit diesen Regeln
kollidieren.
12.
Folge leisten
Den Gruppenentscheidungen folgen, nachdenklich die Ideen anderer
annehmen und anhören, als Auditorium während der Gruppendiskussion dienen.
13.
Ausdruck der Gruppengefühle
Zusammenfassung, welches Gefühl innerhalb der Gruppe zu spüren
ist. Beschreiben der Reaktionen der Gruppenmitglieder, Mitteilung von
Beobachtungen und unbewussten Reaktionen von Gruppenmitgliedern, geäußerten
Ideen oder Lösungen gegenüber.
Es gibt gleichzeitige Aufgaben- und Erhaltungsrollen:
1. Auswerten
Überprüfen der Gruppenentscheidungen im Vergleich mit den
Regeln; Vergleich der Bemühungen im Verhältnis zum Gruppenziel.
2. Diagnostizieren
Bestimmen der Schwierigkeitsquellen und der situationsgerechten
nächsten Schritte; Analysieren der Haupthindernisse, die sich dem weiteren
Vorgehen entgegenstellen.
3. Übereinstimmung
prüfen
Versuchsweise nach der Gruppenmeinung fragen, um herauszufinden,
ob die Gruppe sich einer Übereinstimmung für eine Entscheidung nähert.
Versuchsballons loslassen, um die Gruppenmeinung zu testen.
4. Vermitteln
Harmonisieren, verschiedene Standpunkte miteinander versöhnen,
Kompromisslösungen vorschlagen.
5. Spannungen vermindern
Negative Gefühle durch einen Scherz ableiten, beruhigen, eine
gespannte Situation in einen größeren Zusammenhang stellen.
Diese Rollen sind keineswegs fest auf ein und dieselbe Person verteilt.
Vielmehr wechseln sie ähnlich wie Führung, Aktivität und Widerstand. Sie
jedoch zu kennen, zu beobachten und die jeweiligen Rollenwechsel wahrzunehmen,
bedeutet rein handwerklich eine große Hilfe im Umgang mit Gruppen."
(S. 148-153)
(----)
"Von Zeit zu Zeit, jedoch öfter als man meint, verhalten sich Menschen
auf eine dysfunktionale Weise, die nicht nur keine Hilfe darstellt, sondern
mitunter die Gruppe und ihre Arbeitsbemühungen ernsthaft stört.
Dysfunktionale Rollen:
1. Aggressives
Verhalten
Arbeiten für den eigenen Status, indem andere kritisiert oder
blamiert werden; Feindlichkeitsäußerungen gegen die Gruppe oder einzelne
Mitglieder; Herabsetzen des Selbstwertes oder des Status anderer Mitglieder;
Versuch ständig zu dominieren.
2. Blockieren
Die Weiterentwicklung der Gruppe durchkreuzen durch Ausweichen
auf Randprobleme; Angebot persönlicher Erfahrungen, die nichts mit dem
vorliegenden Problem zu tun haben; hartnäckige Argumentation zu einem
einzigen Punkt; Abweisung von Ideen ohne jede Überlegung aus affektiven
Vorurteilen.
3. Selbstgeständnisse
Benützen der Gruppe als Resonanzboden für rein persönliche,
nicht an den Gruppenzielen orientierte Gefühle oder Gesichtspunkte.
4. Rivalisieren
Mit anderen um die produktivsten oder besten Ideen zanken,
ständig am meisten sprechen, die größte Rolle spielen, die Führung an
sich reißen.
5. Suche nach Sympathie
Versuch, andere Gruppenmitglieder zur Sympathie mit den eigenen
Problemen und Missgeschicken zu verleiten; die eigene Situation verwirrend
darstellen oder die eigenen Ideen so erniedrigen, dass auf diese Weise
Unterstützung durch andere erreicht werden soll.
6. Spezialplädoyers
Einführung oder Unterstützung von Vorschlägen, die mit eigenen,
eingeengten Bedenken oder Philosophien verbunden sind. Hierher gehört
auch das Lobbyistenverhalten.
7. Clownerie
Jux veranstalten, witzeln, nachäffen, um die Arbeit der Gruppe
möglichst immer wieder zu unterbrechen.
8. Beachtung suchen
Versuche, die Beachtung auf sich zu ziehen, durch lautes und
ausgiebiges Reden, extreme Ideen oder ungewöhnliches Verhalten.
9. Sich zurückziehen
Überwiegend indifferentes, passives Verhalten, beschränkt
auf äußerste Formalität; Tagträumen, Unsinn machen; mit anderen flüstern,
vom Thema weit abweichen.
Diese formalen Klassifizierungen, die nur als Hilfe für die Beobachtung
gedacht sind, dürfen keineswegs als starre Rollen angesehen werden, sondern
als ein möglichst wechselndes Verhalten. Bei den dysfunktionalen Rollen
muss man sich vor der Tendenz in jeder Gruppe hüten, andere oder sich
selbst zu beschuldigen, bei denen vorübergehend dieses Verhalten auftritt.
Es ist sinnvoller, solches Verhalten als Symptom dafür wahrzunehmen, dass
es um die Fähigkeit der Gruppe schlecht bestellt ist, individuelle Bedürfnisse
ausreichend durch gruppenzentrierte Arbeit zu befriedigen." (S. 151-153)
(----)
"Als Regel kann man annehmen, dass jede Gruppe besser und erfolgreicher
arbeiten kann, wenn ihre Mitglieder
sich
der jeweils erforderlichen Rollenfunktion besser bewusst werden,
sensibler
und bewusster das Erforderliche tun, um das Gewünschte tatsächlich zu
erreichen, und
ein
Selbsttraining beginnen, um den Umfang ihrer Rollenfunktionen zu prüfen
und die Fähigkeit einzuüben,
sie tatsächlich zu erfüllen." (S. 153)
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